Vera Lengsfeld / 31.03.2007 / 13:48 / 0 / Seite ausdrucken

Die Täter sind unter uns

Es gibt sie noch, die Menschen mit Zivilcourage Der Verleger Christian Seeger wagt es, das Buch seines Autors Hubertus Knabe „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur“ herauszubringen. Frau Staatssekretärin Renate Meyer öffnet die Pforten ihrer Thüringer Landesvertretung, damit das Buch in einem würdigen Rahmen präsentiert werden kann .Als der Saal schon voll war, wurden einfach von überallher Stühle zusammengeklaubt, damit keiner abgewiesen werden musste, der sich anhören wollte, was der „Cicero“ sich nicht vorabzudrucken traute. Ausgerechnet die selbsternannte Edelpostille der einflussreichsten Intellektuellen kniff damit zeitgeistgemäß den Schwanz ein. Schließlich leben wir in Zeiten, da Mohnhaupt nicht Mörderin, Gysi nicht Stasispitzel und die DDR nicht SED-  Diktatur genannt werden sollen. Das lässt sich noch steigern: der Stasiknast Hohenschönhausen war ein begehrtes Wellness- Paradies mit Schwimmbecken und Sauna.
Die Gefangenen stellten Einweisungsanträge, um dorthin zu gelangen. Die Angehörigen der Staatssicherheit konnten vor Sorge um das Wohlergehen ihrer Mitmenschen kaum schlafen und die Volksarmee der DDR stand gemeinsam mit der Bundeswehr an der Grenze auf Friedenswacht Wer an eben dieser Grenze erschossen wurde, hatte das selbst herausgefordert. Und einem politischen Gefangenen in der DDR die Knochen gebrochen zu haben,  muß mit Milde beurteilt werden, denn als Politischer sei er ja ein besonders schlimmer Feind des Systems gewesen, an dem das Herz des Schlägers nun mal hing. Dies ist nur eine Auswahl der Talkshowäußerungen, Selbstbeschreibungen, Museumsinhalte und Richtersprüche, die zur Verklärung der DDR und damit zur Geschichtsfälschung beitragen.
All die unermüdlichen Kämpfer gegen die historische Wahrheit wären noch viel erfolgreicher, wenn es Menschen wie Hubertus Knabe nicht gäbe. Der Direktor der der Gedenkstätte Hohenschönhausen hat bereits das fünfte Buch zur Geschichte der SED-Diktatur vorgelegt.
Mit jedem Einzelnen hat er gegen die fortgesetzten Versuche angeschrieben, das Unrechtsregime der SED zum Kavaliersdelikt zu verniedlichen. Diesmal zieht er eine sehr kritische Bilanz des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit.
Er beschreibt die mangelnde strafrechtliche Verfolgung der Täter, ihre großzügige finanzielle Ausstattung durch den Rechtsstaat, der die ehemaligen Schergen nicht belangen mochte. Diesem großzügigen Umgang mit den Tätern stellt Knabe die schäbige Behandlung der Widerständler gegen das SED-Regime gegenüber, deren Zivilcourage im Kampf um Freiheit und Demokratie kaum öffentliche Wertschätzung erfährt und die man mit einer „Opferrente“ von höchstens 250€ bei „Bedürftigkeit“ abspeisen will. Knabe weist mit Recht darauf hin, dass diese Behandlung ehemaliger politischer Gefangener der DDR im vereinigten Deutschland ein verheerendes Signal an die Jugend ist. Denn die Botschaft lautet: seine Mitmenschen in Zeiten der Diktatur verfolgt und gemaßregelt zu haben, wird in der Demokratie mit Nachsicht betrachtet, sich gegen Unrecht zur Wehr gesetzt zu haben, wird gering geschätzt. Das schadet einer Gesellschaft, die darauf angewiesen ist, dass ihre Bürger aktiv für Recht und Freiheit eintreten.
Wie genau Knabes Analysen die Wirklichkeit widerspiegeln, wird deutlich, als sich nach der Vorstellung des Buches einer der Zuhörer zu Wort meldet. Es handelt sich um Mario Röllig, der als Neunzehnjähriger der Staatssicherheit in die Hände fiel, nachdem sein Fluchtversuch über Ungarn missglückt war. Drei Monate Verhöre und Isolationshaft folgten. Der Jugendliche versucht sich gegen seinen Vernehmer zu wehren, indem er ihn anlacht, statt die gewünschten Aussagen zu machen. Daraufhin wird er ins Haftkrankenhaus gebracht. Damit ihm das Lachen verginge, begann der Arzt seine Fußsohlen mit einer Bürste zu kitzeln, bis er vor Lachen und Schmerzen ohnmächtig wurde. Von dieser Behandlung ist dem jungen Mann ein ständiges stechendes und brennendes Gefühl in den Fußsohlen geblieben. Er kann nur unter äußerster Willensanstrengung seine eigenen Füße berühren. Aber das Sozialgericht Berlin weigert sich, die daraus entstandene Polyneuropathie als Haftfolgeschaden anzuerkennen. Der junge Mann mache Führungen durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen, da könne es ihm ja nicht so schlecht gehen.
Dieser Zynismus der Berliner Sozialrichter ist leider nicht untypisch für den Umgang mit Politischen Gefangenen der DDR. Deshalb sind Bücher wie das von Hubertus Knabe so wichtig.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Vera Lengsfeld / 11.03.2024 / 16:00 / 20

