Thommie Bayers neuer Roman hat mich ganz besonders berührt. Vielleicht, weil es am Rande auch um so etwas wie eine Bilanz geht: Was war wichtig im Leben, was ist gelungen? Was fehlt? Wovon kann und muss man Abschied nehmen?
Manchmal folgen sogar wir hier vom Dorf unseren Regierenden, weshalb wir nicht etwa die Klimaanlage anwerfen oder uns dauernd die Hände waschen. Wir nutzen vielmehr die Gelegenheit, es ist ja jetzt nachgerade amtlich, uns ruhig zu verhalten. Protest gegen die Dummheit der Regierenden wäre nicht nur viel zu schweißtreibend, es könnte uns sogar in die Arme der Falschen treiben, die unsere Sorgen, was den Herbst und den Winter angeht, antidemokratisch instrumentalisieren könnten, wie die Innenministerin versichert, diese tapfere Kämpferin gegen rechts. Ruhig bleiben als erste Bürgerpflicht fällt bei hochsommerlichen Temperaturen (doch, die gab es immer schon) selbst im antiautoritären Winkel ausnahmsweise mal nicht schwer.
Voll gerechtfertigt also, sich mit einem guten Buch in eine schattige Ecke zu setzen (Bier erst nach vier, versteht sich!), vorzugsweise mit einem, das mit der Welt und den Menschen versöhnt. Also kein Krimi mit anstrengenden Tötungsarten wie Nagel durch die Stirn. Nix Erotisches, viel zu schweißtreibend. Und nicht zu viel Action, aus nämlichen Gründen.
Zeit für das aktuelle Buch von Thommie Bayer: Sieben Tage Sommer. Bayer, Musiker, Maler und Jaguarfahrer, hat bislang 21 Romane geschrieben, wenn ich richtig gezählt habe. Beinahe jedes Jahr eins. Und alle, so unterschiedlich sie sind, von einer beinahe unverfrorenen musikalischen Leichtigkeit. Die muss man können. Er kann.
Ein echter Journalist also
Und so sehr ich viele seiner Romane schätze, so ganz anders hat mich das neue berührt. Vielleicht, weil es am Rande auch um so etwas wie eine Bilanz geht: Was war wichtig im Leben, was ist gelungen? Was fehlt? Wovon kann und muss man Abschied nehmen? Von Illusionen, von einer schöngefärbten Vergangenheit. Gewiss. Vor allem aber von jemandem wie – Jan. Und das, obwohl der Journalist vor 30 Jahren mit einem gezielten Wurf Max das Leben gerettet hat.
Das erfahren wir im Briefwechsel zwischen Max und Anja, er über 70, sie etwa halb so alt. Max Torberg, vermögender Erbe eines Bankenimperiums, wurde einst bei einer Wanderung in den Gorges du Tarn an einem Steilhang von zwei Männern überfallen, die ihn wahrscheinlich kidnappen wollten, um ein Lösegeld zu erpressen. Doch fünf Wanderer waren in der Nähe, der Handballer Jan traf einen der Ganoven mit einem Stein, der stürzte in die Tiefe, während der andere fliehen konnte.
Seither hielt Max eine schützende Hand über Jan und seine Begleiter, zwei Frauen und zwei Männer, zwei davon Studenten, einer Musiker, ein anderer Schauspieler, eine weitere Krankenhausangestellte. Er setzte sogar einen Detektiv auf sie an, war aber zugleich Schutzengel, wenn einer der fünf Hilfe brauchte. Nun hat er, 30 Jahre nach der ersten Begegnung, alle in sein Haus in den Hügeln der Côte d’Azur eingeladen und eine Freundin seiner Nichte gebeten – eben jene Anja, eine Architektin –, die fünf nicht nur zu bewirten, sondern auch zu beobachten. Im Briefwechsel zwischen dem alten Mann und der jungen Frau entstehen Charakterstudien nicht nur der Gäste, sondern auch der beiden Protagonisten.
An ihrem Umgang mit dem Personal sollt ihr sie erkennen: Jan, der Journalist, der sich besonders wichtig nimmt, behandelt Anja wie das Mobiliar, und bedient sich im üppig ausgestatteten Weinkeller schamlos an den teuersten Flaschen. Ausgerechnet Jan, der heldenhafte Lebensretter, entpuppt sich als Mann ohne Eigenschaften. Ein echter Journalist also.
Das Leben ist zu kurz, nicht nur für schlechte Weine
Die schöne, eher spröde Julia mit dem schweren Schicksal, Öffentlichkeitsreferentin in der Pharmaindustrie, trinkt am liebsten Champagner, dabei zieht sie Moët dem weit teureren Krug vor. André ist der wenig Erfolgreiche, also sympathisch, Hans ein mittelbegabter Schauspieler, also eher ein Blender, und Danielle, heute Gärtnerin, selbstbewusst und bescheiden. Für sie spricht, dass sie, die einst mit Jan liiert war, ihn aktuell nicht mehr besonders mag.
Was Max durch Anja über die fünf erfährt, lässt ihn den Plan aufgeben, sie zum Ende ihres Aufenthalts in seinem Haus zu besuchen. Dabei war die Aussicht auf ihn doch das einzige, was die fünf (neben Wein und gutem Essen) bei der Stange hielt, diese „Planeten ohne Sonne“. Doch Max entschied, sich nicht mehr für sie zu interessieren.
Man muss Abschied nehmen, von Menschen, von Plänen. Manches und manch einer ist es einfach nicht wert. Das Leben ist zu kurz, nicht nur für schlechte Weine. Zuletzt aber ist weit wichtiger als die kleinen Charakterstudien, das, was ihr Briefwechsel über Max und Anja verrät. Sie hat Witz, er väterlichen Humor. Und deshalb hat der Roman ein Happy End.
Zu viel Gefühl? Ein wenig Kitsch? Egal. „Sieben Tage im Sommer“ richten den Blick auf das, was wirklich wichtig ist. Was das ist? Entscheiden Sie selbst.
„Sieben Tage Sommer“ von Thommie Bayer, 2022, München: Piper. Hier bestellbar.