Thilo Sarrazin / 23.01.2023 / 06:00 / Foto: Achgut.com / 165 / Seite ausdrucken

Die Sprache des staatlichen Rundfunks

Offenbar kann eine anonyme Macht, die durch kein demokratisch zustande gekommenes Gesetz dazu legitimiert wurde, Sprache administrativ verändern. Wer diesen Sprachvorgaben nicht folgt, wird dann irgendwann bestenfalls als Außenseiter gelten.

Im Spätherbst hatte ich als Autor einige Veranstaltungen in Ostdeutschland. Im Blick auf die politischen Verhältnisse in Deutschland bin ich ein kritischer Zeitgenosse und bringe das auch öffentlich zum Ausdruck. Aber ich war doch erschrocken über die ungebremste emotionale Wut auf die deutsche Politik, die mir von großen Teilen des Publikums entgegenschlug. Das kam nicht nur von einigen radikalen Spinnern, In dem sehr gemischt zusammengesetzten Publikum traf diese Wut auf eine breite Resonanz.

Nachdenklich und ein Stück weit verunsichert kehrte ich nach Berlin ins bürgerliche Charlottenburg zurück und schaltete, was ich immer seltener tue, abends die Tagesschau ein, da ich einige nachrichtenlose Tage verbracht hatte. Von einer freundlichen Tagesschausprecherin erfuhr ich, dass 

- „Iranerinnen und Iraner“ gegen die Diktatur der Mullahs auf die Straße gingen 

- „Soldatinnen und Soldaten“ der Bundeswehr sich auf den NATO-Einsatz in Estland vorbereiteten

- Europäische „Außenministerinnen und Außenminister“ sich wegen des Ukrainekriegs zu einer Sondersitzung“ getroffen hatten

- „Kinderärztinnen und Kinderärzte“ wegen der Zunahme der Atemwegserkrankungen überlastet waren

- Die Zahl der „Asylbewerberinnen und Asylbewerber“ in den letzten Wochen stark gestiegen sei

„Jüdinnen und Juden“ in Deutschland immer stärker unter Antisemitismus leiden

Und so ging es munter weiter…

Woher nimmt diese Sprachpolizei ihr Mandat?

Ich spürte, wie jetzt in mir die Wut aufstieg: Wer hat in dem mit meinen Zwangsgebühren finanzierten staatlichen Rundfunk eine Sprachpolizei installiert, die einen zentral gelenkten Krieg gegen die Verwendung des viele Jahrtausende alten generischen Maskulinums führt und auch noch die letzte junge und freundliche Nachrichtensprecherin unter ihre Knute zwingt? Woher nimmt diese Sprachpolizei ihr Mandat, und welche bürokratischen Speichellecker setzten ihre Vorgaben so willfährig um, dass sich niemand, schon gar nicht eine kleine abhängig beschäftigte Nachrichtensprecherin, ihren Vorgaben sanktionsfrei entziehen kann?

Offenbar kann eine anonyme Macht, die durch kein demokratisch zustande gekommenes Gesetz dazu legitimiert oder gezwungen wurde, Sprache administrativ verändern. Man darf sich nämlich keine Illusionen machen: Die Sprache des staatlichen Rundfunks setzt sich auch in den Zeitungen durch, und irgendwann werden jene, die den zentralen staatlichen Normvorgaben in ihrem persönlichen sprachlichen Ausdruck nicht entsprechen wollen, als sonderbare Außenseiter gelten. Wer unter Politikern noch das generische Maskulinum verwendet, wird eines nicht zu fernen Tages als rückständig und verkalkt gelten – oder er wird wegen seines reaktionären Sprachgebrauchs gleich unter AfD-Verdacht gestellt werden.

