Ulli Kulke / 08.11.2022 / 10:00 / Foto: Pixabay / 122 / Seite ausdrucken

Die Straßenblockade und der Tod

Die Debatte in Berlin ist seit zehn Tagen bestimmt vom Tod einer Radfahrerin und der verspäteten Hilfe für die Verunglückte aufgrund einer Straßenblockade der „letzten Generation“. Der Autor hat den Vorgang minutiös nachrecherchiert und analysiert das gesellschaftliche Umfeld. 

Die Debatte über das Berliner Lokalgeschehen ist seit zehn Tagen bestimmt von einem Thema. Eine Radfahrerin kam unter die Räder eines LKW, mal wieder, in dem Fall unter die Räder eines Betonmisch-Fahrzeugs. Sie starb drei Tage später im Krankenhaus. Ihre Rettung hatte sich verzögert. Ein Spezialkran der Feuerwehr, der angefordert wurde, um sie aus ihrer festgeklemmten, lebensgefährlichen Lage zu befreien, steckte auf der Stadtautobahn in einem Stau lange Minuten fest, der von Klimaaktivisten, die die Schnellstraße blockierten, absichtlich ausgelöst worden war. 

Seit dem Unfall am Montag, 31. Oktober, erst recht nach dem Tod der Frau, ist in der Berliner Öffentlichkeit ein Kampf um die Deutungshoheit im Gang, der in seiner Heftigkeit seinesgleichen sucht, ja, der auch über eine Leiche geht. Der Hauptvorwurf: Der Fall werde instrumentalisiert. Aber von welcher Seite eigentlich? Pietät jedenfalls geht anders. Die Details sprechen für sich. Die Diskussion ist immer noch in vollem Gang, im Netz, in den Blättern und deren Leserbriefspalten. Ja, und es geht auch darum, ob der Republik nicht weniger als die Wiederkehr des Terrors der 70er und 80er Jahre droht. Am Montag, eine Woche nach dem Unfall, lautet die Titelschlagzeile des Tagesspiegel: „Union fürchtet ‚Entstehung einer Klima-RAF‘“. Nur Panikmache? Wohl kaum. Diese Vision, wohlgemerkt, hegen nicht nur diejenigen, die dies befürchten, sondern – zum Teil – auch diejenigen, die sie befeuern.

Die Diskussion dreht sich zentral auch um die Details des Vorgangs. Deshalb lohnt der Blick zurück: Was ist geschehen?

Am Montag, 31. Oktober, wurden Rettungskräfte der Feuerwehr und eine Notärztin alarmiert: An der Kreuzung Bundesallee/Spichernstraße nahe Bahnhof Zoo lag eine Radfahrerin unter einem Betonmischer, der sie überrollt hatte. Eingeklemmt, man konnte sie nicht hervorziehen. Sie war offensichtlich sehr schwer verletzt.

Ermittler setzen auf Kameras aus einem Tesla

Die Entstehungsgeschichte des Unfalls ist bis heute der Öffentlichkeit nicht bekannt. Es gibt erst mal keine Hinweise darauf, dass es sich um einen klassischen (weil häufigen) „Abbiegeunfall“ handelte. Der LKW-Fahrer wollte – derzeitiger Stand der Erkenntnisse – offenbar weiter geradeaus die Bundesallee befahren, nicht abbiegen, blieb auf seiner Spur. Hoffnungen zur Klärung liegen hier auf den Kameras in einem beim Unfall anwesenden Tesla-PKW, die – bauart-typisch – permanent die nähere Umgebung filmen.

Wohin die Radfahrerin wollte und wie sie unter den LKW geriet, ist nach wie vor unklar. Tatsache ist, dass sie an der Stelle eigentlich einen ausgewiesenen und beschilderten Radweg hätte benutzen müssen. Tatsache ist aber auch, dass der Radweg sehr eng ist und dass die Kreuzung – besser: vierspurige Gabelung – für Radfahrer nur umständlich zu überqueren ist. Ja, dass sie den hochfliegenden Ansprüchen des Berliner Senats und seiner seit vielen Jahren laut propagierten „Mobilitätswende“ in keiner Weise gerecht wird und deshalb von der Fahrradlobby bereits oft kritisiert wurde. Es sieht so aus, dass die Radlerin – vorschriftswidrig – auf ihrem Rennrad den schnelleren Weg über die Autofahrspur nehmen wollte und dabei verunglückte, wie auch immer.

