Cora Stephan / 14.09.2023 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 16 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Ohne Auto keine Freiheit

Der wichtigste Grund für das Auto heißt Freiheit. Einsteigen, wegfahren, alles hinter sich lassen. Über Landstraßen, durch die Dörfer, immer weiter, bis nach Hammerfest oder Marrakesch. Die Welt erfahren.

„Ein Rausch der Freiheit erfasste mich, ich konnte fahren, nur um zu fahren“, notierte mein Vater in seinen Erinnerungen. Er war bereits 43, als er sich zum ersten Mal ein Auto leisten konnte, das war 1957, und es handelte sich um einen gelben Opel Rekord. Ich war bereits 30, als ich den Führerschein machte. Der späte Zeitpunkt lag an einem schweren Unfall, in den ich mit 17 verwickelt war. Wir waren zu viert unterwegs, in einem VW-Käfer, als uns ein Mittelklasse-Ehepaar in einem Mittelklassewagen die Vorfahrt nahm. Der Käfer lag auf der Seite, der Motor lief noch, ich hatte auf dem Rücksitz gesessen, nun kletterte der dicke Junge, der neben mir gehockt hatte, auf mir herum, um sich durchs Fenster ins Freie zu zwängen, während ich unter der Vorstellung litt, das Auto würde gleich in die Luft fliegen.

Was soll man sagen? Danach mied ich das Autofahren und wurde zu einem äußerst schreckhaften Beifahrer. Kurz: Ich verpasste all die Fahrten nach Italien oder an einsame Strände im Süden, die man in den Siebziger Jahren so unternahm, nicht nur wegen revolutionärem Anschauungsunterricht bei Lotta Continua, womit manch einer die Exkursion rechtfertigte. Das Auto hat die Deutschen in der Nachkriegszeit sozusagen weltläufig gemacht – und den 68ern die Illusion gegeben, im weltweiten Befreiungskampf zu stehen.

Erst in den Achtzigern, zwischen Frankfurt und Bonn, gewöhnte ich mich ans Autofahren, nein, ich liebte es geradezu, schon, weil die Musikanlage spitze und die Fahrtdauer für die Klavierkonzerte von Beethoven geeignet war. Außerdem hätte ich mir ohne das Auto damals gewiss kein abrissreifes kleines Fachwerkhaus auf dem Land gekauft, in, genau, tiefster Provinz.

Ursprünglichste Gebärde des Freiseins

Doch, schon, ich verstehe jeden Städter, der keine Lust hat, in der Stadt nach einem Parkplatz zu suchen und deshalb im Bedarfsfall halt ein Auto mietet. Das Problem haben wir hier in der Provinz nicht, was der Grund dafür sein dürfte, dass ich bis heute nicht vernünftig einparken kann. Außerdem behaupten hier natürlich alle, dass ohne Auto auf dem Land gar nichts geht, dabei stimmt das nur in Maßen: Die Kiste Bier könnte man auch mit dem Lastenfahrrad transportieren. Und seit viele sich während der Panikpandemie angewöhnt haben, dies oder jenes nicht in der nächstgelegenen Stadt zu suchen, was mühselig und selten erfolgreich war, sondern einfach bei Amazon zu bestellen, ist das Beharren des Provinzlers auf dem Auto nicht mehr ganz so einfach zu rechtfertigen. Was man dank Amazon an Benzin spart, verbraten natürlich die Kurierfahrer von Hermes, UPS, DPD oder GLS. Insofern stimmt es dann doch wieder: Ohne Auto läuft hier nichts.

Dass der Berufsverkehr für Pendler eine Strapaze ist – gewiss. Doch erst das Auto erlaubt in größerem Ausmaß die Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz, wovon auch die Stadtluft profitiert hat. Doch was sind all diese praktischen Überlegungen gegen die einzige, die wahre Begründung! Der wichtigste Grund heißt mit einem Wort: Freiheit. Einsteigen, wegfahren, alles hinter sich lassen. Über Landstraßen, durch die Dörfer, immer weiter, bis nach Hammerfest oder Marrakesch. Die Welt erfahren.

