Gestern hat ein Kommentar von Nils Dampz, seines Zeichens ARD-Korrespondent in Los Angeles, auf tagesschau.de Wellen geschlagen, in dem er nicht näher bestimmte Benutzer des Nachrichtendienstes Twitter als „verschwörerische Ratten“ „in ihre Löcher zurück geprügelt“ sehen wollte. (Anm. d. Red.: Hier ist die ursprüngliche Version noch einsehbar.) Das unmittelbare Echo bezog sich auf die Verunglimpfung des politischen Gegners als „Ratten“. Darüber ging allerdings unter, dass auch nach der Entfernung dieses Begriffs ein Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, der immerhin auf dem Portal der Tagesschau schreiben darf, ein grundsätzliches Problem mit freier Rede zu haben scheint und robusten Diskurs gerne durch robuste Gewalt ersetzt sähe, und dass das offenbar in seinem Kollegenkreis nicht als massives Problem angesehen wird.
„Zurück geprügelt“ und „konsequent bekämpft“
Ich will Herrn Dampz nichts ungerecht unterstellen und zitiere deshalb die Forderung im Zusammenhang:
Musk hat auch angekündigt, dass Twitter zum ‚Marktplatz der Debatte‘ werden solle. Aber auf seinem ‚Marktplatz‘ sollen offenbar auch rassistische oder verschwörerische Ratten aus ihren Löchern kriechen dürfen. Twitter kann nur relevant bleiben, wenn genau diese Ratten – um im Marktplatzbild zu bleiben – in ihre Löcher zurück geprügelt werden.
Darauf gab es absehbar Kontra, und man hat die Formulierung abgeschwächt, zusammen mit einer Erklärung „Es war nie das Ziel, jemanden zu entmenschlichen.” Aber die Ersatzformulierung, die zum Zeitpunkt, zu dem ich dies schreibe, in Herrn Dampz Kommentar steht, hat es ebenfalls in sich:
Musk hat auch angekündigt, dass Twitter zum ‚Marktplatz der Debatte‘ werden soll. Aber auf seinem Platz soll offenbar auch Rassistisches oder Verschwörerisches Platz haben. Twitter kann nur relevant bleiben, wenn das konsequent bekämpft wird.
Nun sind es also Dinge oder Ideen, die bekämpft werden sollen, auch wenn Herr Dampz in der ersten Fassung ohne jede Zweideutigkeit klar gemacht hat, dass er diese Ideen mit Personen identifiziert und was er mit diesen Personen gerne tun würde.
Klar ist jedenfalls, dass Herr Dampz ein erhebliches Problem mit der Idee des Marktplatzes der Ideen und der freien Debatte hat. Debatte muss in seiner Weltsicht auf einem Feld stattfinden, auf dem falsche Ideen von bissigen Aufpassern „konsequent bekämpft“ werden und ihre Träger eben „in ihre Löcher zurück geprügelt werden.“
Was ist „Rassistisches“?
Welche Ideen er meint, lässt Herr Dampz ziemlich unbestimmt. Nach eigener Ansicht „Rassistisches“ findet sich eigentlich im öffentlichen Diskurs kaum, so dass es sich also um Ideen handeln muss, denen von Dritten zugeschrieben wird, dass sie rassistisch seien.
Die Vereinigten Staaten streiten sich z.B. wieder einmal vor Gericht darüber, ob es zulässig sei, an staatlich geförderten Universitäten eine Präferenz für Studenten angeblich benachteiligter, aber jedenfalls insoweit bevorzugter Rassen zu haben. Diese Debatte kann man mit Argumenten führen. Man kann einerseits ins Feld führen, dass historische Benachteiligungen so tiefe Spuren gezogen haben, dass sie nur durch weitere Benachteiligungen in absehbarer Zeit auszugleichen sind – das ist das Argument derer, die solche Präferenzen beibehalten wollen. Man kann umgekehrt argumentieren, dass schon eine Beurteilung, welcher „Rasse“ ein Student angehöre, ein Unding sei, und dass rechtliche Konsequenzen daraus der Verfassung widersprächen.
Man kann sogar weiter argumentieren, dass solche Präferenzen nicht einmal denen nützen, die damit gefördert werden sollten, weil so entweder tatsächlich weniger fähige Studenten in absehbare Schwierigkeiten geschickt werden oder aber weil fähige Studenten grundlos dem Verdacht ausgesetzt werden, sie hätten ihr Diplom eher für ihre Rasse als für ihre Leistungen erhalten. Solches sind Argumente derer, die rassebezogene Präferenzen gerne verbieten möchten. In der amerikanischen Tradition des Marktplatzes der Ideen wird das von beiden Seiten ziemlich robust ausgetragen, im öffentlichen Diskurs wie vor Gericht.