Als die Rettungskräfte der Feuerwehr samt Ärzten eintrafen, forderten sie umgehend einen Kranwagen an, der den Betonmischer anheben und die Frau so weit befreien sollte, um sie ins Krankenhaus transportieren zu können. Dieses „Rüstfahrzeug“ ist in Siemensstadt stationiert, unmittelbar an der Stadtautobahn, damit er allfällige Unfallorte in ganz Berlin schnell erreichen kann. Doch als er auf den Stadtring auffuhr, stand er sogleich im Stau und kam trotz Blaulicht nicht voran.

Dieser Stau war verursacht von Klimaaktivisten der „Letzten Generation“, die sich in Berlin derzeit fast täglich – unter anderem auch – auf der Autobahn oder deren Zu- oder Abfahrten festkleben oder sich von Schilderbrücken abseilen, um eben genau solche Staus zu provozieren (wenn sie nicht gerade millionenteure Gemälde mit Kartoffelbrei oder Suppe bewerfen). Sie reklamieren, den Staat so zu schnelleren und durchgreifenderen Maßnahmen gegen den CO2-Ausstoß zu veranlassen. Genau in so einem Stau, einem mehrere Kilometer langen, saß das Rüstfahrzeug jetzt fest.

Der LKW-Fahrer wurde mit einem Messer angegriffen

Eine Rettungsgasse, die Autofahrer in so einem Fall bilden müssen, funktionierte nicht. Entweder, weil die Autofahrer sie nicht konsequent bildeten, oder weil der überdimensionierte Kranwagen sowieso zu breit gewesen wäre für eine enge Gasse. Feuerwehr und Polizei sagten gegenüber der Öffentlichkeit jedenfalls an dem Montag (und den Folgetagen), dass sich aufgrund des Staus die normale Fahrzeit des Spezialfahrzeugs um knapp zehn Minuten verzögerte, er konnte erst nach einer guten Viertelstunde eintreffen. Und sie sagten am selben Tag später auch, dass eine zügigere Befreiung des Unfallopfers ihre Überlebenschancen deutlich verbessert hätte.

Inzwischen geschahen zwei Dinge: Als der LKW-Fahrer ausgestiegen war, fiel ein Mann über ihn her und stach mit einem Messer auf ihn ein. Später stellte sich heraus, dass der Täter geistig verwirrt ist. Dennoch ist wohl davon auszugehen, dass er dem LKW-Fahrer eine Unfallschuld unterstellt hatte (ich werde darauf zurückkommen). Die Rettungskräfte hatten also plötzlich einen zweiten Patienten, lieferten ihn ins Krankenhaus. Derweil schafften sie es, die Frau unter dem Auto hervorzuziehen. Man hatte sich entschlossen, nicht auf den Kranwagen zu warten, und bewegte den Betonmischer aus dessen eigener Kraft, bekam die Verunglückte so frei und brachte sie ebenfalls ins Krankenhaus.

Bereits am Montagnachmittag, da lebte die Radfahrerin noch, brach eine heftige Diskussion in der Stadt aus. Natürlich auf Basis der Erklärungen von Polizei und Feuerwehr. Aus der CDU war zu hören: „Jetzt ist eingetreten, wovor wir immer gewarnt haben“. In der Tat hatte sich die Kritik an den Klebeblockierern in den letzten Wochen und Monaten sehr häufig um den Vorwurf gerankt, es würden durch die ausgelösten Staus eilige Rettungsfahrten, Krankenwagen, Notärzte behindert. Auch SPD, Grüne, FDP und AfD klagten die Klebeaktivisten und ihre Gefährdung von Menschenleben an, übten vor allem deshalb jetzt auch teils scharfe Kritik.

