Der Aktivist Bauer Willi moniert, dass Landwirte mit Schreckensbegriffen wie „Massentierhaltung, Monokulturen, Pestiziden, Nitrat und Gentechnik“ verunglimpft würden. Maßlose Forderungen belasteten die landwirtschaftliche Produktion und gefährdeten die nationale Lebensmittelversorgung.
Blick zurück: Nostalgie ist nicht angesagt. Insbesondere kleine bäuerliche Betriebe hatten vor 40, 50 Jahren oft genug andere Probleme, um sich groß ums Tierwohl kümmern zu können. Schweine und Rinder in heruntergekommenen und dunklen Ställen zu halten, war eher normal.
Unsere Haustierverhätschelung kannte man nicht: Der angekettete Hofhund hatte Meldung zu machen, und die Katzen waren fürs Mausen angestellt. Im Haus hatten sie ebenso wenig zu suchen wie Schwein und Kalb. Ein unsentimentales Verhältnis zu Tieren, die irgendwann geschlachtet werden sollen, ist gewiss auch heute noch vorherrschend.
Doch die allfällige Kritik an Massentierhaltung, die Vorliebe für Bio, Natur- und Klimaschutz, übersieht, wie sehr sich die konventionelle Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Auf den Äckern und Weiden sind Fachleute unterwegs, die hohe Produktivität mit sorgsamem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln verbinden, ohne dass vegetarisch lebende Landwirtschaftsminister ihnen das vorschreiben müssten. Moderne Ställe bekommen den Tieren weit besser als die alten Knäste, auch wenn in ihnen weit mehr Tiere stehen. Dem teureren und größere Flächen verschlingenden Biolandbau ist längst Konkurrenz entstanden. Nur unsere Grünen und die woken Städter haben das offenbar nicht mitbekommen.
Weckruf an die Verbraucher
Oder doch? Viele loben Bio, kaufen ihre Lebensmittel aber lieber möglichst billig ein – offenbar ganz ohne sich damit zu vergiften. Auch der Schweizer Vordenker des ökologischen Landbaus Urs Niggli hat das erkannt – wir könnten nicht „in der Bioblase vor uns her träumen und glücklich sein“, meint er. Biolandbau sei weniger produktiv, verbrauche mehr Flächen und exportiere „Umweltwirkungen“ in andere Länder. Biolandbau ist für Zuckerrüben und Raps nicht geeignet – importieren wir das also einfach, egal, wie es woanders produziert wurde. Schon seltsam, wieviel Vertrauen es in die Maßstäbe anderer Länder zu geben scheint – beim Fleischimport aus Argentinien oder Paraguay fragt offenbar auch niemand nach dem dort vorherrschenden Tierwohl.
Die Diskussion hierzulande ist geprägt von Schreckensbegriffen wie „Massentierhaltung, Monokulturen, Pestiziden, Nitrat und Gentechnik“, moniert Bauer Willi – Dr. Willi Kremer-Schillings – in seiner soeben erschienenen Philippika „Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher“. Massive Anklagen und maßlose Forderungen belasteten die landwirtschaftliche Produktion und gefährdeten die nationale Lebensmittelversorgung.
Sein Weckruf richtet sich an die Verbraucher, die sich von all den Schreckensmeldungen irre machen lasse – und dennoch vor allem billig einkaufen möchten. Doppelmoral, mit anderen Worten. Nein, sagt Bauer Willi, der Nitratdünger ausbringende Landwirt verseuche nicht das Trinkwasser. Nicht Mist auf den Feldern und Kuhfladen auf den Wiesen töte Insekten, sondern im Gegenteil, diese meiden Flächen, die zum Naturschutzgebiet umgewidmet wurden. Glyphosat wiederum, das verboten werden soll, sei von weit geringerer Giftigkeit als „natürliche“ pflanzliche Spritzmittel. Und die „klimafreundlichen“ Biogasanlagen? Brauchen Monokulturen wie Mais, also den Boden auslaugende „Maiswüsten“, die weder für Artenvielfalt noch für lustiges Insektenleben sorgen. Übrigens: was ist eigentlich mit all den Insekten und anderen Lebewesen, die beim Abernten eines Getreidefeldes ums Leben kommen?
