Roger Letsch / 20.08.2022 / 10:00 / Foto: USDOD / 58 / Seite ausdrucken

Die Suche nach der verlorenen Kilowattstunde

Streckbetrieb ist heute nicht nur ein Euphemismus für langsam sterbende Kernkraftwerke, sondern eine treffende Zustandsbeschreibung für Deutschland ganz allgemein im dritten Quartal des Jahres 2022.

Wir befinden uns immer noch in Jahr eins des Ampelzeitalters. Man muss diesen Fakt im Geiste wachhalten, denn angesichts des galoppierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verfalls kommen einem die wenigen Monate wie Dekaden vor. Am wenigsten begreift es wohl die Scholz-Combo selbst, wo man sicher davon ausging, dass nun die fetten Jahre der politischen Ernte folgen würden, in denen die Welt dem Vorbild ihres Retters Deutschland folgen, die Wirtschaft auf links drehen und die Energieversorgung den Genossen Wind und Zufall anvertrauen werde. Das Mantra von Deutschland als einem „reichen Land“ wurde so oft wiederholt, dass weite Teile des politisch-medialen Komplexes und noch weitere Teile aller utopischen Weltverbesserer an diese Autosuggestion geglaubt haben. Selbst jetzt, da wir über Duschzeiten und kalte Wohnungen im Winter diskutieren, gibt man den Gedanken an verborgene Schätze nicht auf, die nur darauf warten, von klugen Politikern gehoben zu werden.

Da werden Einsparpotenziale bei Benzin, Strom und Gas vermutet, wo es keine gibt. Da wird Verschwendung unterstellt, wo seit Jahren die „schwäbische Hausfrau“ regiert. Da werden Reserven reaktiviert, die nicht vorhanden sind. Selbst Zeithorizonte schrumpfen dank Politikergeschwätz so zusammen, dass sie in tagesaktuelle Notfallpläne zu passen scheinen. Hatte die Politik einst die Angewohnheit, Kosten in die Zukunft zu schieben, borgt sie Lösungen aus einem imaginierten Übermorgenland, um damit die Probleme von gestern zu lösen. Nicht anders ist es zu erklären, warum die üblichen Verdächtigen immer noch vom schnellen Ausbau der „Erneuerbaren“ sprechen, obwohl in wenigen Wochen schon die Lichter ausgehen könnten. Streckbetrieb ist heute nicht nur ein Euphemismus für langsam sterbende Kernkraftwerke, sondern eine treffende Zustandsbeschreibung für Deutschland ganz allgemein im dritten Quartal des Jahres 2022.

Wie ernst die Lage mittlerweile ist, sieht man an der Hektik, mit welcher Habeck und Genossen an den Leinen ziehen. Ich stelle mir vor, dass durch sein Ministerium ständig völlig aufgelöste Mitarbeiter laufen, immer auf der Suche nach Gaskubikmetern und Kilowattstunden, die irgendwo ungenutzt herumliegen. Gerade lief sicher wieder so ein fahles Gesicht mit wüsten Haaren an Roberts Büro vorbei und rief „Biogas, Robert! Wir haben doch noch Biogas! Da kann man doch sicher noch was machen!“ Ganz im Sinne Ulbrichts ist aus unseren Biogasanlagen nämlich noch mehr herauszuholen, meint nun auch der Minister.

Füllfloskeln der unverbindlichen Hilflosigkeit

Es gibt da nämlich einen „Deckel“, der die Maximalproduktion an Energie der Anlagen, die im Grunde nichts anderes als Blockheizkraftwerke sind, festlegt. Den legte man einst auf diese Energieform, um nicht ausschließlich auf Maisfelder starren zu müssen. Auf die Frage der WELT, was man nun gegen diesen Deckel zu tun gedenke, lautet die ausweichende Antwort des Ministeriums: „Die Bundesregierung prüft derzeit eine Vielzahl an Optionen, die dazu beitragen können, kurzfristig weniger Erdgas im Stromsektor einzusetzen und insgesamt die Versorgungssicherheit im Energiesektor zu stärken. Dazu zählen auch Maßnahmen zur vorübergehenden Ausweitung der Stromerzeugung aus Biogas.“

Vielzahl, beitragen, kurzfristig, auch, vorübergehend, stärken… alle Füllfloskeln der unverbindlichen Hilflosigkeit gehen hier hintereinander spazieren. Konkreter wird es nicht und kann es auch nicht werden, denn die Biogasanlagen sind aus Sicht der heutigen Grünen ein Anachronismus, der nur schlecht ins aktuelle energetische Bild passen will. Sie sind erstens prinzipiell grundlastfähig, verfügen also über eine Eigenschaft, über die EEG-Apostel wie Kemfert nur die Nase rümpfen. Und zweitens kann man sie dezentral und abseits großer Netze oder Übertragungsleitungen betreiben und zumindest was die Wärmeerzeugung angeht, tut man das ja auch.