„Von allen spezifischen Freiheiten, die uns in den Sinn kommen mögen, wenn wir das Wort Freiheit hören, ist die Bewegungsfreiheit nicht nur die historisch älteste, sondern auch die elementarste; das Aufbrechen-Können, wohin man will, ist die ursprünglichste Gebärde des Freiseins, wie umgekehrt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit seit eh und je die Vorbedingung der Versklavung war“, erklärte Hannah Arendt in ihrer Rede zur Verleihung des Lessingpreises 1959 in Hamburg.

Refugium gegen übergriffige Maßnahmenpolitik

Doch dass es heute womöglich genau darum gehen könnte, um die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, kommt einem stets in den Sinn, wenn wieder einmal ein Klimasensibler die Einschränkung des Individualverkehrs fordert, obwohl die angebliche Alternative, etwa die Bahn, sich derzeit nicht gerade anbietet. Auch die Propaganda für das E-Auto läuft auf die Einschränkung des Individualverkehrs hinaus, nicht aufgrund fehlender Ladestationen allein, sondern weil ein E-Auto gegenüber einem Verbrenner zum einen teurer ist und zum anderen gar nicht „klimasensibel“ sein kann, solange in Deutschland die Elektrizität mit Kohlekraftwerken erzeugt wird.

Außerdem erinnern sich sicher noch alle an die viel zu lange Zeit, in der wir aus Gründen des Gemeinwohls zuhause bleiben sollten. Doch just in der Panikpandemie war das Auto so wertvoll wie nie: Es war ein sicheres Refugium gegen übergriffige Maßnahmenpolitik. Was Wunder, dass in der Prioritätenliste der Deutschen ein Anliegen ganz weit oben steht: das Sanieren des maroden Straßennetzes.

 

Dr. Cora Stephan, geb. 1951, ist Publizistin und Schriftstellerin. Sie veröffentlichte Beiträge in zahlreichen Medien, darunter beim NDR. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Soeben ist ihr neuer Roman „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“ erschienen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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gerhard giesemann / 14.09.2023

Lauter völlig richtige Gedanken. Zusätzlich könnten/würden sie auch noch CO2 überall dort abfangen und recyceln, wo es emittiert wird, v.a. bei der Kohleverstromung und bei der Zementherstellung. Technik bekannt, zitiere das nicht noch Mal. So kann man die Kohlevorräte strecken und das gewonnenen Methanol liefert einen Beitrag zur “Energiewende”. Nach Entwässerung unter Bildung von Dimethylether kann es sogar als Erdgasersatz dienen, weil der Ether gasförmig ist, passt durch bestehende Leitungen. Methanol selbst ist flüssig und siedet erst bei 65°C. Dass sie das alles nicht machen beweist: Das CO2 dient lediglich als Argument, um die Leute ins Bockshorn zu jagen, um die Kanallje zu schurigeln. Zusätzlich dient es der Ablenkung von der Bombe, die unaufhaltsam tickt: countrymeters/de. DE hat inzwischen ein Waxtum: DE wächst mit 1,3%, wikipedia:/wiki/Deutschland – und hat dennoch Arbeitskräftemangel? Einwohnerzahl 84.358.845 (31. Dezember 2022)[2]Bevölkerungsdichte 236 (41.) Einwohner pro km² Bevölkerungs­entwicklung ▲ +1,3 % (2022)[2] pro Jahr. Zum Vergleich: Bangla hat 1%, ebenfalls wiki, nur halt Bangladesch. Wir haben die also bereits überholt, Alhamdulliläh.

Hans Bendix / 14.09.2023

Sozialisten jedweder Couleur, seien sie nun rot, grün, gelb oder schwarz, E-Automobilisten, Windmüller, Sonnensammler, Veganisten, Kinderumwandler, Sozialpädagogen, Ökoterroristen, Klimahysteriker und anderes sinistre Gelichter gehört mit einer kurzen Kette am Bein und einem langen Hammer in Steinbrüche zur manuellen Anfertigung von Gleisschotter. - Dann wäre der Deutschlandtakt wenigstens für 2070 halbwegs erreichbar.