Die Vorwürfe sind ganz offenbar berechtigt. Immerhin sind aus den letzten Wochen bereits 18 weitere Fälle dokumentiert, in denen Krankenwagen im Notfalleinsatz trotz Blaulicht in einem von Klimaaktivisten ausgelösten Stau längere Zeit steckengeblieben sind (ganz abgesehen von den inzwischen aufgelaufenen 140.000 Einsatzstunden der Polizei, wer kommt dafür auf?).

Und, wohlgemerkt: Sogar die „Letzte Generation“ selbst teilte unter dem Eindruck der vorliegenden Erkenntnisse mit, sie könne nicht ausschließen, dass die Verspätung des Rüstwagens auf einen durch sie verursachten Stau zurückzuführen sei, sie sei „bestürzt“. Einerseits. Andererseits baute sie zum einen eine Verteidigungsstrategie auf: Man selbst achte immer darauf, dass eine Rettungsgasse freigehalten werde. Und zum anderen: Es gebe doch sowieso täglich Staus, das kenne doch jeder, auch auf der Autobahn. Wer könne schon wissen, ob es ohne ihre Blockade den Stau nicht sowieso gegeben hätte. Stau sei Ausdruck des Autowahns, nicht der „Letzten Generation“.  

Tweet aus der Aktivistengruppe: „Shit happens“, weitermachen! 

Allerdings: Ein langjähriges Mitglied der Gruppe ging noch einen großen Schritt weiter. Per Twitter sonderte er seine Botschaft zum Unfall ab, die an Häme und Zynismus nichts zu wünschen übrigließ: „Scheiße, aber nicht einschüchtern lassen. Klimakampf, nicht Klimakuscheln, & shit happens“. Und, wohlgemerkt, derselbe Aktivist hatte vor einiger Zeit schon mal von einer „Grünen RAF“ geträumt. Die heillos selbstüberschätzende Arroganz eines Andreas Baader hat er sich bereits vorsorglich angeeignet. Ob er auch weiß, wie das damals alles endete? Immerhin, seinen Tweet hat er inzwischen kleinlaut wieder gelöscht. Ob das reicht? Wer genau hinhört, wie die Aktivisten argumentieren, kann nicht mehr ausschließen, dass mit dem Gedanken an „höhere Gewalt“ mehr als nur einer sympathisiert.  

Die Diskussion über die Taten der „Letzten Generation“ und die Reaktionen aus Politik und Medien, die aufkommenden Forderungen nach härteren Strafen dominierten schon vorher die öffentlichen Debatten in Berlin. Umso zentraler stehen sie nun im öffentlichen Raum.  Aus der Politik kam harte Kritik, insbesondere vom Innensenat und der Opposition. Die Medien hielten sich eher zurück, äußerten jedenfalls auch viel Verständnis für die jungen Leute, meinten, sie gingen nur zu weit.

In den sozialen Netzwerken indes ist der Spieß längst umgedreht. Hier geht überwiegend harte Kritik in Richtung der Kritiker von „Letzte Generation“: Diese würden den Tod der Radfahrerin nur instrumentalisieren gegen die mutigen Kämpfer, die sich einfach nur für mehr Klimaschutz einsetzten, und wollten so gleichzeitig einen radikaleren Klimaschutz gleich mitdesavouieren.

Die Diskussion erhielt neuen Zündstoff. Das – sowieso eher zart angedeutete – Insichgehen der Gruppe war nur kurzlebig. Ungeachtet des Todes der Radfahrerin erklärte die Gruppe am Freitag: „Wir setzen die Blockaden fort“. Sie bat die Öffentlichkeit, „habt Mut, unterstützt uns.“ Eine Aufforderung, die es in sich hat. Diese Unterstützung gibt es nämlich bereits, wie die Welt in einem Beitrag mitteilte. Und zwar als eine Art von Schwarm-Solidarität, die nicht weniger als eines der Grundprinzipien unseres Rechtsstaates aushöhlt: das Prinzip, dass es für Straftaten eben Strafen gibt, die vor Wiederholung abschrecken sollen. Der Mechanismus ist im Fall der „Letzten Generation“ außer Kraft gesetzt.

