Cora Stephan / 07.07.2022 / 10:00 / Foto: martinak15 / 68 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Was wir vermissen werden

Die Verzweiflung an der Politik lässt eine neue Biedermeier-Epoche blühen. Und die EU wird sich bald nicht mehr auf ihren bislang größten Nettozahler verlassen können, wenn dessen Taschen leer sind.

Was werden wir diesen Sommer vermissen, wenn er vorbei ist? Die im Überfluss blühenden Rosen, die vollbeladenen Apfelbäume, die Kirschen und die Johannisbeeren, die duftenden Lilien, rankenden Bohnen, die Sonnenuntergänge abends am Fluss. Die Freunde, endlich wieder, die Umarmungen, das Gelächter, die Biergärten, die Radtouren. Schnarchende Katzen unterm Sonnenschirm, müde Hunde in der Hausecke, tobende Spatzenbanden im Birnbaum, unermüdlich jubelnde Amseln in wiegenden Baumwipfeln, Horden von Mauerseglern hoch am Himmel. Landregen. Erfrischenden Wind. Monde, in jeder Form, umtanzt von im Abendlicht rot schimmernden Federwölkchen.

Und dann der Geruch von frisch gemähtem Heu. Der goldene Staub über den Getreideäckern, auf denen die Erntemaschinen bis spät in den Abend ihre Runden drehen und gelbe Strohballen verteilen. Das Rauschen auf der Bundesstraße, das davon kündet, dass auf der Autobahn wieder einmal Verkehrsberuhigung stattfindet. Mehr als ein Glas Weißburgunder draußen am Gartentisch. Taumelnde Fledermäuse. Im Haus ein frisch bezogenes Bett. Was werden wir das alles vermissen.

Jetzt alles sammeln, was dem Auge gut tut. Sonnenwärme speichern, wenigstens die Erinnerung daran. Und nie diese Augenblicke vergessen, in denen alles andere weit weg gerückt ist. In denen das Draußen auch draußen bleibt, mit allem Tragischen, Unbegreiflichen, unendlich Dummen. Mit all dem Unausweichlichen. Heute noch stille Tage im Biedermeier. Was geht mich das alles an, das hohle Geschwätz, die Appelle, das Schamlose. Das Feuerholz liegt trocken.

Vor dem Winter des Missvergnügens

Doch ein paar Kilometer weit entfernt von der provinziellen Idylle ist die Beklemmung wieder da, sobald man in ängstliche Augen über einer hoch über die Nase gezogenen schmuddelig-weißen Maske geblickt hat. In der Apotheke sagen sie, sie hätten sich daran gewöhnt. Unvorstellbar. Nach sechzehn Jahren Angela Merkel, zwei Jahren Corona und acht Monaten Ampelregierung ist das Land kaum wiederzuerkennen. Einst ein Riese, heute ein gebückter Zwerg, der sich daran gewöhnt hat, dass ihm jeder in den Hintern tritt. Was ist passiert und woran liegts? An Putin, an wem sonst. Und deshalb ab Oktober wieder Maske. Ach.

Die Stimme der Provinz klingt heute etwas belegt, ich weiß. Tut mir leid. An der verordneten Duschscham liegt es nicht. Eher an den Aussichten auf den Winter, der jede Menge Missvergnügen bereit hält. Aber wollen wir uns davon die Laune vergällen lassen? Bleiben wir lieber in der Gegenwart, bei Sonne, Sylt und Sekt. Bleiben wir beim Positiven! Finanzminister Christian Lindner heiratet, auf Sylt, mit um die 140 Gästen, darunter viel Politprominenz, drei Tage lang vom Feinsten und Teuersten. Nur die Kosten für den Personenschutz übernimmt er nicht, den tragen wir, die Steuerzahler. Warum eigentlich, fragt nicht nur Cindy aus Marzahn. Auf der Wunschliste für die Hochzeitsgeschenke soll übrigens auch eine Suppenterrine der Königlich Kopenhagener Porzellan-Manufaktur stehen, die wohl über 1.000 Euro kostet, heißt es gerüchteweise. Verständlich! In Zeiten der Inflation braucht man bleibende Werte. Möglich allerdings auch, dass die Terrine als Höhepunkt des Polterabends zerschellen soll, das ist Tradition in Lindners Heimat. 

