Cora Stephan / 21.01.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 35 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Stadtflucht und Landwahn

Flucht aufs Land? Alle Jahre wieder. Das hat seine Konjunkturen. Man denke an die Künstlerkolonien um die Wende vom 19. aufs 20. Jahrhundert, Worpswede ist hierzulande die bekannteste. Doch die letzten Ausbrüche des Landwahns liegen noch gar nicht so lange zurück.

In den Siebziger Jahren dürften die autochthonen Ländler die aus den Städten flüchtenden Kommunarden abstoßend bis possierlich gefunden haben. Nicht nur der damals beliebten Selbsterkundungsrituale wegen oder angesichts nackerter Mondanbeter unter Drogeneinfluss. Mit schadenfroher Anteilnahme wird man auch die Versuche im ökologischen Gartenanbau beobachtet haben.

Die Hippies hatten die Bibel des biodynamischen Gemüsestreichelns studiert, pflanzten mit dem Mond, um in Harmonie mit den Planeten zu geraten und erlitten ihre Niederlagen dank bodenschonendem Verzicht auf mechanische Unterstützung beim Hacken und Säen mit heroisch ertragenen Rückenproblemen. Hauptsache chemiefrei. Nur aus den wenigen Zähen unter den vielen Idealisten wurden erfolgreiche Biobauern. Etwas blieb – und auch das hat das Land langsam aber sicher verändert.

Auch Tourismus erhält ländliche Kultur

Im französischen Teil meiner Familie hat der Pariser Mai 1968 und der Kontakt mit dem Tränengas der französischen Polizei den Wunsch nach einem Ausstieg aus dem kapitalistischen Verwertungszusammenhang enorm beflügelt. Als „néoruraux“ zog man in die tiefe französische Provinz, wo nichts los war, und kaufte mürrischen Bauern efeubewachsene Steinhaufen ab, um daraus mit blutenden Händen wieder ein Haus zu errichten. Wer sich landwirtschaftlich betätigte, erhielt staatliche Unterstützung – auch das ein Anreiz für Aussteiger.

Doch nach Ausflügen in die Himbeerzucht stellte meine Verwandtschaft die Landwirtschaft wieder ein und verlegte sich auf das Vermieten romantischer Unterkünfte in alten Steinburgen, die nach dem unverhofft beendeten Seidenraupenboom im 19. Jahrhundert in der Ardèche seit Jahren leerstanden. Dieser Idee folgten andere, und so ist auch in der einst einsamen Gegend mittlerweile reichlich was los. Selbst die französischen Bauern sind nicht mehr ganz so mürrisch. Merke: Auch Tourismus erhält ländliche Kultur.

Die französischen Hippies, die damals in die düsteren Cevennen zogen, haben dabei nicht nur Shit geraucht und getrommelt, sondern auch untergegangene Traditionen wieder aus der Versenkung geholt, das, was jahrelang als nicht mehr modern galt, wie etwa der traditionelle Chevre, der französische Ziegenkäse. Man hielt Schafherden, baute Obst- und Gemüse an, authentisch öko, und versuchte sich bald auch im Weinanbau. Besser und professioneller als zu der Zeit, als viele den eigenen Weinberg für die Selbstversorgung mit einer nur von Ferne nach Wein aussehenden Plörre nutzten. Das Rad dreht sich: etwas verschwindet, dann taucht es wieder auf, in dieser oder jener Form.

Eine Kneipe könnten wir noch gebrauchen

Die Wiederentdeckung des Landes ist ebensowenig neu wie der Niedergang der Stadt, auch das scheint ein ewiger Kreislauf zu sein. Wer London aus den 70er Jahren kennt, weiß, in welchem desolaten Zustand sich die Stadt befand, die sich jetzt mächtig aufplustert als Megacity. Vor fünfzig Jahren war sie ein Dorado für Hippies, Esoteriker und Musiker. Eine ähnliche Bewegung vollzog sich in New York: Künstler und Bohemiens eroberten die armen und heruntergekommenen Stadtteile, bis die sich vom Geheimtipp zum neuen Anziehungspunkt entwickelt hatten. Auch in deutschen Städten wurden die einst zum Abriss freigegebenen Gründerzeitquartiere wiederentdeckt und „gentrifiziert“. Und was jetzt? Offenbar werden sie wieder verlassen, die Städte, von der Coronapolitik der Regierung gefleddert und unwirtlich gemacht. Die Innenstädte leegeräumt und verwahrlost, den Rest teilen sich Alte, Arme und Ausländer. In dreißig Jahren mag das wieder anders sein.