Es gibt ein Spendenkonto, auf dem am letzten Freitag gut 60.000 Euro lagen. Daraus dürfen sich diejenigen bedienen, die – und dies betrifft die wenigsten der Blockierer – dingfest gemacht wurden und zu Strafzahlungen verurteilt wurden (in der Regel niedrige bis mittlere dreistellige Beträge). Und: ich würde die Vermutung, dass die in wohlsituierte Kreise hinein gut vernetzten Klebe-Aktivisten und gleichgesinnten Aktionsgruppen hierfür kurzfristig ein Vielfaches locker machen könnten, zumindest mal als nicht weltfremd bezeichnen.

Dass jetzt der Ruf nach Freiheits- statt Geldstrafen lauter wird, ist deshalb nur logisch. Vor allem aus der Union in Bund und Land kam die Forderung. Alle anderen Parteien hielten sich zurück. Sogar die AfD warf der CDU/CSU „klassischen Oppositionspopulismus“ vor, „fürs erste würde es ausreichen, die bestehenden Gesetze anzuwenden“. Wie sich die Partei sowieso überraschend moderat zu den Vorgängen äußerte: Man müsse bei dem Unfall „mit persönlichen Schuldzuweisungen vorsichtig sein“, sagte Fraktionschefin Alice Weidel, bevor sie die Grünen aufforderte, mäßigend auf die „Letzte Generation“ einzuwirken.

Die Süddeutsche zieht Trumpf zur Entlastung der Blockierer

Viele Beobachter und Kommentatoren, aber insbesondere die Aktivisten selbst sahen dann, am Freitag, 4. November, eine völlig neue Lage. An dem Tag gab die Süddeutsche Zeitung indirekt zu erkennen: Sie habe den großen Entlastungs-Trumpf für die Aktivisten in der Hand. Laut ihrer Recherche nämlich habe die am Unfallort an jenem Montag eingesetzte Notärztin unmittelbar nach Inaugenscheinnahme der Umstände entschieden: Der Kranwagen ist unnötig, wir bewegen den Betonmisch-LKW aus dessen eigener Kraft, und so sei es dann auch geschehen. Darüber sei bereits einen Tag später die Innenbehörde informiert worden. Ein Umstand, der wie Kai aus der Kiste kam. Aus dem Haus der Innensenatorin verlautete als Antwort darauf erst mal: Diese Erklärung habe ihr nicht vorgelegen und liege auch nicht vor.

Ein Umstand, der noch einiger Klärung bedarf. Und dennoch ging vorsorglich am Freitag und Samstag durch den Blätterwald zwischen den Zeilen das große Aufatmen. Die Süddeutsche fasste zusammen: „Das ganze Leben ist Risiko. Nicht jedes Risiko wird von der Rechtsordnung missbilligt.“ Und im Übrigen werde schließlich gegen den Fahrer des Betonmischers ermittelt, „in erster Linie“, wie das Blatt ausdrücklich betont. Dass dies dem gängigen Ermittlungs-Prozedere geschuldet ist und weder eine Schuld des Fahrers noch die Unschuld der Aktivisten irgendwie nahelegt, wird unter den Teppich gekehrt.

Der Tagesspiegel legt noch einen drauf: In einem Kommentar der Kolumnistin Hatice Akyün, in dem sie sich über die „Instrumentalisierung“ des Unfalls beklagt und den „lebensgefährlichen Verkehr“ in der Schuld sieht und nicht die Klima-Aktivisten, ist sie sich nicht zu schade, ihre „Wut auf den Fahrer des Betonmischers“ auszudrücken, als ob es bisher irgendeinen Hinweis auf seine Schuld geben würde.