Ich habe nun einen Verdacht, dass ich mir ziemlich gut denken kann, welche dieser Ansichten Herr Dampz als „Rassistisches“ ansehen würde. Anstatt die Sache also dem „Marktplatz der Debatte“ zu überlassen, auf dass das bessere Argument gewinne, stellt sich Herr Dampz offenbar vor, dass jemand die unerwünschte Ansicht als „Rassistisches“ kennzeichne, auf dass sie „konsequent bekämpft“ werde, idealerweise gleich, dass die „Ratten“, die solcherart falsch denken, „in ihre Löcher zurück geprügelt werden.“ Robuste Prügel statt robustem Austausch von Ideen sind in dieser Vorstellung das Mittel der Wahrheitsfindung oder vielmehr der Bestätigung der einzigen Wahrheit der Richtigdenkenden.
Was ist „Verschwörerisches“?
Bei den „verschwörerischen Ratten“ oder dem „Verschwörerischen“ ist die begriffliche Unschärfe noch viel größer als beim Rassismus, so dass die Bestimmung, welche Ideen darunterfallen sollen, noch viel mehr dem Gutdünken der prügelnden Meinungspolizei anheimgestellt werden müsste.
Eine Verschwörung ist definitionsgemäß geheim, so dass es eigentlich ziemlich absurd wäre, sie öffentlich auf Twitter zu besprechen – wäre sie nicht mehr geheim, dann wäre es ja gar keine Verschwörung mehr. Wer „Verschwörerisches“ betreiben will, der wird das im nichtöffentlichen Rahmen tun.
Es ist allerdings ein Zeichen des totalitären Geistes, überall Verschwörungen, „Verschwörerisches“, „verschwörerische Ratten“ zu sehen, auch wenn Belege oder auch nur Anzeichen für die behaupteten Verschwörungen sich beim besten Willen nicht auftreiben lassen. Wenn der große Plan der Weltenrettung nicht funktioniert, dann kann das nur daran liegen, denkt der totalitäre Geist, dass sich dunkle Mächte zusammengerottet hätten, um ihn zu sabotieren. Von der Verschwörung der Hexen auf dem Hexensabbat über die zahllosen angeblich aufgedeckten konterrevolutionären Verschwörungen während der französischen Revolution bis zur angeblichen Ärzteverschwörung am Ende von Stalins Leben, immer sind es angebliche Konspirationen dunkler Mächte, die sich nicht beweisen lassen, aber gerade deshalb mit brutaler Gewalt abgestellt werden sollen.
Im konkreten Fall von Twitter beispielsweise kann man sich gut vorstellen, dass Herr Dampz Äußerungen von Präsident Donald Trump oder seiner Anhänger unter „Verschwörerisches“ einordnen würde, die entsprechenden Personen entsprechend. Trump seinerseits wird seit den Krawallen vom Dreikönigstag vorgeworfen, sie nicht nur durch unmäßige Sprache befeuert zu haben, sondern sie im Rahmen einer Verschwörung mit Anderen geplant und inszeniert zu haben, um so einen gewaltsamen Umsturz in den Vereinigten Staaten zu erreichen. Das deckt sich nicht mit seinen öffentlichen Äußerungen, denn er hat ausdrücklich zu einer friedlichen Demonstration aufgerufen. Der Vorwurf ist auch insofern unplausibel, weil der Plan selbst völlig unplausibel wäre. Die Vereinigten Staaten sind nicht nur die älteste große Republik der Welt, sondern innerhalb von zwei Autostunden um das Kapitol findet sich genug Militär, um die Armeen der meisten Staaten vernichtend zu schlagen. Und da soll ein Präsident einen Putsch mit einer Gruppe von Demonstranten versuchen, die mal schnell die Hauptstadt einnehmen, dazu nicht einmal großartig Waffen mitbringen, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten?
Ein dementsprechender Untersuchungsausschuss blieb, wenig überraschend, bisher ohne nennenswerte Ergebnisse. Das alles spielt aber keine Rolle, gegen all das immunisiert der Vorwurf der Verschwörung: Wenn sich Beweise nicht finden lassen, dann eben weil die Täter geschickt im Geheimen agieren wollten. Soll es nun diese Art von „Verschwörerischem“ sein, sollte es gar der Wahlkampf eines der aussichtsreicheren Kandidaten um das Präsidentenamt sein, das in Herrn Dampz‘ Welt „konsequent bekämpft“ gehört, sind die Hälfte der Amerikaner „Ratten“, die Herr Dampz „in ihre Löcher zurück geprügelt“ sehen möchte?
