Cora Stephan / 24.06.2021 / 06:15 / Foto: Pixabay / 53 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Sie kommen! Rette sich wer kann!

Ich machte doch nun wirklich jede Woche Reklame fürs Landleben, sagt ein Freund. Ich müsse mich also nicht wundern, wenn stadtmüde Menschen bei uns um die Häuser ziehen und nach Wohnraum spähen. Also!

Ich wundere mich ja gar nicht. Ich verstehe die ja. Und „zuhause ist da, wo es WLAN gibt“ – das sehe ich zwar nicht so, aber es ist was dran. Außerdem gibt es das alle Jahre wieder – dass sich das Land plötzlich ungeahnter Zuwendung erfreut. Die einen taten es einst der Romantik wegen, die anderen, um dem spätkapitalistischen Verwertungszusammenhang zu entfliehen, und heute tun es Berliner, weil ihnen die hauptstädtischen Mieten zu hoch geworden sind. Und jede Generation der Landfreunde erfindet ihre eigene Ideologie dazu.

Einst Hippiekommune, heute Co-Working-Space, die Etiketten ändern sich. Und wenn mit „Coconat vor drei Jahren das urbane Konzept des Co-Working und Co-Living in einem 80-Einwohner-Dorf inmitten des Naturparks Hoher Fläming“ angekommen ist – warum nicht? Da gackern die Hühner, dient Naturnähe der Tiefenentspannung, ist das Naturbad schilfbewachsen, und am Küchentisch wird Denglisch gesprochen. Und, wie gesagt, es gibt WLAN. Was die anderen Dorfbewohner betrifft – die trifft man schon mal beim Gassigehen mit dem Hund.

Ob und wie lange solch smarte Kohabitation wohl funktioniert?

So what? In den eher menschenbefreiten Gegenden im Osten Deutschlands sollte schon mal ein neues Aleppo für geflüchtete Syrer gebaut werden. Das ist auch nicht exotischer.

Doch es geht natürlich um mehr: etwa um „neue Formen von gemeinschaftlichem Wohnen und Arbeiten“ – das kennt man ja auf dem Land so gar nicht. Um EU-Zuschüsse, wie sie etwa Coconat kassiert. Und um Steuern, die Gemeinden wie Wiesenburg/Marl dringend brauchen, deren Bevölkerung in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 20 Prozent geschrumpft ist. Clevere Bürgermeister vermarkten die Schrottimmobilien der alten volkseigenen Betriebe, und allen ist gedient: So kann auch noch aus einem ehemaligen Sägewerk was Schönes werden, nämlich ein schickes „KoDorf“. Auch für Projekte namens „Smart City“ gibt es Geld vom Staat. Und vielleicht sitzen eines Tages die smarten Co-Worker mit ihren Laptops in den Gärten der Alteingesessenen, dann hat jeder seine Freude. Obwohl – naja. Ich fürchte, beide Seiten bleiben lieber unter sich.

Dass das Land sich neu erfinden muss, ist gewiss richtig. Aber so? Und ob und wie lange solch smarte Kohabitation funktioniert, fragt sich durchaus. Wer beides kennt, darf schon mal zweifeln. Weder den Hippiekommunen noch den städtischen Wohngemeinschaften ist es bekommen, das schlichte Zusammenleben mit allerhand weltverbesserischen Ansprüchen zu überfrachten. Etwa so: „Innovationen aufs Land bringen und Lebensqualität für gemeinwohlorientierte Städter, die Gemeinschaft suchen – das ist das Ziel der Initiatoren der sogenannten KoDörfer.“ 

Was man hier nicht braucht: arbeitslose Akademiker mit woken Ideen

Ob das alle, die hier schon etwas länger leben, goutieren? Laptops sind ja nicht gerade die Innovationen, die wir noch nicht kennen – und Gemeinwohl ist hier auch nicht gerade unbekannt. Wovon man bei uns allerdings gestrichen die Nase voll hat, sind arbeitslose Akademiker mit woken Ideen, die glauben, den Alteingesessenen die Gefahren von Glyphosat und die Freuden von Bio und Öko näherbringen zu müssen. Oder gar Klima- und Gendersensibilität. Man ist hier froh, dass all die kuriosen städtischen Moden an uns vorbeigehen. Und so soll das auch bleiben.

Im Übrigen: Nicht jeder Städter, der von dörflicher Idylle träumt, weiß, was ihn dort erwartet. Nicht alle Dörfer sind ausgestorben und freuen sich über knuffige Neubürger – über „Digitalarbeiter“, wie ein findiger Journalist sie nennt, die die Möglichkeit haben sollen, „ihrem Beruf nachzugehen und gleichzeitig die Weite der Natur zu genießen“.

Wie gut ich das verstehe. Einerseits.

Andererseits: die Provinz ist kein zu kolonialisierendes Siedlungsgebiet. Und die Ureinwohner können verdammt ungemütlich werden, wenn man ihnen wokes Lebensgefühl vor die Nase setzt. Uns käme man höchstens mit der Gründung einer ordentlichen Dorfkneipe gelegen. Verstanden?