Nur zu oft tragen LKW-Fahrer Schuld am Tod von Radfahrern, ja, aber die Journalistin der führenden Hauptstadtzeitung instrumentalisiert blindlings selbst in höchstem Maße, fördert so durch ihren grundlosen, pauschalen Vorwurf eine Stimmung, aus der heraus – genau wie am Montag geschehen – LKW-Fahrer inzwischen mit dem Messer angegriffen werden, auch wenn kein Mensch weiß, was überhaupt passiert ist.

Der Tagesspiegel hat „Wut auf den LKW-Fahrer“. Warum?

Auf billige Weise, weil das Bild des radfahrerübermangelnden LKW-Fahrers (ja, aufgrund einschlägiger Vorkommnisse) in allen Köpfen ist, meint sie offenbar, die Klimaaktivisten dadurch aus der Verantwortlichkeit ziehen zu können. Quasi vordergründig um Ausgewogenheit bemüht, schreibt sie dann auch noch, dass sie wütend ist auch auf die Aktivisten. Das aber nicht, weil die Menschenleben gefährden, sondern weil sie in ihren Augen dem Anliegen Klimaschutz schaden. Nach dem Motto: Wenn allen klar wäre, dass der Klimaschutz eben auch mal über Leichen gehen muss, dann wäre das allein kein Problem.  

Die Diskussion hat inzwischen unerträgliche Züge angenommen. Unerträglich auch, weil die Klima-Kleber bei der Verteidigung ihrer Aktionen sich in vielen Zeitungen und Rundfunkredaktionen gut aufgehoben fühlen können. Das Verständnis dort erinnert fatal an die End-60er-Jahre, als die Intellektuellen des Landes eben auch Verständnis bekundet haben für Gewalt gegen Sachen und blind dafür waren, dass dieselbe gar nicht mehr weit entfernt war von Gewalt gegen Personen. Die Protagonisten von damals haben längst nicht nur den erklärten Marsch durch die Institutionen absolviert, sondern – weit wirksamer – auch durch die Redaktionen.

Und so finden die fadenscheinigsten Argumente der Klimakleber offene Ohren in den Nachrichten und Kommentaren.

Etwa, dass sie „natürlich“, großzügig wie sie sind, immer für Rettungsgassen sorgen würden. Die mittleren aus der Reihe derer, die ganz vorn Autobahnauf- und -abfahrten blockieren, seien nie angeklebt, heißt es jetzt, die säßen nur da, quasi mobil. Abgesehen davon, dass man sich fragt, warum die Polizei diese Nichtkleber nicht regelmäßig sofort abräumt und den Verkehr erst einmal wenigstens durch diese Lücke fließen lässt: Natürlich hat von denen niemand einen Überblick darüber, was auch nur 100 Meter weiter hinten, geschweige denn drei, vier Staukilometer weiter geschieht, ob da eine Rettungsgasse sich befindet oder doch nur ein Rettungswagen in Not.

„Letzte Generation“ führt eigenes Geschäftsmodell ad absurdum 

Oder: Stau finde doch sowieso andauernd statt, der Autoverkehr sei schuld. Ja, warum sind dann fürs Klima überhaupt noch weitere, künstliche Staus zielführend? Mit diesem Argument führt die „Letzte Generation“ ihr eigenes Geschäftsmodell ad absurdum, und keiner merkt’s – oder, was noch schlimmer wäre: Keiner sagt’s.

Immer wieder hören wir, wir hätten nur noch zwei oder drei Jahre, um die ganz große Wende einzuleiten, sonst nähme das Klima irreparable Schäden. Für wie dumm will man uns verkaufen? Für wen gelten die drei Jahre? Für Deutschland? Für China? Für Afrika, die USA? O-Ton einer Kommandoerklärung der Aktivisten: „Die Bundesregierung soll unseren Protest beenden – jetzt  –, indem sie die Krise in den Griff bekommt. Bis dahin geht der Widerstand weiter.“ Die Krise, gemeint ist die „Klimakrise“, in den Griff bekommen? Die Bundesregierung? Unfug, der weh tut. „Wenn man ständig betont, es sei kurz vor zwölf, dann hat dies ungewollt einen kontraproduktiven Effekt. Es stellt sich bei Vielen der Eindruck ein, dass die Warnungen übertrieben sind,“ sagt auch Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin.

