Die über rapide sinkende Auflagen jammerndes Printmedien legten mit ihrer anfänglichen Aschaffenburg-(Nicht)-Berichterstattung offen, warum das Publikum sich in Massen abwendet.
Seit dem Aufkommen der Online-Nachrichtenportale klagen die Zeitungsverlage über das abstürzende Interesse der Leser an ihren gedruckten Ausgaben. Ihre Behandlung des Doppel-Messermordes der letzten Woche spricht Bände. Die Berichterstattung über die Tat im bayerischen Aschaffenburg vom vergangenen Mittwochmorgen, 22. Januar 2025, in den Print-Blättern des Folgetages zeigt exemplarisch, wie sehr eine eingefahrene Schlafmützigkeit, ja Ignoranz, dieser Entwicklung Vorschub leistet. Wenn dann in manch einschlägigen Redaktionsstuben auch noch das Bedürfnis um sich greift, die Leser vor politisch unliebsamen Erkenntnissen zu bewahren, dann sollte sich dort niemand über einstürzende Auflagen beklagen.
Am deutlichsten war dies – mal wieder – in der Tageszeitung „taz“ abzulesen. Beziehungsweise: Es gab nichts zu lesen. Die Tat, die seit Mittwochnachmittag wie nichts anderes die Republik beschäftigt und erzürnt, wurde in der gedruckten taz-Donnerstagsausgabe erst gar nicht erwähnt. Keine Zeile, kein Wort. Eine Sprachlosigkeit, hervorgerufen aus der Tatsache, dass der Täter – mal wieder – ein Asylbewerber aus Afghanistan war. „Deutsche stechen doch auch zu“, diese über all die Jahre in dem Blatt oft genug ausgedrückte Haltung war offenbar ausschlaggebend dafür, das Thema des Tages einfach links liegen zu lassen. Abgesehen von einer eklatant überproportionalen Beteiligung ausländischer Täter, meist muslimischer Herkunft: Dass das ganze Land an jenem Tag aufgewühlt bis fassungslos auf Aschaffenburg blickte, war für die Berliner Redaktion offenbar erst Recht ein weiterer Grund, das Ganze unter den Tisch fallen zu lassen. Das Neue Deutschland hat schließlich auch nicht über die Mauertoten berichtet. Dass die taz-Leser diese Ignoranz hofieren, dürfte allerdings ein Trugschluss sein, zumindest ein überholter Stand.
Die taz ist in der Berichterstattung respektive Nicht-Berichterstattung über die Tat in Aschaffenburg sicher der extremste Fall. Insgesamt allerdings darf man festhalten, dass die Printpresse das Thema regelrecht verschlafen hat, über einen langen halben Tag. Bis Redaktionsschluss am späten Nachmittag oder frühen Abend vor seiner erkennbaren Brisanz die Augen fest verschlossen. Auf den Titelseiten war es so gut wie nicht präsent, mit Ausnahme vielleicht eines Einspalters in der Faz, ansonsten allerkürzeste Verweise auf die Seiten „Vermischtes“, „Aus aller Welt“, wo man eine Tat, die bereits absehbar den Wahlkampf umkrempeln würde, dann neben Smalltalk über Filmstars, Unwetter oder Verkehrsunfälle abhandelte. Nur dort passe es hin, meinte man, wohl weil es schließlich kein Terrorangriff, sondern die Tat eines psychisch Kranken gewesen sei, nach dem Motto: kann passieren, bitte gehen Sie weiter, hier ist nichts zu sehen. Welch eine grandiose Fehleinschätzung der politischen Relevanz.
Wird hier eine Art versteckter Rassismus unterstellt?
Selbst auf der Titelseite der „Welt“, der man gewiss nicht ihre deutliche Kritik an der Migrationspolitik absprechen kann, kam das Wort Aschaffenburg nicht vor. Wollte man verschwörungstheoretisch argumentieren, würde man eine Absprache der Chefredaktionen vermuten – ein natürlich abwegiger Scherz, doch weil sich noch (fast) niemand an einen gedruckten Kommentar gewagt hatte, kam das Thema auch in den Presseschauen vom nächsten Tag, Freitag, nicht vor. Der Deutschlandfunk fand hierfür nur eine einzige einschlägige Meinungsäußerung, aus der Südwestpresse. Die immerhin erkannte: „Dieser Anschlag wird den Wahlkampf weiter verändern. Zurecht. Denn sollten sich die Erkenntnisse bestätigen, dass der Täter aus Afghanistan bereits ausreisepflichtig war, müssen wir uns endlich eingestehen: unsere Asylpolitik funktioniert nicht.“
Was die kleineren Provinzzeitungen anging, die ebenso das Thema weit hinten abhandelten, so wurden sie recht einheitlich dominiert von einer dpa-Meldung, in der die Tat selbst geschildert wurde. Auffällig in dieser hunderttausendfach gedruckten Agentur: Dass der Täter ein Migrant ohne Aufenthaltsgenehmigung war, jenes einschlägige Muster, das wegen seiner Häufigkeit für wachsenden Zorn sorgt, wurde erstmal gar nicht erwähnt. Man musste es aus einem eher indirekten Hinweis weiter hinten entnehmen, wo es hieß, „in der Unterkunft des Afghanen seien entsprechende Medikamente gefunden worden“ (welches Afghanen eigentlich, dürfte sich da mancher mancher Leser gefragt haben).