„Wir Bauern können alles.“
Natur ist nicht lieb und gut, man muss ihr die Nahrung schon abringen. Landwirtschaft ist immer ein Eingriff in die Natur. Ohne den Kampf gegen die Natur geht es nicht – zumal wenn es gilt, 8 Milliarden Menschen zu ernähren.
Weniger Fleisch essen, wird derweil verkündet. Weniger Rinder und Schweine halten, die mit ihren Methanrülpsern das Klima schänden. Dabei ist eigentlich nichts nachhaltiger, als das Fleisch von Tieren zu essen, die es schaffen, für Menschen unverdauliches Gras in Eiweiß umzuwandeln. Weltweit taugen drei Fünftel der Landfläche nicht für Ackerbau, um Lebensmittel für den direkten menschlichen Verzehr zu erzeugen. Mal abgesehen davon, dass weniger Dünger durch Viehhaltung den Eintrag von mehr künstlichem Dünger bedeutet.
Und was bedeutet eine Halbierung der Nutztierhaltung angesichts von 27 Millionen Haustieren in Deutschland, die Fleisch fressen? Tja. Katzen oder Hunde lassen sich nicht zu Vegetariern umerziehen, das wäre im Übrigen Tierquälerei.
Wie es weiter geht? Bauer Willi fürchtet, dass die Zahl der bäuerlichen Betriebe in Deutschland im Jahre 2040 von derzeit 265.000 auf rund 100.000 gesunken sein könnte. Es sei denn, man begreift endlich die Landwirte als Kulturbewahrer: „Wir Bauern können alles. Wir können Naturschutz, wir können Artenschutz, wir können Klimaschutz, wir können Tierwohl.“ Man müsse sie nur ordnungsgemäß dafür bezahlen. Das mache die Lebensmittel teurer, gewiss, doch die Bauern nicht reicher. „Nein, die Lebensmittel werden teurer, weil eure Ansprüche (…) so gestiegen sind. Wir Bauern können alles, es muss nur bezahlt werden. Von euch, denn ihr habt die Musik bestellt.“
Wunderbar geeignet für einen saftigen Familienstreit
Kleine Mäkelei zum Schluss:
Bauer Willi hält nichts von flächendeckenden Solaranlagen. Über die Windkraft aber verliert er kein Wort. Weil manch ein Landwirt, der nicht mehr ertragreich wirtschaften kann, seine Flächen lieber an die Windbauern verpachtet? Die Folgen des Humbugs von der „Energiewende“ sind dauerhafte Bodenversiegelung, Insekten- und Vogelsterben sowie womöglich auch weitreichende Auswirkungen aufs Wetter beziehungsweise Klima:
„Die Windenergie könnte auch massiven Einfluss auf das Klima selbst haben. 2017 gestand die deutsche Oberbehörde ein, dass laut Messwerten die Windgeschwindigkeit abnehme (…) Dass es in der Umgebung von Windkraft-Anlagen zu höheren Temperaturen kommt, ist de facto belegt.“
Aber das ändert nichts an meiner Leseempfehlung. Das Buch ist wunderbar geeignet für einen saftigen Familienstreit, ob man nun allem zustimmt oder nicht, auf jeden Fall gibt es hier eine Vielfalt von Fakten und Argumenten, die als Waffen eingesetzt werden können. Auch den jugendlichen Idealisten kann man es nicht rechtzeitig genug in die Hand drücken: Seht her, so ist die Welt. Rücksichtslos und gemein. Und wusstet ihr, übrigens, liebe Kinder, dass bei uns die meiste Bioware aus China kommt? Wer weiß schon, wie es dort zugeht.
Und deshalb: Better trust your local Landwirt.
Teil 1 finden Sie hier.
„Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher“ von Dr. Willi Kremer-Schillings, 2023, Westend Verlag: Frankfurt am Main 2023. Hier bestellbar.