Liebe Menschen statt Damen und Herren

Nun halten viele den Kampf um die gendergerechte Sprache für ein gesellschaftliches Nebenthema, dem man so oder so keine übermäßige Bedeutung zumessen sollte. Da mögen sie recht haben, aber es wird hier ja nicht enden: Die Genderideologie ist schon viel weiter und stellt generell die Zuordnung des Menschen zu einem Geschlecht infrage. Die Anrede eines Publikums als „Damen und Herren“ steht jetzt bei der amerikanischen Universität Stanford auf dem Index verbotener Ausdrucksweisen. Die Tagesschausprecherin wird wohl bald nicht mehr die „Damen und Herren“ ansprechen, sondern zu „liebe Menschen“ übergehen. Aus „Asylbewerberinnen und Asylbewerbern“ könnten „Asylbewerbende“ werden. Schwierig wird es bei „Soldatinnen und Soldaten“: „Kämpfende“ passt nicht. Was ist, wenn der Soldat gerade mal nicht kämpft? 

Und was macht man mit den „Kinderärztinnen und Kinderärzten“, „ärztlich Tätige“ vielleicht? Früher hieß es einfach „Arzt“, wenn man kein bestimmtes Geschlecht meinte. Ach wie einfach und im Sinne der modernen Genderideologie auch wie fortschrittlich war doch das generische Maskulinum. Das umschloss auch jenen Arzt, der sein Geschlecht als „divers“ definiert.

So verschwanden die Mohrenköpfe und Negerküsse aus den Regalen

Wer brockt uns so etwas ein? Meine Antwort: Es gibt gesellschaftliche Moden, die in früheren Zeiten von Propheten, Hellsehern und Medizinmännern erschaffen wurden. Heute sind an deren Stelle Philosophen, Soziologen, Psychologen und Politologen getreten. Deren immer wieder wechselnde Ideologien und Ideen beeinflussen die Medien. Von dort finden sie Eingang in die Köpfe der Politiker. Auch privatwirtschaftliche Unternehmen passen sich an wechselnde Moden und Tabus meist eilfertig an, so verschwanden die Mohrenköpfe und Negerküsse aus den Regalen.

Die Bürger, Wähler und Konsumenten haben regelmäßig gar keine Wahl und werden in die neuen Verhältnisse durch Opportunität und Gewohnheit eingebunden. Bisweilen aber merken sie, was gespielt wird. Dann fühlen sie sich als machtloses Objekt willkürlicher Entwicklungen und kriegen die Wut.

Mit dieser Mechanik kann Demokratie gefördert werden, sie kann aber auch dadurch gefährdet werden oder gar untergehen.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

Foto: Achgut.com

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SHolder / 23.01.2023

Nicht nur bei der Sprache in diversen Bereichen fragt man sich langsam, welche “anonyme” Macht hier die Strippen zieht. Nicht nur Deutschland schafft sich ab - es betrifft mittlerweile die gesamte EU - regiert von Minderheiten und Oppositionellen, die gleichgeschaltet agieren oder sich als rechtsextrem isolieren lassen müssen - “schöne neue Welt”!

Heiko Stadler / 23.01.2023

Das Gendern ist die Sprache der Ausgrenzung und Spaltung. Die Menschen, die sich nicht der sozialistischen Ideologie unterwerfen wollen, sollen rechtlich, nicht aber steuerlich, ausgegrenzt werden. Die Spaltung ist eines der wichtigsten Werkzeuge totalitärer Regime, denn gespaltene Gesellschaften sind machtlos und können das Regime nicht so leicht angreifen. Das wusste auch schon der Postkartenmaler vor 80 Jahren. Damals wurde inoffiziell ein neuer Gruß eingeführt, das H.H. Man konnte zwar weiterhin “Grüß Gott” oder “Guten Tag” sagen, aber man wurde ausgegrenzt, so wie heute beim nicht gegenderten “Liebe Zuhörer”.