Es gibt keinen alternativlosen Abschied vom Land, das Rad dreht sich, aber es gibt nicht nur Wiederholung. Der Bauerngarten wird überleben, aber nicht jeder aufs Dorf gespülte Städter wird zum Selbstversorger werden, wie es die Utopie noch in den 70ern war. Oder doch? Vielleicht wird auch die lange Zeit übliche Nebenerwerbslandwirtschaft eine neue Blüte erleben. Anleitungen findet der Willige in den Landlustillustrierten, deren Leserschaft viermal so groß ist wie die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten. Im übrigen könnte der Hang zum Regionalen bei den noch nicht veganen woken Stadtflüchtigen auch dazu führen, dass sie das bekommen, was sie dem Tierwohl zuliebe wollen: Wo eine Nachfrage ist, findet sich auch ein Angebot.

Bei uns werden wieder vermehrt Schafe gehalten und verwertet, der Schafskäse aus dem Dorf nebenan ist übrigens großartig. In meinem Dorf gibt es mittlerweile mehr Hühner als Menschen. Wer sich als Zugezogener beliebt machen will, sollte uns vielleicht mit einer Hausbrauerei und angeschlossener Kneipe überraschen, das bräuchten wir hier. Das würde uns, die wir hier schon eine kleine Weile länger wohnen, glatt dafür entschädigen, dass die Neuländler sich womöglich so dumm anstellen wie einst unsereins.

Denn, ja: hier herrschen noch immer andere Sitten und Gebräuche. Man grüßt einander, wenn man sich begegnet. Man hält noch ein Schwätzchen über den Gartenzaun (wofür ich so gar kein Talent habe). Man macht vieles selbst, was man in der Stadt gewohnheitsmäßig der Straßenreinigung, dem Hauswirt oder anderen Institutionen überlässt. Wer etwas tut, fällt angenehm auf. Wenn man also mit der Leiter nicht an die Äpfel rankommt, weil sie einfach zu hoch hängen, darf man den Nachbarn bitten, mit dem Vorderlader vorbeizukommen.

Ist das nicht paradiesisch?

Foto: Pixabay

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Steve Acker / 21.01.2021

noch vor einem Jahr waren in der Zeit mehrere Artikel darüber , was für böse Menschen das seien, die aufs Land ziehen. Sie genießen den vielen Platz, die günstigeren Preise und pendeln in die stadt zur arbeit und produzieren dabei CO2 und werden dann auch noch mit der pendlerpauschale belohnt. Wie sich das Blatt ändert. ich hörte auch dass in New york wegen corona eine massive stadtflucht entstanden ist.

Paul Siemons / 21.01.2021

@ HaJo Wolf: Es mag ja am Namen liegen, dass Sie ein Herz für Wölfe haben (was mich ein wenig ans Bärchenwerfer-Syndrom erinnert), aber wenn Wölfe mal eben ganze Schafherden reißen oder mehrere Rinder zugleich, kann das nicht am Hunger liegen. Woran es liegt, ist auch völlig egal - in einer (noch) Kulturlandschaft, von Menschen bewohnt, bebaut und bewirtschaftet, hat ein Wolf nichts zu suchen. Er hat den Menschen Jahrhunderte lang nicht gefehlt;, dass er sich nun wieder in Mitteleuropa ausbreitet, ist das Ergebnis naiver Naturromantik, die sich aus den selben dubiosen Quellen speist wie andere romantische Vorstellungen von einem multikulturellen Zusammenleben.

W. Richter-Kirsch / 21.01.2021

Sehr geehrte Frau Stephan. Ich bin, der Liebe meines Lebens folgend, vor gut 30 Jahren in ein Kaff gezogen und habe als sozialisierter Städter lange damit gehadert. Seit dem Spätsommer 2015 wurde mir dann klar, dass ein Leben in einer Stadt für mich nicht mehr in Frage kommt.

Manfred Knake / 21.01.2021

Als langjähriges Landei mit Hund in einem alten Haus, vor Jahrzehnten in einer Großstadt aufgewachsen, möchte ich das Landleben nicht mehr missen, trotz Gülle , Monstertreckern oder den ständigen motorbetriebenen Gartengeräten. Nicht wenige Ko-Landeier müssen eben den superkurzen Rasen pflegen und ihn auch noch düngen, obwohl viel Stickstoff aus der landwirtschaftlicnen Produktion in der Luft ist. Der gute Eindruck nach außen ist eben alles. Die Pest sind die neuen Wohngebiete, die aus Dörfern zersiedelte Bausparkassen-Schlafsiedlungen gemacht haben und die riesigen Windparks, die nachts wie Ufos blinken und bei bestimmten Windrichtungen ballern und grummeln wie entferntes Artilleriefeuer. Dazu gibt es hinter dem Haus den Wald und trockengelegte güllegrüne Einheitsgrasflächen, die keine Wiesen mehr sind, arktische Gänse als Wintergäste, rufende Kolkraben, gelegentlich noch Bussarde, Spechte, den Fuchs (der schon so manches Huhn aus unserem Stall geholt hat, wenn der nicht rechtzeitig zugemacht wurde), die Ratten, die sich am Hühnerfutter mästen und den gelegentlichen Wolf, der keinem außer Rehen und nicht wolfssicher eingezäunten Rindern oder Schafen was tut (den Zaun bezahlt der Staat) dazu. Nur: Der Wolf wurde eben nicht “angesiedelt”. Er kam von selbst. Auch mich hat er nicht gefressen, als ich ihn am Rehkadaver überraschte…

Dietmar Blum / 21.01.2021

@ R. Kuth / 21.01.2021: Vor Jahrzehnten in der Eifel selbst erlebt, dass Zugereiste aus der Stadt gerichtlich gegen das Quaken von Fröschen in Nachbars Feuerlöschteich vorgingen, von Fröschen, denen sie zur Belustigung der Ureinwohner im Frühjahr über einen Ackerweg halfen, der zu Zeiten der nächtlichen Krötenwanderung nicht einmal als Promillestrecke benutzt wurde. Auch gut die Gattin des Jagdpächters aus der Stadt, zwischenzeitlich wird die Jagd nicht mehr an den Meistbietenden vergeben, sondern bevorzugt an Heimische, sich am Jägerstammtisch mokierte, dass die Wald- und Feldwege in solch schlechtem, schlammigen Zustand seien, dass sie sie mit ihrer Edelbekleidung in Loden von Frankonia nicht betreten könne.

Dietmar Blum / 21.01.2021

Herr HaJo Wolf / 21.01.2021: “Dat hillije Kölle” hat sich diese Zustände selbst zuzuschreiben: Wie gewählt, so geliefert. Über Zeitgenossen, wie der selbsternannte Bob-Dylan der Südstadt, der aus dem sicheren Hahnwald seine unerbetenen Ratschläge erteilt, all dieses rechthaberische Gesocks der Kölner Szene, wie ein gewisser Jürgen Becker und der Rest vom Fest “Kölsche Liberalität” ist einfach für mich als rheinischer Eifeler nicht mehr tragbar. Ich fahre aus Prinzip nicht mehr. Im Übrigen besitze ich keinen SUV, der den Straßenverhältnissen in dieser durch und durch verlotterten Stadt, angemessen wäre.

Archi W Bechlenberg / 21.01.2021

Als Landbewohner seit nunmehr 48 Jahren, davon 41 am selben Fleck, kann ich nur sagen: Städter, bleibt bloß in der Stadt! Das Land ist total öde, langweilig, nix los, der Lärm der Traktoren ist noch lauter als das Krähen der Hähne und das Bellen der Hunde. Weit und breit kein Bioladen, der Bäcker hat kein glutenfreies Brot und der Metzger keine veganen Frikadellen. Und dann diese Kirchenglocken! Wenn ich aus dem Fenster sehe: öder Wald ohne Ende. Davor noch ödere Wiesen, auf denen stumpfsinnige Kühe mümmeln. Hier möchte man nicht tot überm Zaun hängen. Multikulturelle Vielfalt und Austausch? Vergesst es. Bis auf ab und zu durchreisende “Rumänen” , die wenig gesprächig sind und zudem bevorzugt zur Schlafenszeit zu Besuch kommen, macht die Welt einen großen Bogen ums Land. Das Land ist das Letzte! Echt ehrlich.

Juergen Grossheim / 21.01.2021

Nicht überall wo ländliche Stille herrscht gibt es Landwirtschaft, geschweige denn Frontlader. Und die alt eingesessenen Dörfler leben auch nicht hinterm Mond wie so viele Städter glauben. Berliner, die glauben man wohne auf “ Kuhbläke fünf” sind über den sozialen Zusammenhalt auf dem Dorfe immer wieder erstaunt. In Ferienzeiten kommen sie gerne in die Ruhezonen eines nördlichen Mittelgebirges. Als Renter auch für immer. Sie müssen sich nur ein bisschen anpassen, am Besten in einen der vielen Vereine eintreten. Das hilft bei der Integration enorm, drei Generationen auf dem Friedhof können sie nicht nachweisen. Damit ist man von Geburt an integriert.

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