Was den Antrieb der Aktivisten für ihre Blockaden angeht, so entlarven sie sich durch ihre Forderungen selbst, sobald sie in die Nähe von Konkretion kommen. Man wäre doch schon mit kleinen Zugeständnissen bereit, klingt es immer wieder durch, man bettelt, in geradezu kindischer Manier. Mit dem Tempolimit zum Beispiel (was der Autor dieser Zeilen begrüßen würde, aber nicht so), oder einem neuen 9-Euro-Ticket. Hätte denn damit die Bundesregierung „die Klimakrise im Griff“, die globale?

Die Diskrepanz zwischen den vollmundigen Zielen („Klimakrise in den Griff kriegen“) und den kleinmütigen Betteleien könnte nicht größer sein. Man sagt nicht: Bitte um eine kleine, symbolische Gabe. Man meint es aber. Letztlich weiß man eigentlich gar nicht, was man will. Man vermag es jedenfalls nicht zu formulieren, nicht angemessen jedenfalls der Wucht der alltäglichen, handfesten Aufdringlichkeiten, Zumutungen gegenüber der Gesellschaft, den insgesamt bedeutenden Millionenschäden durch Verspätungen. Und, ja, auch der Gefährdung von Menschenleben. Denn aus der Nummer kommen sie nicht heraus, auch wenn die Notärztin tatsächlich unmittelbar nach ihrem Eintreffen entschieden haben sollte, nicht auf den Kranwagen zu warten.

Das Betteln um eine milde Klimagabe

Die Aktivisten machen geltend: jede Demonstration behindere den Autoverkehr. Ob man jetzt alle Demos verbieten wolle. Eine mehr als schräge Argumentation. Demonstrationen sind angemeldet, Rettungsfahrzeuge können sich darauf einstellen. Die „Letzte Generation“ aber nimmt es in Kauf, dass durch ihre Aktionen Notfalltransporte, auch mit womöglich lebensgefährlich erkrankten oder verletzten Patienten an Bord, rettungslos im Stau stecken. Auch die wirtschaftlichen Schäden, wen wollen sie damit überzeugen?  

Dass die Klimakatastrophe noch schlimmer sei, ist im wahrsten Sinne ein Totschlagargument, damit ließe sich schließlich alles rechtfertigen. Auch Mord und Totschlag, alles wie gehabt – so wie einst Otto Mühl auf offener Bühne in blutigem Gemetzel ein Schwein schlachtete mit der Bemerkung, was man denn wolle, der Vietnamkrieg sei schließlich folgenreicher. Relativieren als Propaganda-Instrument.

Offenbar sieht sich die Szene inzwischen in der Defensive, weil sich nichts tut, der Unmut in der Bevölkerung wächst, auch wenn die Medien einen anderen Eindruck vorschützen. Aus der Politik zeichnen sich keine persönlich entlastenden Zugeständnisse ab. Eine – vorläufige – Exitlösung wäre willkommen. Nahziel: Gesichtswahrung. Man bettelt um einen kleinen Zipfel, eine milde Gabe, mit der in der Hand man sein Machtspielchen mit den Mächtigen erhobenen Hauptes nach einer kleinen Auszeit in die nächste Runde hinüberführen könnte. Dann auch in Richtung Öko-RAF, erst mal beim harten Kern?

Am Wochenende forderte die Gruppe ultimativ ein Gespräch mit dem Bundeskanzler, dem Finanz- und Wirtschaftsminister und anderen Kabinettsmitgliedern. Und man signalisierte auch bereits, wann man für Scholz, Habeck und Lindner Zeit habe: Am kommenden Donnerstag ginge es wohl. Wenn der Bundesregierung an der Aufwertung völlig beliebiger Störaktionen auf unseren Straßen gelegen ist, mit „open end“ für das weitere Geschehen, dann sollte sie darauf eingehen. Viele namhafte Medien dürften so etwas wohlwollend, groß aufgemacht begleiten und sich so an dieser Aufwertung beteiligen.