„Frauenhaus“ oder „Freudenhaus“?
Alternativ sei noch angemerkt, dass Herr Dampz mit „Verschwörerisches“ auch Verschwörungstheoretisches gemeint haben könnte, mit „verschwörerischen Ratten“ Anhänger von Verschwörungstheorien. In diesem Falle hätten wir es mit einem Journalisten zu tun, der einfache Wortbedeutungen nicht kennt und in ihr Gegenteil verkehrt, vielleicht auch schon mal „Frauenhaus“ und „Freudenhaus“ verwechselt.
Sein Argument würde davon auch nicht besser, denn Verschwörungstheorien sind ja definitionsgemäß unplausible Erklärungen der Welt durch ein geheimes Zusammenwirken, und sie lassen sich nur durch robusten Diskurs entkräften, durch die Aufdeckung ihrer Unwahrscheinlichkeit oder gar Blödheit. Dagegen ist es eher ein Indiz für die Richtigkeit einer solchen Theorie, wenn die Machthaber die Anhänger der Theorie „in ihre Löcher zurückgeprügelt“ haben wollen.
Freie Rede als Problem
So genau werden wir es nicht eruieren können, wen und was Herr Dampz als „Rassistisches und Verschwörerisches“ einordnet, wen genau er gerne durchprügeln lassen würde, aber man kann sich eine bestimmte Richtung denken. Bei der Vermischung von Tiermetaphern und Vorwürfen der Verschwörung kann man sich jedenfalls an ein bestimmtes Kapitel der deutschen Geschichte erinnert fühlen, in dem in der Tat unplausiblerweise eine bestimmte Bevölkerungsgruppe gleichzeitig als unwertiges Ungeziefer und als Meister der Weltverschwörung erst verunglimpft und dann ermordet wurde. Klar jedenfalls ist, und wäre auch bei gemäßigterer Ausdrucksweise, dass Herr Dampz in freier Rede als solcher ein Problem sieht, das durch „konsequente Bekämpfung“, vielleicht auch direkt in körperlicher Art, zu beheben sei.
„Ich bin leider überhaupt nicht fit“
Als Jan Böhmermann und Oliver Welke angefangen haben, die öffentlich-rechtlichen Sender zur Neuauflage des Schwarzen Kanals zu nutzen, haben sie sich gegen die offensichtlich zu erwartende Kritik dadurch immunisiert, ihre Formate als „Satire“ zu benennen. Nils Dampz hat diesen Luxus nicht. Er schrieb auf dem Prestigeportal der Staatsfunker, bei der Tagesschau. Was bei der Tagesschau kommt, will für bare Münze genommen werden. Eine „Entschuldigung für die Wortwahl“, wohlgemerkt aber nicht den Inhalt, kann man da eigentlich nur als Solidarisierung der Redaktion mit diesem Inhalt verstehen. Sich hinter der Unabhängigkeit der Autoren zu verstecken, die eben nicht nur im eigenen Namen, sondern unter dem Banner der Tagesschau publizieren, wäre bei einem Artikel absurd, der gerade zum Ziel hat, die freie und nicht zensierte Rede zu verunglimpfen, der sich nach Filtern sehnt. Man wird also konstatieren müssen, dass es so nicht nur in Herrn Dampz denkt, sondern auch in den Funkhäusern.
Noch erstaunlicher als der Angriff auf die Grundlagen einer offenen Gesellschaft ist allerdings die Person, von der sie kommt. Herr Dampz war seit 2001 ununterbrochen beim SWR beschäftigt, dann seit diesem Jahr als Korrespondent der ARD. Sein Beruf ist im Sprechen und Schreiben, wenn auch nicht gerade geistreich. Von sich selbst sagt er „Ich bin leider überhaupt nicht fit“, und seine Versuche, zu sporteln, kommen unter „SWR Comedy.“
Niemand sollte ein größeres Interesse als Herr Dampz an freier Rede haben, niemand sollte ein geringeres Interesse daran haben, dass einmal durchgeputzt wird und leistungslose zwangsfinanzierte Bezüge storniert werden. Vor allem sollte niemand ein geringeres Interesse daran haben, dass sich der öffentliche Diskurs dahin verschiebt, dass „diese Ratten in ihre Löcher zurück geprügelt werden“, was andere Leute vermutlich weitaus überzeugender zuwege brächten als Herr Dampz. Wäre es nicht so ernst, könnte man sich unterhaltsam ausmalen, wie es für Herrn Dampz und seine Kollegen aussehen würde, würden sie wirklich in die Art von Welt gestoßen, die sie sich zu wünschen scheinen.
Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder.