Ich lebe seit 47 Jahren in Stuttgart und mag diese „Großstadt zwischen Wald und Reben“. Der Slogan soll übrigens von einem Nazi-Major stammen und sollte Anfang der 70er Jahre nach einem öffentlichen Wettbewerb durch das Allerweltsmotto „Stuttgart – Partner der Welt“ ersetzt werden, das sich aber nicht durchsetzte und jetzt nur noch eine LP des Verkehrsamtes ziert, die auf Ebay angeboten wird. Und die Stuttgarter mag ich natürlich auch. Aber manchmal geben sie mir Rätsel auf. Etwa bei ihren verschiedenen Protestaktionen.
„Proteste sind in Stuttgart nichts Neues“, schrieb die Bildzeitung am 14. Oktober 2010. „Demos gegen Großprojekte gehören zur Geschichte der Stadt. Und kaum sind die Bauwerke erstellt, sind alle stolz drauf.“ So war es etwa beim heutigen Wahrzeichen der Stadt, dem Fernsehturm, dem ersten seiner Art weltweit. So war es beim Flughafenausbau und dem Messeneubau. Und natürlich beim Bahnprojekt Stuttgart 21. Hier stehen allerdings erst mal die Proteste im Vordergrund. Ob sich dann eines Tages auch der Stolz einstellt, werden wir erst, nun ja, irgendwann wissen.
Besonders kritisch sind die Stuttgarter gegenüber Themen mit Nazi-Bezug. Allerdings muss man hier differenzieren.
Der Journalist Johannes Gross (gest. 1999) hat einmal bemerkt: „Je länger das Dritte Reich zurück liegt, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler.“ Ich weiß nicht, ob er dabei an die Stuttgarter gedacht hat. Es hätte aber durchaus sein können.
Zwar hat der Stuttgarter Gemeinderat – im Gegensatz zu ein paar anderen Kommunen – bereits am 5. August 1946 Hitler die 1933 verliehene Ehrenbürgerwürde aberkannt, wie mir die Amtsblatt-Redaktion auf Anfrage mitgeteilt hat. Das am 23. Juli 1933 als „Adolf-Hitler-Kampfbahn“ eingeweihte „Neckar-Stadion“ (heute Mercedes-Benz-Arena) behielt seinen anrüchigen Namen nur bis zum Zusammenbruch des Tausendjährigen Reiches und bekam dann von den Amis den Namen Century Stadium verpasst.
Aber danach war lange Zeit Ruhe. Bis sich der Stuttgarter Gemeinderat ein nach dem antisemitischen Historiker Heinrich von Treitschke benanntes Sträßchen im Stadtteil Sillenbuch vornahm. Das nationalsozialistische Hetzblatt „Der Stürmer" hatte den Treitschke-Satz „Die Juden sind unser Unglück" zwar schon 1927 als Schlagzeile aufs Titelblatt gehoben. Aber erst im März 2010 wurde die „Treitschke-Straße“ in „Fritz-Bauer-Straße“ umbenannt.
„Kampf gegen rechts“ mit Geschmäckle
Noch kurioser verlief die Geschichte mit dem Hindenburgbau. Zwar hat Reichspräsident Paul von Hindenburg den „böhmischen Gefreiten“ Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt (sog. Machtergreifung). Er genoss aber als Generalfeldmarschall und „Sieger von Tannenberg“ (im Ersten Weltkrieg) hohes Ansehen, war Ehrenbürger von 3.824 Gemeinden und zweifellos kein Nazi. Gleichwohl hätte man ihm natürlich nach dem Ende des Deutschen Reiches die Ehrenbürgerschaft aberkennen können. Dass der Stuttgarter Gemeinderat dies aber erst am 15. Juli 2010 tat, hinterlässt – jedenfalls bei mir – das, was die Schwaben ein Gschmäckle nennen. Doch nicht genug damit: Die Landesbank Baden-Württemberg Immobilien als private Eigentümerin des so genannten Hindenburgbaus gegenüber dem Hauptbahnhof ließ gleichzeitig den Schriftzug „Hindenburgbau“ entfernen. Ein heroischer Akt des Widerstandes. Demgegenüber wurden der Platz auf der Nordseite des Bahnhofs nach dem NSDAP-Mitglied (1933-1945) Kurt Georg Kiesinger und die Merkzweckhalle in der Nähe der früheren Adolf-Hitler-Kampfbahn nach dem SS-Mitglied (1933-1945) Hanns-Martin Schleyer benannt.
Doch auch diese Anstrengungen im „Kampf gegen Rechts“ sind noch zu toppen. 1817 nahm Wilhelm I., König von Württemberg, den Spruch „Furchtlos und treu“ in das Staatswappen auf. Dort dämmerte er vor sich hin, bis sich 1999 eine Neonazi-Gruppe unter dem Motto etablierte. Das hinderte den Verein für Bewegungsspiele Stuttgart 1893 e.V. – kurz VfB – anno 2014 nicht, diesen Slogan in den Mittelpunkt seiner neuen Marketingoffensive zu stellen (natürlich nach entsprechender Beratung durch Marketing-Profis). Zuvor hatte der Spruch schon seit einiger Zeit über dem Spielertunnel in der Mercedes-Benz-Arena gestanden, ohne Anstoß zu erregen.
Jetzt aber empörte sich der Landtagsabgeordnete der Grünen und langjähriger VfB-Fan Jürgen Walter und bekannte, noch nie habe er sich für seinen Verein so geschämt. Nun kann man sich darüber streiten, ob der Slogan zu einem Fußballverein unserer Tage passt, selbst wenn man dort auf Tradition setzt. Doch all das ficht furchtlose Widerstandskämpfer nicht an. Alles, was auch nur entfernt „rechts“ kontaminiert erscheint, ist pfui und igitt. Basta!