Wie rettet man eine Demokratie?

Warum lässt die schweigende Mehrheit zu, dass unter dem Schlachtruf, die Demokratie und das Grundgesetz zu verteidigen, beides ausgehöhlt wird? Was man ganz einfach tun…/ mehr

Vera Lengsfeld / 10.03.2024 / 16:00 / 9

Eine Schulung im Denken

Denken ist ein Menschenrecht, aber wer beherrscht die Kunst des Denkens? Warum ist Propaganda so wirksam und für viele Menschen so schwer zu durchschauen? Volker…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.02.2024 / 12:00 / 38

Wie man Desinformation umstrickt – und noch schlimmer macht

Wenn man gewisse „Qualitätsmedien" der Fehlberichterstattung und Manipulation überführt, werden die inkriminierten Texte oft heimlich, still und leise umgeschrieben. Hier ein aktuelles Beispiel.  Auf diesem Blog…/ mehr

Vera Lengsfeld / 04.02.2024 / 15:00 / 20

Die Propaganda-Matrix

Die öffentlich-rechtlichen Medien und die etablierten Medien leiden unter Zuschauer- und Leserschwund, besitzen aber immer noch die Definitionsmacht. Das erleben wir gerade wieder mit einer Propaganda-Welle. …/ mehr

Vera Lengsfeld / 02.02.2024 / 06:05 / 125

Wie man eine Desinformation strickt

Am 30. Januar erschien bei „praxistipps.focus.de“ ein Stück mit dem Titel: „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“ Hier geht es darum: Was davon kann man davon…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.01.2024 / 06:25 / 73

Tod eines Bundesanwalts

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 29.12.2023 / 13:00 / 17

FDP #AmpelAus – Abstimmung läuft noch drei Tage

Die momentane FDP-Führung hatte offenbar die grandiose Idee, die Mitgliederbefragung unter dem Radar über die Feiertage versanden zu lassen. Das Online-Votum in der FDP-Mitgliedschaft läuft…/ mehr

Vera Lengsfeld / 28.12.2023 / 10:00 / 124

Wolfgang Schäuble – Tod einer tragischen Figur

Wolfgang Schäuble, die große tragische Figur der deutschen Nachkriegspolitik und gleichzeitig ein Symbol für das Scheitern der Parteipolitik, wie sie sich in Deutschland entwickelt hat…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com