R. Matzen / 23.01.2023

Die Negerküsse und Mohrenköpfe mögen zwar aus den Regalen verschwunden sein; sie sind aber jetzt in der Werbung allgegenwärtig. Die „normale“ deutsche Familie mit Vater, Mutter, Kind findet dort ausschließlich nur noch mit mindestens einem Farbigen statt. Ob Krankenkasse oder schwedisches Möbelhaus. Über die Wut meiner Mitmenschen, von der Sie berichten, freue ich mich; denn sie macht klar, daß man eben nicht bereit ist, sich diesen Unsinn gefallen zu lassen. Aber warum das Ganze? Wer die Sprache bestimmt, bestimmt auch das Denken. Wer die Sprache „hat“, hat auch die Macht im Staat. So fügen sich Gendergestolper, Rechtschreibreform und Maskenwahn zu einer wahrhaft unheilvollen Allianz zusammen. Warum wohl ändern Wahlen kaum noch etwas im Land? Weil vielleicht, abgesehen von Ihren Wütenden, schon zu viele im Denken gleichgeschaltet sind?

Wilfried Cremer / 23.01.2023

Guten Tag, Herr Sarrazin, nicht legitimierte Macht neigt zur Erziehung der in ihre Hand Gegebenen zu irgendwelchem Blödsinn, nur um jenes Manko mit Verwirrung zu vernebeln. Ehrlich, man verblödet nicht, wenn man die Glotze zum Recyceln weggibt, so wie ich gefühlt vor hundert Jahren. Lassen Sie den Dämon Dämon sein!

Christian Müller / 23.01.2023

Sehr geehrter Herr Sarrazin, “Schwierig wird es bei „Soldatinnen und Soldaten“: „Kämpfende“ passt nicht. Was ist, wenn der Soldat gerade mal nicht kämpft?”. Darüber sind wir lange hinweg. Es heißt im “offiziellen” Sprachgebrauch seit langem “Studierende” und nicht mehr Studenten. Mit Sprachlogik braucht man diesen Vergewaltigern der deutschen Sprache nicht kommen. Und ja, es gibt eine Möglichkeit, diesem Wahnsinn entgegenzutreten. Nur wollen SIE diese nicht wahr haben! Sei schlau, wähl blau!

Albert Pflüger / 23.01.2023

Es ist so nervtötend, daß man verzweifelt versucht, den Inhalt zu erfassen, ohne ständig durch die kontextunabhängige Betonung der Selbstverständlichkeit menschlicher Zweigeschlechtlichkeit abgelenkt zu werden. Gleichzeitig wird man gelegentlich auf die falsche Fährte gelockt, weil die weibliche Form, immer im Plural, selbst dann hinzugefügt wird, wenn keine einzige Frau dabei war. Daß damit die herbeiphantasierten zusätzlichen Geschlechter nach deren Auffassung “unsichtbar” gemacht werden, dafür muß man wohl noch dankbar sein, denn würden sie gleichfalls nicht nur mitgemeint, sondern auch mitgenannt, wäre die Fahndung nach dem mitzuteilenden Sachinhalt wohl endgültig zum Scheitern verdammt.

Katharina Mukowskie / 23.01.2023

“Wer die Sprache seiner Nation verachtet, entehrt ihr edelstes Publicum; er wird ihres Geistes, ihres inneren und äußeren Ruhms, ihrer Erfindungen, ihrer feineren Sittlichkeit und Betriebsamkeit gefährlichster Mörder.” Johann Gottfried Herder. Oder Hermann Lübbe “Tugendterror – Höhere Moral als Quelle politischer Gewalt”

Ottmar Zittlau / 23.01.2023

Herr Sarrazin, “Deutschland schafft sich ab” in gendergerechter Sprache, das wäre doch etwas, oder!? Also ein Meisterwerk für jeden Genderisten….leider wird damit die Bedeutung dieser vier Worte nicht verklärt, im Gegenteil, sie bekommen nun den finalen Sinn, gerade für die, die es nicht verstanden haben!

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