Manche Nachrichten schaffen es auf ziemlich voraussehbare Weise in die Schlagzeilen: Ein neuer Bericht, der vor der Klimaerwärmung warnt, eine Studie, die beweist, dass die Kosten für Ökoenergie in Wirklichkeit sinken, obwohl die oberflächliche Lektüre der Stromrechnung etwas anderes suggeriert – oder eben die von einem internationalen Wissenschaftlerteam untermauerte Feststellung, Deutschland sei eine bisher unentdeckte Steueroase.
„Steueroase Deutschland“ titelte jedenfalls die „Süddeutsche“ am 7. November über ihrem Aufmacher des Wirtschaftsteils, und berief sich dabei auf eine druckfrischen Studie des „Tax Justice Network“, kurz TJN, das aller zwei Jahre eine Rangliste so genannter „Schattenfinanzzentren“ zusammenstellt. „Auf dieser schwarzen Liste“, weiß die Süddeutsche, „liegt Deutschland auf Rang acht – und damit teils weit vor klassischen Steuerparadiesen wie Jersey, den Marshall-Inseln und den Bahamas“.
Es lohnt sich, zu den Quellen des Berichts vorzustoßen, zumal das Tax Justice Network bisher eher nicht im Kreis von Wirtschaftsinstituten und Wissenschaftsnetzwerken auftauchte. In Deutschland spricht vor allem Markus Meinzer für das TJN, den die „Süddeutsche“ deshalb als „TJN-Wissenschaftler“ zitiert.
Bei Meinzer handelt es sich ein Politikwissenschaftler aus Marburg, der sich vor allem in der Christus-Treff-Gemeinde Marburg engagiert. Seine Arbeit dort dürfte sicherlich ehrenwert sein. Wissenschaftliche Veröffentlichungen oder Forschungsprojekte von Meinzer zum Thema internationaler Finanzströme existieren allerdings bestenfalls im Verborgenen. Seine Expertise gründet im wesentlichen darin,dass er als Analyst für eben jenes Tax Justice Network arbeitet, eine Organisation, die vor allem für eine höhere Besteuerung von Unternehmen und mehr staatliche Kontrolle von Vermögen eintritt.
Ein Blog zu dem Thema (steuergerechtigkeit.blogspot), in dem Meinzer sich öfters äußert, nennt als Partner unter anderem attac, den DGB, ver.di und den Verband Evangelische Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt. Außerdem meldet sich für das TJN in Deutschland noch Detlev von Larcher zu Wort, ein ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter, den seine Partei 2008 hinauskomplimentierte, nachdem er sich öffentlich für ein Bündnis mit der Linkspartei ausgesprochen hatte. Als Finanzfachmann fiel der studierte Sozialwissenschaftler bisher nicht auf. Seinen letzten größeren politischen Auftritt absolvierte er im „Neuen Deutschland“, das ihn 2009 interviewte.
All das steigert freilich nur die Neugier auf die Studie selbst. Denn laut „Süddeutsche“ kommt sie zu dem Schluss, dass in Deutschland pro Jahr 29 bis 57 Milliarden Euro Schwarzgeld landen. Schon über die Datenbasis einer solchen Schätzung mit fast einhundert Prozent Spannbreite möchte man gern genaueres wissen. Schließlich wirkt sie so sachdienlich wie die Aussage eines Bankraubzeugen, der zu Protokoll gibt, der Täter sei zwischen einem Meter Zehn und eins Neunzig groß gewesen.
Aus eigenen Ermittlungen stammen diese Zahlen des TJN-Papiers jedenfalls nicht – sondern aus zwei ziemlich unterschiedlichen Quellen. Die 29 Milliarden extrahierte das TJN aus einem noch unveröffentlichten Bericht von Wissenschaftlern der Universität Utrecht über Geldwäsche und Terrorgelder, der von 2013 datiert. Die 57 Milliarden dagegen stammen aus einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds von 2010, wobei die TJN-Autoren einräumen, der IWF habe auch auf Nachfrage nicht verraten, wie er zu diesen Zahlen komme. Die freihändig zusammenkompilierte Von-bis-Schätzung markiert allerdings schon den penibelsten Punkt des TJN-Aufsatzes. Dort schreiben die Autoren über ihr eigentliches Thema:
„Es ist schon angesichts der Größe des deutschen Bankensektors zu erwarten, dass hier Gelder von korrupten Eliten und ihren Angehörigen, Kriminellen oder Steuerflüchtlingen auftauchen. (...) Wie groß diese Geldströme tatsächlich sind, lässt sich nicht abschließend feststellen. Naturgemäß ist die Datenlage über illegale Finanzströme schlecht.“
Mit anderen Worten: Nichts Genaues weiß man nicht. Weil Deutschland aber zu den wichtigen internationalen Finanzplätzen gehört, wird Schwarzgeld schon eine Rolle spielen, irgendwie.
Dem TJN gehören nach eigenen Angaben Akademiker, Glaubensvertreter und Journalisten an. Ein Mitglied, der britische Journalist und Buchautor Nicholas Shaxton, definierte vor einiger Zeit den Begriff Steueroase. In einem Erklärstück für den „Guardian“ schrieb er 2011:
Another common marker for tax havens is very low or zero taxes. They attract money by letting people escape tax, legally or illegally. Secrecy jurisdictions routinely ringfence their own economies from the facilities they offer, to protect themselves from their own offshore tricks. Offshore is fundamentally about being an elsewhere zone of escape – and offshore services are provided for non-residents. So a tax haven might, say, offer a zero tax rate to non-residents who park their money there, but tax its own residents fully.
Danach wäre Deutschland selbst nach den Kategorien der Steuergerechtigkeits-Vorkämpfer kein tax haven beziehungsweise keine Steueroase.
Beim genauern Hinsehen behaupten das die TJN-Autoren auch gar nicht von Deutschland: sie spekulieren lediglich auf einer hauchdünnen Datenbasis über Geld aus illegalen Quellen. Zur Legalisierung dubioser Finanzmittel gehört allerdings auch das brave Steuerzahlen. Der Abgeltungssteuer auf Zinsen oder der Grunderwerbssteuer entkommt ohnehin niemand, der hierzulande vorschriftsmäßig Geld parkt.
Am Ende muss das selbst dem Autor der „Süddeutschen“ aufgefallen sein. In seinem Kommentar neben dem Artikel wiederholt er die Tatütata-These von der „Steueroase Deutschland“ mit keinem Wort. Dort heißt es nur noch unter der Überschrift „Deutschland, ein Waschsalon“:
„Ausgerechnet das Land der ökonomischen Besserwisser erweist sich bei der Bekämpfung der organisierten Finanzkriminalität als Bananenrepublik, die Gangsterbanden aus aller Welt das Geschäft erleichtert.“
Und selbst für diese Behauptung liefert das dünne TJN-Papier keinen Beleg.
Fast könnte der Leser zu dem Schluss kommen, bei der „Süddeutschen“ herrsche eine gewisse Einseitigkeit. Aber der Eindruck täuscht. Sollte sich demnächst wieder eine Gruppe von Forschern und Publizisten melden, die etwa an der Erwärmungskatastrophenlehre des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung leise Zweifel hegt, dann wird das Blatt aus München mit schneidender Schärfe beweisen, dass es sich bei ihnen nur um fachfremde Dilettanten handeln kann, die mit dubiosestem Datenschrott Stimmung machen.
Auf den SZ-Journalismus ist eben Verlass.