Just im Moment seines Untergangs widerfährt dem Landleben innige Zuwendung – auch von unerwarteter Seite. Ab und zu gibt es ein regelrechtes Erweckungserlebnis.
Just im Moment seines Untergangs widerfährt dem Landleben innige Zuwendung – auch von unerwarteter Seite. Das Landleben gerät kurz vor seinem Ende vor die Augen staunender Städter: Ach, da war doch noch was? Man staunt. Was findet vor, wer sich nach dörflicher Idylle sehnt? Und was wird sein, wenn der Trend sich fortsetzt?
Verfallende Dorfkerne, aber jede Menge Neubausiedlungen auf dem Acker, den zu bestellen sich nicht mehr lohnt. Die Beliebtheit der Provinz geht einher mit dem Niedergang des bäuerlichen Lebens. Einer aktuellen Studie zufolge könnte es im Jahre 2040 nur noch 100.000 Bauernhöfe geben – als Unternehmen, nicht mehr als bäuerlicher Familienbetrieb.
Dass Schriftsteller sich gern aufs Land oder ins Dorf zurückziehen – geschenkt. Auch wenn das vielleicht nicht unbedingt zur Verdorfung der Literatur führen müsste. Doch mittlerweile begibt sich auch manch städtischer Bobo auf die schlammigen Fährten jenseits der Autobahnen.
Ja, da war was und da ist noch was. Man muss sich nur mal ins Abseits begeben. Wie einst ein Journalist der „Zeit“, Henning Sussebach, der eines Tages beschloss, einmal durch ganz Deutschland zu laufen, möglichst ohne Asphalt zu betreten. Er hatte mit Mitte vierzig gemerkt, dass er das betonierte Rheinland-Pfalz lange nicht mehr verlassen hatte und Hessen nur aus den Fenstern des ICE kannte. Er wollte das Abseitige erkunden – genau genommen also fast das ganze Land.
Dabei erlebte er die seltsamsten Dinge: etwa, dass es ein Leben außerhalb der Großstadt gibt, dass auch AfD-Wähler nette Leute sein können, dass man auf dem Land die Kosten für die moralischen Moden der Stadt trägt, dass das Leben dort dennoch nicht das schlechteste ist. Ja, Zitat: „dass es überhaupt viel weniger Arschlöcher gibt, als wir denken“ und dass Journalismus sich zu sehr aufs urbane Milieu konzentriert. Kurz: Journalisten sollten häufiger in die „toten Winkel“ ihrer Wahrnehmung schauen, sich aus ihrer Filterblase herausbewegen und das Andere entdecken. „Wir übersehen bei aller Bedeutung des Extremen das Normale.“
Klenk traute sich hin und siehe da – Realität wirkt
Ein ähnliches Erweckungserlebnis widerfuhr jüngst einem anderen Journalisten, einem aus Wien, der dafür allerdings nicht ganz so viel Zeit brauchte. Florian Klenk ist seit 2012 Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter und rühmt sich, besonders interessiert an Personen zu sein, die ihn beschimpfen. Wie etwa Christian Bachler, der 37-jährige „Ackerdemiker mit Niveau“, der den höchstgelegenen Bauernhof der Steiermark bewirtschaftet. Der Bauer beschimpfte Klenk als ahnungslosen Oberfalter und lud ihn zum Praktikum auf seinen Hof, um ihm das Weltbild zurechtzurücken. Klenk traute sich hin und siehe da – Realität wirkt.
Das Buch, das der Begegnung entsprungen ist, liest sich wie eine Liebeserklärung – nicht an den Bauernstand an sich, wohl aber an den Kleinbetrieb eines gewitzten Dickkopfs, der auf 1.450 Metern Höhe in der steirischen Krakau liegt, der höchstgelegene, ganzjährig bewirtschaftete landwirtschaftliche Betrieb der Steiermark. Bachler hält alte Haustierrassen wie das Mangalitzaschwein – um die hundert glückliche Tiere, die das ganze Jahr über draußen leben – sowie, neben Hochrindern, Gänsen, Hühnern und Puten, auch etwas so Exotisches wie Yaks. Das klingt wie ein erzgrüner Traum – und tatsächlich engagierte sich Bachler einmal bei den Grünen Bauern, bis die Ökos dazu aufriefen, sich auf rosa Traktoren mit schwulen Bauern zu solidarisieren.
Schnell sind sich die beiden Fremden einig über all das, was sie verabscheuen: die Fleischindustrie, die Agrarpolitik, die bürokratischen Schikanen und die Banken. Bachlers Hof war hochverschuldet – dank Florian Klenks Mithilfe fanden sich binnen zweier Tage die 400.000 Euro, die es brauchte, um Bachler aus dem Schuldturm zu befreien. Und wer half dabei? Der als reaktionär verschriene Andreas Gabalier, auch einer, der Klenk einmal beschimpfte.
So einfach sind die Fronten eben nicht. Großschlachthöfe wie Tönnies verdanken sich den immer strengeren Auflagen, die Hausschlachtung praktisch unmöglich und lokalen und regionalen Schlachthöfen den Garaus gemacht haben. Die politischen Rahmenbedingungen werden verschärft, die Bauern an den Pranger gestellt, besonders von den Grünen. Freilebende Schweine gibt es in Deutschland nur dort, wo die Bestimmungen keine allzu aufwändigen Zäune gegen den Kontakt mit Wildschweinen vorsehen. Auch die globale Konkurrenz gefährdet eine bäuerliche Wirtschaft, in der ans Tierwohl gedacht wird und die Ackerflächen nicht mit Energiepflanzen wie Mais zugepflastert werden, weil man eine „Energiewende“ will. Wer bäuerliche Landwirtschaft erhalten möchte, muss nicht nur lokal, sondern ebenso national denken. Ob wir das hierzulande schaffen?
Florian Klenks Buch ist nicht immer realistisch, manchmal sentimental, oft rührend. Aber gut, das einer mal hingeschaut hat!
Mehr von Cora Stephan lesen Sie in ihrem neuen Buch „Lob des Normalen: Vom Glück des Bewährten“. Hier bestellbar.