Richtig dimensioniert sind sogar lokale Off-Grid-Lösungen möglich. Zuverlässig Strom und Wärme aus einer Quelle, die ihren „Brennstoff“ aus dem direkten Umfeld, aus der lokalen Landwirtschaft bezieht… was will man mehr? Doch das „Windmüllern“ ist für Bauern seit langem lukrativer und deutlich weniger arbeitsintensiv als der Anbau von Mais, der hierzulande vorherrschenden Energiepflanze zur Biogasgewinnung. Die Idee einer sinnvollen „Energiewende“ war es einst gewesen, immer mehr solcher „Inseln“ zu schaffen, die ihren Energiebedarf tatsächlich (und nicht nur statistisch) selbst decken können und so die Verschlankung des Bedarfs an großen Kraftwerken erst möglich machten. Ob das energetisch sinnvoll ist, sei mal dahingestellt. Es war jedenfalls machbar.

Unkoordiniert, blind und ideologisch überformt

Nun hat Habeck also einige Kilowattstunden entdeckt, die in den Biogas-Anlagen „herumliegen“. Dummerweise ist er nicht der Einzige, der an diesem Zipfel zieht, und am Beispiel Biogas kann man exemplarisch sehen, wie unkoordiniert, blind und ideologisch überformt in diesem Land Energiepolitik gemacht wird.

  • Der großflächige Anbau von Mais für die Biogasanlagen bedeutet selbst für viele Grüne einen Zielkonflikt, der unter dem Namen „Tank oder Teller“ bekannt ist und sich angesichts des Krieges in der Ukraine noch verschärft hat.
  • Die Monokultur Mais ist Naturschützern ohnehin ein Dorn im Auge.
  • Wie jede andere Feldfrucht der intensiven Landwirtschaft ist auch der Mais von den Plänen der EU betroffen, Flächen zu renaturieren und den Einsatz von Düngemitteln (besonders Nitrate) und Pflanzenschutz stark zurückzufahren.

Weniger Flächen plus weniger Erträge gleich mehr Energieerzeugung geht als Gleichung leider nur auf, wenn man Mathe in der vierten Klasse abwählen durfte. Nun kommen weitere Begehrlichkeiten der Politik hinzu: Warum das Biogas vor Ort einfach verbrennen, wenn man es reinigen und ins notleidende Erdgasnetz einspeisen könnte? Nur ist das „vor Ort verbrennen“ eben keine unzweckmäßige Notmaßnahme, sondern der Zweck der Anlagen. Den zu ändern und aus lokalen Erzeugern Zulieferer für unser Gasnetz zu machen, verringerte den Wirkungsgrad der Anlagen erheblich. Dennoch überlegt man ernsthaft, für ein paar eingespeiste Kilowattstunden funktionierende lokale Systeme aufzubrechen und hofft, dadurch das große, nicht mehr funktionierende Versorgungssystem für Erdgas zu stabilisieren. Wissend, dass dies schon aufgrund von Menge und Zeithorizont nicht gelingen kann. In einigen Dörfern, die ihre Wärmeversorgung jüngst umgestellt und über die lokalen Biogasanlagen organisiert haben, klingeln gerade die Alarmglocken.

Auch beim Biogas ist also „Streckbetrieb“ geplant, und würden die Pläne umgesetzt, zerstörte man ganz nebenbei noch zwei weitere Dinge, die aktuell für Biogasanlagen sprechen: Investitionssicherheit und das Vertrauen der Kunden.

Nur heiße Luft ist ausreichend vorhanden

Fassen wir also zusammen. Es fehlt Erdgas, weil die Politik – ideologisch vernagelt – kein Fracking im Schiefer will und mit Russland aufs falsche Pferd gesetzt hat. Andere Gas-Pferde gibt es ohnehin nicht in ausreichender Anzahl. Es fehlt an Kernenergie, wegen eines Tsunamis 2011 in Japan. Es fehlt an Kohlestrom, weil die Kraftwerke angesichts des Bedarfs-Zeitfensters (bis April 2023 laut Habeck) sich scheuen, große Investitionen in den Brennstoff zu tätigen, der Weltmarkt für Kohle leergefegt ist, die Transportkapazitäten für Kohle auf Schiffen fehlen und unsere Flüsse aktuell wegen Niedrigwassers auch kaum schiffbar sind. Nur heiße Luft ist ausreichend vorhanden, aber die muss ja auch noch bis nächsten Frühling reichen. Der Gaskunde sollte schon mal einiges davon beiseitelegen, ebenso wie einige Monatseinkommen, die er für die explodierenden Gaspreise, Strompreise, Benzinpreise, Lebensmittelpreise und – nicht zu vergessen – die vielen Umlagen jeden Monat brauchen wird. Streckbetrieb also auch für Brot, Butter und Geduld.