Rainer Nicolaisen / 14.09.2023

Sie verwechseln nicht “Freiheit” mit “Willkür” ? \\ Mit dem Automobil ( wirlich “auto” ?) bewegen Sie sich von A nach B, doch wie steht’s mit allem zwischen A und B? \\ Ich sähe “Freiheit” zu Fuß!

Klaus Keller / 14.09.2023

Der späte Zeitpunkt lag an einem schweren Unfall, in den ich mit 17 verwickelt war. ... Sie haben eine Posttraumatische Belastungsstörung überwunden obwohl es diese Diagnose vermutlich damals gar nicht gab. (Die Chance eine zu bekommen ist am Größten wenn man in einer Gefahrensituation nichts tun kann) Ich nehme an Sie fahren heute lieber selber. Man hat eine größere Kontrolle über das was passiert, ist beschäftigt und die Unabhängigkeit ist größer ! +++ Als Autonomie (altgriechisch αὐτονομία autonomía ‚Eigengesetzlichkeit‘, ‚Selbstständigkeit‘, aus αὐτός autós ‚selbst‘ und νόμος nómos ‚Gesetz‘) bezeichnet man den Zustand der Selbstbestimmung des freien Willens, deren der Mensch als vernünftiges Wesen fähig ist. Ihr Gegenteil ist die Heteronomie, die Fremdbestimmung, Wikipedia +++ Ein Auto ist ein Symbol dafür. Ich habe mein Auto viele Jahre kaum genutzt da ich zu Fuß die Klinik erreichte in der ich arbeitete. Ich wäre aber nicht auf die Idee gekommen die Freiheit aufzugeben, fahren zu können wann ich will und wohin ich will.

Peter Krämer / 14.09.2023

Linken war immer die persönliche Freiheit suspekt, sie möchten vorgeben, ob und wohin der Bürger fährt. Und genau dafür steht der Individualverkehr als ein Bereich, in dem staatliche Funktionäre und Pöstchenjäger wenig auszurichten haben,

Thomin Weller / 14.09.2023

Die neoliberale Domestizierung des Menschen nimmt in Deutschland absolut pervers, menschenfeindliche Ausmaße wie sie K. Lorenz schon mit der Verhausschweinung beschrieb, an. Der Mensch reduziert auf tierische Ohrmarken. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die extreme Verdichtung der Städte ist schon vorhanden. Dafür werden sämtliche öffentliche Flächen privatisiert, bebaut und ein Spekulationsobjekt. Das Rathaus ist ein neoliberales Profticenter fremder, meist ausländischer Interessen geworden, die verkaufte Kultur. Das Mikroklima z.B. in Hamburg ist teils subtropisch geworden(35°C, >85%relF.) mit vermutlich den politischen Folgen, dass die Menschen tot umkippen weil kein Windhuch mehr weht. Diese Politik tötet Menschen. Gerade durch die Verdichtung und Entfernung alle Bäume kommt die natürliche Konvektion zum Erliegen. Selbstverständlich kaufen sich dadurch immer mehr Mieter eine Vollklimaanlage. Vor über 100 Jahren wurden Hochhäuser damit beworben, dass die Luft in luftiger Höhe deutlich besser ist als Bodennah. Was aber vergessen wird, damalige Brennstoffe, ob für Heizung oder PKW, waren fast Bunkeröl, Teer ua. Erst durch den Fortschritt in der fraktionierten Destillation von Rohöl wurden bessere Treib-/Brennstoffe hergestellt. Und man hatte den optimalen Rohstoff für geteerte Straßen. Ohne Rohöl keine Straßen, da werden auch keine Autos egal welcher Antriebsart benötigt. Diese Politiker töten gewachsene Kultur, den Menschen, alles menschliches und auch Natur.

Karsten Dörre / 14.09.2023

Der ÖPNV und Fernverkehr sind gelenkte Freiheiten. Alles hat positive wie negative Facetten.

Claudius Pappe / 14.09.2023

Und wieder ein Foto aus Amerika zum Artikel….......Frau Stephan : Warum passen Foto und Artikel nie 100% zueinander ?

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