Und für alle, denen das noch nicht positiv genug ist – freuen wir uns doch einfach mit unseren Abgeordneten über die jüngste Diätenerhöhung und darüber, dass Bundeskanzler Scholz zu den höchstdotierten Regierungschefs in Europa gehört. Es muss ja nicht jeder da draußen gleich spitzkriegen, dass Deutschland längst pleite ist. Und das ist, wenn wir mal nach vorwärts und nicht immer nur egoistischerweise an künftige Heizkosten und den Untergang der Industrie denken, irgendwie auch positiv!

Die EU wird sich nämlich bald nicht mehr auf ihren bislang größten Nettozahler verlassen können, wenn dessen Taschen leer sind. Seht zu, wie ihr ohne uns zurechtkommt, liebe Nachbarn. Und die milliardenschwere Wiederaufbauhilfe für die Ukraine, obwohl viele im Ahrtal noch über ein Jahr nach der Flutkatastrophe auf die versprochene Hilfe warten? Fällt flach. Und nicht zuletzt werden die meisten das Land wieder verlassen, die einst gekommen sind, weil Deutschland mit einem großzügigen Sozialstaat lockte.

Wir aber ziehen uns ins Private zurück, machen statt Spotify wieder Hausmusik, lesen abends bei flackerndem Kerzenlicht und blakendem Kaminfeuer all die Klassiker, die wir längst schon lesen wollten, und denken an den Sommer zurück. An den Sommer davor.

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Bechlenberg Archi W. / 07.07.2022

Lieber @Michael Fasse, um Himmels Willen, grämen Sie sich nicht wegen mir! Bloß nicht! So überzeugt Sie davon sind, dass “da drüben” etwas ist, so sicher bin ich mir, dass da nix ist. Wissen können wir es natürlich beide nicht, somit heißt es: Abwarten und Whisky trinken. Schau’n wir mal. Ich riskiere gerne, dass ein “Gütiger Gott” mir die Hölle heiß macht; die Gefahr, dass es so kommt, liegt im nicht mehr messbaren Bereich. Bitte sehen Sie meine Seele als verloren an und belasten Sie sich nicht damit! Ich meine das ganz ohne Spott und Häme, Ihre Sorge rührt mich an. Danke dafür!

Hans Michel / 07.07.2022

Hallo Frau Stephan. Leider muss ich ihnen besonders im Teil 2 zustimmen. Die Provinz und der Osten werden die ganze Misere wohl überleben. Die wissen seit Generationen wie das geht. Die Städter, besonders die Bewohner der Großstädte, werden jedoch heulen und mit den Zähnen klappern wenn’s kalt ist und kein Strom mehr aus der Steckdose kommt. Ich fürchte jedoch, die Provinz wird eine Art Landwehr brauchen um die Plünderer aus den Städten zu vertreiben. Vielleicht werden wir ja unseren migrantischen Mitbewohner noch mal dankbar sein, denn die Wissen noch wie das so geht. Falls sie weit weg von den großen Städten wohnen, haben sie und ihre Mitbürger ja vielleicht Glück, das mangels Verkehr nur sehr wenige kommen. Bei mir ist die nächste größere Stadt nur etwa 1 Stunde fußläufig entfernt. Mal sehen wo ich mein Feuerholz, die Kartoffeln und das Wintergemüse verstecke.