Lesen Sie zum Thema auch die Artikel „,Der Spaß hat aufgehört' – Keimt eine Grüne Armee Fraktion?" und „Wann knallt's im Klimazirkus?“ von Wolfgang Röhl.

 

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Leserpost

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Bernd Oberegger / 08.11.2022

Warum passiert so etwas? Man sollte routinemäßige amtsärztliche Untersuchungen der eigentlichen Verantwortlichen einführen. Sie sollten nicht auf diesen Symptomenkomplex beschränkt bleiben. Es ergibt sich ein weites Betätigungsfeld.

Kristina Laudan / 08.11.2022

Alternativ fahren dann eben keine LKW mehr - nur: Woher sollen die Klima-Terroristen dann ihren Kleber und ihre Westen beziehen? Die werden ja mit LKW in entsprechende Geschäfte oder von oder zu amazon (o.ä.) geliefert! Ohne LKW keine Waren! Keine Lebensmittel, nichts!

Arne Ausländer / 08.11.2022

Oh, Sabinchen ist auch der unschuldigen Meinung, man solle allen den Tod wünschen, die nicht dem eigenen Meinungsspektrum angehören. Oder genauer: Bei denen nicht SICHER ist, daß das nicht vielleicht doch zu den Feinden gehören. Gut, das zu wissen. Klausi, Billy und Kumpanen freuen sich: Bald schlägt sich das Gesocks gegenseitig tot! Ökologisch wie ökonomisch die bese Variante.

Bernhard Böhringer / 08.11.2022

Ja wenn das so ist: Ich fordere auch ein ultimatives Gespräch über die Verbrechen im Namen der Wissenschaft und Medizin der in den vergangenen beinahe drei Jahren. Ansonsten kleb’ ich mich vor dem RKI fest.

Sam Lowry / 08.11.2022

Sabine@Schönfelder: Treffer! Versenkt!

Dirk Jungnickel / 08.11.2022

“An ihrer Semantik sollt ihr sie erkennen ! ” - was auch für Herrn Kulke gelten sollte. Wenn man die Kleber und Kunstbeschädiger als “Klima a k t i v i s t e n”  tituliert, hat man m.M.n. nach schon verloren. Die Klimasekte verübt natürlich Klima – T e r r o r i s m u s, nix anderes. Und die rot- rot -grünen Regierungsdarsteller von Berlin finden, dass die Gesetze ausreichend sind, um diese Kriminalität zu ahnden. Das hin und wieder regierungskritische Blatt Berliner Morgenpost veröffentlichte einen scharfen Artikel von S. Haberstumpf gegen diese Aktionen ,  ( Titel : ” Klima - ‘Sekte’ will göttlichen Beistand ” /26.10. 22 ) Das gleiche Blatt bringt später aber halbseitige Reportagen über die Straßenblockaden. Der Inhalt ist zweitrangig, aber die absurde Aufmerksamkeit , die den Fanatikern damit zuteil wird, ist genau das, was diese bezwecken. Man fragt sich, was in den Redaktionsstuben vor sich geht. Heimliche Sympathie nicht ausgeschlossen .....?

Uwe Heinz / 08.11.2022

@Herr Michael Stoll: Klasse Vorschlag! Die Regierungsflieger bleiben auch stehen. Und was danach von Berlin noch vorhanden ist schicken wir als Reparationsleistung nach Polen - zusammen mit der Ampel und ihren Zuarbeitern.

Moritz Ramtal / 08.11.2022

@Reinhard Max Straßen sind ein Netz, mache ich eine zu gibt es auf anderen mehr Verkehr, es muss also nicht der direkte Weg sein um zu verzögern.

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