Das klingt alles düster und pessimistisch. Genau wie ein aktuelles Ereignis, welches sich anekdotisch zur Beschreibung der politischen Lage dieses Landes wie kaum ein anderes eignet. In Bremerhaven ist gerade ein Wahrzeichen der Stadt und ihrer maritimen Tradition ins Straucheln gekommen. Das Fundament des Leuchtturms der Nordmole ist an einer Seite abgesackt, der Turm steht gefährlich schief und ist sehr wahrscheinlich nicht zu retten.

Die Bestürzung ist allenthalben groß, und der erstaunte Leser erfährt, dass das Fundament schon seit Langem als marode galt. Man kannte die Probleme gut und war, so die Aussagen der Politik, mit der Planung für einen Neubau des aktiven Leuchtfeuers „fast fertig“. Schon 2025 sollte der alte, denkmalgeschützte Leuchtturm versetzt sein und ein neues Leuchtfeuer in Betrieb gehen. Doch die Realität kümmert sich leider nicht um die Pläne von Bundesbehörden. Auch der Einsturz des internationalen Leuchtfeuers „deutsche Energiewende“ könnte vor dem geplanten Datum ihrer Vollendung liegen, weil im Kampf der Politik mit der Physik immer die Physik gewinnt. Immerhin stand der Leuchtturm in Bremerhaven 108 Jahre lang gerade; dass man solches dereinst auch von unserer Energiewende sagen kann, darf bereits nach 20 Jahren bezweifelt werden.

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Hans Michel / 20.08.2022

Dieser Leuchtturm ist Symbol für die ganze Deutsche Wirtschaftspolitik. Die ganze Windmühlenchose hätte ja mit ausrechend Gas aus Russland geklappt. wenn man dieses nicht mehr kommuniziert hätte. Große Winderfolge und Gas einfach vergessen. Bub macht der böse Putin nicht mehr mit, weil der seine eigenen Interessen verfolgt. Darf der denn das überhaupt? Hat er Frau Baerbock gefragt? Was Flüssiggas angeht, wird denn neben Mais auch die große Menge an weggeschmissenen Lebensmitteln mit vergoren? Wenn nicht, würde mich mal interessieren warum nicht? Sicher nur ein Mini-Teil der Probleme.

Wolf Hagen / 20.08.2022

Also bitte, das sind doch alles nur Petitessen. Wichtig ist, dass wir mit unseren Steuermilliarden irgendwelche Inseln in der Südsee retten, palästinensische Terrorbanden finanzieren, Wirtschaftsmigranten direkt vor der heimischen Küste abholen, Entwicklungshilfe an China und Indien zahlen und möglichst jeden Afrikaner und Muselmanen, weltweit, nach Germoney, zur angestrebten Vollallimentierung, lotsen. Zusätzlich muss schließlich auch noch die grüne SA und der Rotfrontkämpferbund, heute besser bekannt, als Faktenchecker, (Migr-)AntiFa, Deutsche Umwelthilfe, Weltklimarat, Ende Gelände und Extinction Rebellion, etc. beschäftigt und finanziert werden. Die echten Deutschen sind sowieso alle Nazis und super reich, die kommen schon klar, was soll sich die Politik mit deren Problemen belasten?! Wenn die frieren, oder das Licht ausgeht, halb so wild, Hauptsache die halten brav die Fresse! Falls nicht, schickt die Nancy eben die Truppen des Innenministeriums… Problem gelöst!

b. stein / 20.08.2022

Suche nach Gaskubikmetern und Kilowattstunden - erinnert mich an meine Ausbildung im KKW. Die alten Hasen gabe jedem Lehrling in den ersten Tagen in der Praxis die Aufgabe ein paar Tüten Energieabfall von Block 1 zu holen. Die damalige Verarsche war lustig, wir haben uns alle schlappgelacht. Heute werden Geschichten von Siemens Lufthaken und sonstigen Verrücktheiten als absolute Wahrheit rübergebracht

Emmanuel Precht / 20.08.2022

Da kommt der Politik der niederige Pegelstand im Rhein ja wie gerufen! Der Nibelungenschatz kann endlich zur Staatsfinanzierung geborgen werden. Nur noch wenige Zentineter und es ist vollbracht. Wohlan…

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