Dieser Kitsch umwabert uns nun schon seit Jahren: Überlassen wir doch alles der Natur, und schon ist Frieden auf dem Planeten! Dabei ist kaum etwas gefährlicher als die ungebremste Natur.
Ich gebe alles zu: Ich wollte provozieren. Ich ahnte ja, was mich erwartete, am für Kunden des Baumarkts nicht zugänglichen Sperrbezirk mit dem Regal für allerlei Vernichtungsmittel wie Ameisenköder und Maulwurfsfallen. Darüber wacht eine strenge Blonde mit scharfen Falten um die Mundwinkel. Ich wusste also, was geschehen würde, als ich kühn nach Glyphosat verlangte. Glyphosat! Ausgerechnet! Das Entsetzen war ihr anzusehen.
Wofür ich das denn brauche, fragte sie streng. Für den Wohnzimmerteppich, hätte ich beinahe geantwortet. (Für das tiefwurzelnde Kraut in den Fugen zwischen den Gehwegplatten, die wir selbstredend nicht „versiegelt“ haben, darf man ja nicht!) Aber eigentlich erübrigte sich die Frage: Glyphosat sei verboten, sagte die Fachfrau streng, es vergifte Bienen und erzeuge Krebs. Ich widerspreche und weiß mich im Einklang mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Die sieht eine erneute Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat in der Europäischen Union unkritisch. „Bei der Bewertung der Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt wurden keine kritischen Bereiche ermittelt, die Anlass zur Sorge geben“, erklärte die EFSA in einer am 6. Juli veröffentlichten Neubewertung von Glyphosat.
Das behauptet noch nicht einmal das grüngeführte Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft – wahrscheinlich nur höchst widerwillig, denn man widersetzt sich bei Cem Özdemir der europäischen Linie. Und doch heißt es dort: „Bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung des Wirkstoffs Glyphosat bestehen keine Zweifel an der gesundheitlichen Unbedenklichkeit.“ Aber das weiß die Fachfrau nicht und sie will es wahrscheinlich auch nicht wissen. Denn sie empfiehlt – „natürliche Gifte“. Die sind, das weiß doch jedes Kind, lieb und gut, ganz so lieb und gut wie die Natur.
Dann kommt das Biogemüse eben aus China
Das ist der Kitsch, der uns nun schon seit Jahren umwabert. Überlassen wir doch alles der Natur, und schon ist Frieden auf dem Planeten. Dabei ist kaum etwas gefährlicher als die ungebremste Natur, und die Gifte, die Pflanzen zur Abwehr von Fressfeinden entwickeln, sind auch für Menschen tödlich. Ohne menschliche Eingriffe überlebt keine Kulturpflanze, und es ist relativ wurscht, ob seine Konkurrenz – auch Unkraut genannt, was mittlerweile als politisch unkorrekt gilt – durch Pflügen und Grubbern aus dem Weg geschafft wird oder durch Mittel des menschlichen Erfindungsgeistes. In beiden Fällen leidet die „Artenvielfalt“. Aber „Chemie“ ist ja mindestens so „umstritten“ wie „Gen“ oder „Atom“.
Nein, die menschliche Hybris möchte sich selbst als den größten Unhold begreifen. Ein trübes Beispiel: Weil man den Wald gern der Natur überlassen möchte, hat man das Entfernen des Unterholzes abgeschafft. Die Folge: Waldbrände breiten sich schneller und effizienter aus. Der grüne Mensch aber glaubt, das läge an der „Klimakatastrophe“, die er mit untauglichen Mitteln bekämpft. Mittel, die mit der Axt an seine Lebensgrundlage gehen.
An die eigene Lebensgrundlage zu gehen, ist allerdings vor allem unter der derzeitigen Regierung in Deutschland das Gebot der Stunde. Das beginnt mit dem Verzicht auf eigene Energiequellen wie die Kernkraft und hört beileibe nicht auf beim täglichen Bashing der Landwirte, die es darauf angelegt haben, Tiere zu quälen, das Grundwasser zu verseuchen und die eigenen Böden zu schädigen. Man mag über manch kleinbäuerlichen Betrieb der Vergangenheit die Nase rümpfen, dort ging es oft wenig idyllisch zu. Die moderne Landwirtschaft aber ist weit effizienter, das ist die Grundlage für die enorme Verbesserung der Lebensbedingungen weltweit. Nur in Deutschland möchte man am liebsten ohne sein. Bitteschön: Dann kommt das Biogemüse eben aus China.
Die Angst vor Glyphosat ist etwa so rational wie die Vorstellung, das „Klima“ – ein Durchschnittswert, der für sich nichts aussagt – könne durch die Bewirtschaftung eines einzigen Faktors (CO2) „gerettet“ werden und Deutschland könne dabei eine Vorreiterrolle spielen. Bitteschön: Dann kann China doch fröhlich weiter das Zeug emittieren, es liegt damit ja jetzt schon an der Spitze. China und Deutschland – beste Freunde!
Cora Stephan, geb. 1951, ist Publizistin und Schriftstellerin. Sie veröffentlichte Beiträge in zahlreichen Medien, darunter beim NDR. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Soeben ist ihr neuer Roman „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“ erschienen.