Heinrich Wägner / 07.07.2022

Sehr gut erkannt werter Herr Kautner ,kann ich so nach Jahrzehnten in der DDR lebend bestätigen ,. Bärbel Bohley’s Worte, bevor sie für immer ging gaben ein Vorgeschmack wo es hingeht bzw. ist.Wenn ich schon die drei Buchstaben FDP ...... dann kommt mir nur einfach das Kotzen. Dieser ganze Haufen mit ihrem “Führer” hätte wohl auch in meinen Kinderjahren die Hacken zusammen gerissen und mit einen “Drei Liter” alles getan um an Macht zu kommen und zu bleiben. Das Sprugbrett für das Danach. Wenn man G,ück hat ,der Staat nicht Pleite geht hat man ausgesorgt.  Kohle und Loppi gesammelt. Der Märchenprinz liebe Frau Scheufele ist leider nur der Märchen Erzähler der eine Partei mißbraucht um sein Schloss zu bauen und den es nach der Fertigstellung wohl scheißegal sein wird ob sie danach untergeht oder nicht. Genau so ist es werter Leo Anderson . Meine Generation achtzig ++ besonders wenn man die Jahrzehnte in der DDR miterlebt hat und die ganzen Etappen kennt….ja es könnte der letzte schöne Sommer gewesen sei. Ob der nächste so friedlich sein wird steht wohl in den Sternen. In der Zone hätte es sich auch keiner träumen lassen das Montags es rumorte und Mittwochs die Mauer fiel, mal überspitzt gesagt. In diesem Land giebt es viele “Private ” Waffenträger und auch viel ,sehr viele von denen man nichts weiß.  Nicht Alle und nicht friedlich . Meine Ehre heißt Treue mal sehen wie weit sie diesmal bei den schon immer hier lebenden gehen wird.

Wolfgang Pfaller / 07.07.2022

Dummland ist so schnell nicht pleite. Kräftiger Lastenausgleich bei Eigenheim Besitzern, Sparguthaben und Sachwerten. Da ist noch einiges zu holen. Ein, zwei Jahre kann man damit weiterhin den ganzen Irrsinn finanzieren. Und Merkels Gäste gehen erst dann, wenn es hier absolut nichts mehr zu holen gibt.

Christel Beltermann / 07.07.2022

Oh ja, wenn der besagte Nettozahler der EU nichts mehr leisten kann, wird’s wirklich lustig. Dann können sich bestimmte Gruppen in In- und Ausland mal selbst Gedanken machen, wie man weiterkommt. Man sollte halt den berühmten Ast nicht absägen, auf dem man sitzt.

Heinz Lucht / 07.07.2022

Sehr geehrte Frau Stephan, nur zwei kleine Anmerkungen zu Ihrem Beitrag. Wie lange wird das Feuerholz noch trocken bei Ihnen lagern?  Unter Rot/Rot/Gruen wird eher der Bio-Deutsche auf der Strasse verhungern, als dass die zugereisten Fachkraefte auf ihre Alimentation auch nur teilweise verzichten muessen. Das bedeutet fuer mich, die Bundesrepublik wurde von der DDR uebernommen und das Gesamtpaket ist eine leichte Beute fuer die Messerkundigen von IRGENDWOHER. Man beachte: Verweigern sich die Voelker dem Islam, dann nennen Muslime ihre Gewaltanwendung Selbstverteidigung. Leider keine Ironie!

Michael Foitzik / 07.07.2022

Ich schlage vor - so wie am Ende eines jeden Gebets das Amen steht - am Ende fast jeden Achse-Artikels ein “Danke Merkel” stehen sollte.

Frank Box / 07.07.2022

“Und nicht zuletzt werden die meisten das Land wieder verlassen, die einst gekommen sind, weil Deutschland mit einem großzügigen Sozialstaat lockte.” ♥ Jede Münze hat zwei Seiten, und das ist mal die mit dem lachenden Gesicht, obwohl wir die in nächster Zeit wohl eher selten sehen werden. ♥ In welches Land die Wanderheuschrecken dann wohl weiterziehen, wenn hier alles kahlgefressen ist?

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