So dass dann erstmal die Herkunft des ermordeten Kleinkindes benannt wurde: „Ein zweijähriger Junge marokkanischer Abstammung stirbt…“, und das scheint für manche wichtiger zu sein. Zum Beispiel für die taz, die in ihrer Freitagsausgabe, als sie sich dann doch für eine Berichterstattung entschied, kritisierte: „Die Eltern der toten und verletzten Kinder von Aschaffenburg sind selbst zugewandert – aber das scheint nicht zu zählen“. Einmal ganz abgesehen davon, dass der Umstand ganz im Gegenteil fast überall Erwähnung fand: Was eigentlich soll mit dem „scheint nicht zu zählen“ insinuiert werden? Wird hier eine Art versteckter Rassismus unterstellt? Der Mörder, in Wahrheit ein rechter Ausländerfeind? Etwa so wie man im Fall von Magdeburg ein rechtsradikales Tat-Muster stricken wollte?
„Nein, bitte nicht schon wieder“
Beschämend für die Print-Journalisten: Mittwoch am frühen Nachmittag bereits, zwei, drei Stunden nach der Tat, lagen die entscheidenden Tatsachen und Zusammenhänge auf dem Tisch. Aus den Online-Medien war spätestens um halb zwei bekannt, dass der afghanische Täter längst ausreisepflichtig und wegen mehrfacher Gewalttaten polizeibekannt war, die bayerische Polizei und zuständige Bundesbehörden gegen ihn erfolglos vorgegangen waren. Auch dass Bundeskanzler Scholz von Paris aus in bester Manier eines Oppositionspolitikers polterte, er sei es nun Leid und nun müsse endlich mal was passieren, haben ja alle noch rechtzeitig mitgekriegt. Die Brisanz für den politischen Raum mitten im Wahlkampf, in dem die AfD und ihre Migrationskritik, das „Rote Tuch“ für alle anderen, derzeit sowieso auf dem Vormarsch ist, zeichnete sich frühzeitig mehr als deutlich ab. Doch die Printredaktionen entschieden sich offenbar in einer „nein, bitte nicht schon wieder“-Mentalität dazu, die Angelegenheit nach hinten zu schieben, als „Aus-aller-Welt“-Sache.
Spätestens am Mittwochabend allerdings dürften die Verantwortlichen der Presse ihre Entscheidungen bitter bereut haben, als sie Heute, Tagesschau, Heute-Journal und Tagesthemen verfolgten. Denn im Fall Aschaffenburg darf man den Öffentlich-Rechtlichen ausnahmsweise einmal ein gutes Zeugnis ausstellen. Alle vier Formate stellten die Nachricht des Tages in allen ihren politischen Implikationen sehr ausführlich ganz nach vorne, mit Korrespondentenberichten nicht nur aus Aschaffenburg, sondern auch aus Berlin und München.
Es war klar: Eine Wahlkampf-Bombe war losgegangen. Den Tagesthemen darf man zugutehalten, dass sie den hochangesehenen arabischstämmigen deutschen Psychologen und Autor Ahmad Mansour zu einem ausführlichen Interview gebeten hatte, in dem er die Tat als weiteren Hinweis darauf bezeichnete, dass die unkontrollierte Zuwanderung eingedämmt werden müsse. Unter Hinweis auf die wohl vorliegende psychische Krankheit des Täters sagte Mansour, dass man eben nicht jedem dieser Fälle eine psychiatrische Dauerbetreuung gewähren könne. Die Kapazitäten im Land seien begrenzt und erschöpft.
Der Druck war offenbar zu groß
Es dürfte schwer sein, in den Archiven oder Mediatheken von ARD und ZDF eine ähnlich harte Kritik an der herrschenden Migrationspolitik noch am selben Tag eines solchen Vorfalls zu finden. Doch der Druck war offenbar zu groß eingedenk der nun nicht mehr zu leugnenden Zusammenhänge. Ein wenig vielleicht auch wegen der anhaltenden Diskussion über das gerade erschienene Buch „Inside Tagesschau“ des langjährigen ARD-Mitarbeiters Alexander Teske, der über seine ehemaligen Kollegen der wichtigsten Nachrichtensendung des deutschen Fernsehens aus dem Nähkästchen plauderte und offenlegte, wie unglaublich heftig die linksgrüne Schlagseite der Redaktion ausgeprägt ist.
Am Donnerstag dann, 24 Stunden danach, hatten die Zeitungsredaktionen ausgiebig Zeit, über ihre Schlafmützigkeit nachzudenken. Die Morgenausgaben am Freitag waren denn auch über jeweils mehrere Seiten mit dem Thema gefüllt. Was bestimmten Blättern allein schon deshalb nicht mehr schwer fiel, weil sie sich nun an den Reaktionen auf den Doppelmord und die sich daraus ergebenden politischen Forderungen im Wahlkampf abarbeiten konnten, wieder politisch korrekt. Auch die taz war nun voll dabei, jetzt sogar ohne zu zögern auf dem Titel zum Thema. Mit Merz, als „Bester deutscher Trump-Darsteller“.
Ulli Kulke ist Journalist und Buchautor. Zu seinen journalistischen Stationen zählen unter anderem die „taz“, „mare“, „Welt“ und „Welt am Sonntag“, er schrieb Reportagen und Essays für „Zeit-Magazin“ und „SZ-Magazin“, auch Titelgeschichten für „National Geographic“, und veröffentlichte mehrere Bücher zu historischen Themen.