Offenbar kann eine anonyme Macht, die durch kein demokratisch zustande gekommenes Gesetz dazu legitimiert wurde, Sprache administrativ verändern. Wer diesen Sprachvorgaben nicht folgt, wird dann irgendwann bestenfalls als Außenseiter gelten.
Im Spätherbst hatte ich als Autor einige Veranstaltungen in Ostdeutschland. Im Blick auf die politischen Verhältnisse in Deutschland bin ich ein kritischer Zeitgenosse und bringe das auch öffentlich zum Ausdruck. Aber ich war doch erschrocken über die ungebremste emotionale Wut auf die deutsche Politik, die mir von großen Teilen des Publikums entgegenschlug. Das kam nicht nur von einigen radikalen Spinnern, In dem sehr gemischt zusammengesetzten Publikum traf diese Wut auf eine breite Resonanz.
Nachdenklich und ein Stück weit verunsichert kehrte ich nach Berlin ins bürgerliche Charlottenburg zurück und schaltete, was ich immer seltener tue, abends die Tagesschau ein, da ich einige nachrichtenlose Tage verbracht hatte. Von einer freundlichen Tagesschausprecherin erfuhr ich, dass
- „Iranerinnen und Iraner“ gegen die Diktatur der Mullahs auf die Straße gingen
- „Soldatinnen und Soldaten“ der Bundeswehr sich auf den NATO-Einsatz in Estland vorbereiteten
- Europäische „Außenministerinnen und Außenminister“ sich wegen des Ukrainekriegs zu einer Sondersitzung“ getroffen hatten
- „Kinderärztinnen und Kinderärzte“ wegen der Zunahme der Atemwegserkrankungen überlastet waren
- Die Zahl der „Asylbewerberinnen und Asylbewerber“ in den letzten Wochen stark gestiegen sei
„Jüdinnen und Juden“ in Deutschland immer stärker unter Antisemitismus leiden
Und so ging es munter weiter…
Woher nimmt diese Sprachpolizei ihr Mandat?
Ich spürte, wie jetzt in mir die Wut aufstieg: Wer hat in dem mit meinen Zwangsgebühren finanzierten staatlichen Rundfunk eine Sprachpolizei installiert, die einen zentral gelenkten Krieg gegen die Verwendung des viele Jahrtausende alten generischen Maskulinums führt und auch noch die letzte junge und freundliche Nachrichtensprecherin unter ihre Knute zwingt? Woher nimmt diese Sprachpolizei ihr Mandat, und welche bürokratischen Speichellecker setzten ihre Vorgaben so willfährig um, dass sich niemand, schon gar nicht eine kleine abhängig beschäftigte Nachrichtensprecherin, ihren Vorgaben sanktionsfrei entziehen kann?
Offenbar kann eine anonyme Macht, die durch kein demokratisch zustande gekommenes Gesetz dazu legitimiert oder gezwungen wurde, Sprache administrativ verändern. Man darf sich nämlich keine Illusionen machen: Die Sprache des staatlichen Rundfunks setzt sich auch in den Zeitungen durch, und irgendwann werden jene, die den zentralen staatlichen Normvorgaben in ihrem persönlichen sprachlichen Ausdruck nicht entsprechen wollen, als sonderbare Außenseiter gelten. Wer unter Politikern noch das generische Maskulinum verwendet, wird eines nicht zu fernen Tages als rückständig und verkalkt gelten – oder er wird wegen seines reaktionären Sprachgebrauchs gleich unter AfD-Verdacht gestellt werden.
Liebe Menschen statt Damen und Herren
Nun halten viele den Kampf um die gendergerechte Sprache für ein gesellschaftliches Nebenthema, dem man so oder so keine übermäßige Bedeutung zumessen sollte. Da mögen sie recht haben, aber es wird hier ja nicht enden: Die Genderideologie ist schon viel weiter und stellt generell die Zuordnung des Menschen zu einem Geschlecht infrage. Die Anrede eines Publikums als „Damen und Herren“ steht jetzt bei der amerikanischen Universität Stanford auf dem Index verbotener Ausdrucksweisen. Die Tagesschausprecherin wird wohl bald nicht mehr die „Damen und Herren“ ansprechen, sondern zu „liebe Menschen“ übergehen. Aus „Asylbewerberinnen und Asylbewerbern“ könnten „Asylbewerbende“ werden. Schwierig wird es bei „Soldatinnen und Soldaten“: „Kämpfende“ passt nicht. Was ist, wenn der Soldat gerade mal nicht kämpft?
Und was macht man mit den „Kinderärztinnen und Kinderärzten“, „ärztlich Tätige“ vielleicht? Früher hieß es einfach „Arzt“, wenn man kein bestimmtes Geschlecht meinte. Ach wie einfach und im Sinne der modernen Genderideologie auch wie fortschrittlich war doch das generische Maskulinum. Das umschloss auch jenen Arzt, der sein Geschlecht als „divers“ definiert.
So verschwanden die Mohrenköpfe und Negerküsse aus den Regalen
Wer brockt uns so etwas ein? Meine Antwort: Es gibt gesellschaftliche Moden, die in früheren Zeiten von Propheten, Hellsehern und Medizinmännern erschaffen wurden. Heute sind an deren Stelle Philosophen, Soziologen, Psychologen und Politologen getreten. Deren immer wieder wechselnde Ideologien und Ideen beeinflussen die Medien. Von dort finden sie Eingang in die Köpfe der Politiker. Auch privatwirtschaftliche Unternehmen passen sich an wechselnde Moden und Tabus meist eilfertig an, so verschwanden die Mohrenköpfe und Negerküsse aus den Regalen.
Die Bürger, Wähler und Konsumenten haben regelmäßig gar keine Wahl und werden in die neuen Verhältnisse durch Opportunität und Gewohnheit eingebunden. Bisweilen aber merken sie, was gespielt wird. Dann fühlen sie sich als machtloses Objekt willkürlicher Entwicklungen und kriegen die Wut.
Mit dieser Mechanik kann Demokratie gefördert werden, sie kann aber auch dadurch gefährdet werden oder gar untergehen.
Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.