 

Von Cora Stephan erschien kürzlich „Lob des Normalen – Vom Glück des Bewährten", FinanzBuch Verlag, 16,99 €

Foto: Pixabay

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Karl Napp / 24.06.2021

“Uns käme man höchstens mit der Gründung einer ordentlichen Dorfkneipe gelegen. Verstanden”? Cora - you made my day, wie wir hier - draußen auf dem Lande - zu sagen pflegen

M.-A. Schneider / 24.06.2021

Sie sprechen mir-wie immer- aus der Seele. Auf die urbanen Anywheres, die uns sonn-und feiertags, u.a. auch bestens ausgerüstet mit Super-Geländefahrrädern ( natürlich ohne Klingel) über die Waldwege und Abhänge brettern, so dass man als ganz normaler Naturgenießer nur in die Büsche ausweichen kann, oder ihren Geländewagen vor der Ausfahrt eines Hauses parken, legen wir keinen allzu großen Wert. Wir fühlen uns auf dem Lande woke genug und entwickeln eigene Ideen und zwar welche, die hierher passen.

Christoph Schriever / 24.06.2021

Wenn Ratten ein sinkendes Schiff verlassen, gehen sie logischerweise irgendwo ans Ufer. Man hält sich instinktiv von denen fern, denn sie haben allerlei blutsaugende Parasiten und Krankheitserreger im Gepäck. Besonders die mitgebrachten Geisteskrankheiten sind im Falle einer Infektion dauerhaft lebensbedrohlich. (z.B Grün wählen und sich dann wundern wenn plötzlich Wohncontainer auf dem Schulhof und in der Turnhalle stehen, die dreispurige Fahrbahn zum Radweg wird und die Wohnraumsanierung mehr kostet als der Wohnraum tatsächlich wert ist….) Locker bleiben und optimale Distanz wahren. Dörflich rustikale Quarantäne physisch und psychisch einhalten. Genauso wie die Heuschrecken, ziehen sie irgendwann wieder weg.

Bernd Meyer / 24.06.2021

Mal sehen, ob die Post der “Woken” noch funktioniert.

Daniel Oehler / 24.06.2021

Die Landbevölkerung muss sich gegen die Oberlehrer aus der Stadt wehren, sonst wird es ihr ergehen wie der SPD: Diese einst stolze Partei ist im Dauersiechtum, seit dem städtische Pseudo-Intellektuelle - hat jemand Spiegel-Leser gesagt? - die ehemalige Arbeiterpartei in einen Verein zur Arbeiterbelehrung umgewandelt haben. Das historisch schlimmste Beispiel eines Diktats der Intellektuellen auf den Agrarsektor in den letzten 100 Jahren war die sozialistische Planwirtschaft in den UdSSR. Die Umgestaltung der Provinz im Sinne des Sozialismus durch städtische Besserwisser hat vielen Millionen Menschen das Leben gekostet. V.a. in der Ukraine und Russland sind Millionen Menschen am Hunger verreckt. Undenkbar in der Zeit der Zaren.

Walter Weimar / 24.06.2021

Man kann sie sich vorstellen, die linksgrünen Ökologen, die der Natur i h r e eigene Vorstellung von Natürlichkeit aufbraten wollen, selber am Rost, nein am Schmoger, stehend, den Maiskolben drehen. Solche wünsche ich dem schlimmsten Feind zum Nachbarn.

Jörg Themlitz / 24.06.2021

“...und heute tun es Berliner, weil ihnen die hauptstädtischen Mieten zu hoch geworden sind.”, Das stimmt so nicht. Es betrifft nur die Mieter, die für ihre Luxuswohnung 2500,00 Euro Miete bezahlen, bezahlen können. Die können um Berlin 30 - 40 km für diesen Preis ein Haus in ähnlicher Qualität mieten. Allerdings mit wesentlich höheren Nebenkosten, plus Familie zwei Autos, plus lange Wege zu allen Dingen die der Mensch so braucht. Der Mieter 350,00 Euro kalt für 55qm in Berlin Mahrzahn, Hellersdorf, märkische Viertel etc. kann es sich nicht erlauben, ins Umland zu ziehen. Also eher ein typisches Die Grünen Klientel Problem. Ein Bekannter sagte mir mal über diese Klientel: “Du als die wieder weggezogen sind, haben wir im Dorf ein Straßenfest gefeiert.”

lutzgerke / 24.06.2021

Während die ganze Welt auf Baustellen schuftet, legt man einen Zwischenstopp auf den Kanarischen Inseln ein, klappt das Laptop auf die Knie, bestellt einen Cocktail und verdient irre viel Geld mit fünf Mausklicks. - Ich halte die Digitalarbeiter für ein Gerücht. Außer dem Aktienspieler kann niemand auf diese Weise Geld verdienen. Und die Aktienspieler sind meist Eintagsfliegen, die morgen aufwachen und die Erbschaft von Oma ist verjubelt. / Für die Parteien ist das Land eine billige Entsorgungsanstalt für Ausländer geworden. Auch das Land gehört zur Beute der der Parteijecken. Da wirkt die Häßlickeit der Einfälle und Phantasien besonders nach. Die Provinz wohnt im Mentalen und ist einen Mausklick entfernt. Im Tagesschau-Dorf sitzen die von Subversion zerfressenen Dämonen, notorische Quengler und üble Nachtreter. Wobei man schon nicht mehr weiß, ob vielleicht Computerprogramme für den Auswurf verantwortlich sind. Wo das Netz ist, ist die Provinz. Da kann man hinziehen, wo man will. Selbst auf den Mond.  

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