Thilo Sarrazin / 19.02.2019 / 06:11 / Foto: Achgut.com / 75 / Seite ausdrucken

Die SPD gehört auf die Intensivstation

Am 17. Januar klingelte der Postbote an meiner Haustür und übergab mir ein Schreiben des SPD-Generalsekretärs Lars Klingbeil, dessen Erhalt ich quittieren musste. Wie ich erwartet hatte, ging es um den erneuten Antrag auf Parteiausschluss. Das hatte der Generalsekretär ja schon am 20. Dezember in einer Pressemitteilung verkündet. Beim letzten Ausschlussantrag acht Jahre zuvor war Andrea Nahles Generalsekretärin gewesen. Sie scheiterte damals, und Lars Klingbeil wird es nicht besser ergehen, denn eine politische Partei ist keine Wahrheitskommission, die über den Inhalt eines Sachbuchs und dessen Autor richten kann.

Der erneute Ausschlussantrag zeigt das Ausmaß an Verzweiflung an, das offenbar in der engeren Parteiführung herrscht. In den bundesweiten Umfragen pendelt die SPD seit Monaten zwischen 14 und 15%, etwa gleichauf mit der AfD, und der Termin der Europawahl (26. Mai) rückt immer näher. So niedrig die Werte auch sein mögen, es geht offenbar immer noch tiefer. In der jüngsten Umfrage für Bayern (Institut Forsa) unterbietet die SPD noch ihr einstelliges Ergebnis bei der letzten Landtagswahl und liegt jetzt bei 6%. 

Altbundeskanzler Gerhard Schröder versuchte sich vor einigen Tagen als Notbremser und griff die Parteivorsitzende Andrea Nahles öffentlich scharf an. Sie verstehe nichts von Wirtschaft und könne es nicht, selbst ihren Kleidungsstil kritisierte er. Er erfuhr aus der Parteiführung sofortigen Widerspruch. Vor der Europawahl wird Andrea Nahles bestimmt nicht stürzen, aber welche Autorität hat sie noch?

Die SPD entscheidet über soziale Wohltaten

Die ganze Hoffnung der SPD-Führung richtet sich jetzt offenbar darauf, dass sie als Mitglied der großen Koalition in Berlin auf einem großen Geldsack sitzt und jene Ressorts regiert, in denen über soziale Wohltaten entschieden wird, nämlich das Finanzministerium, das Familienministerium und das Sozialministerium.

Im Sozialen sieht die SPD ihre Hauptkompetenz: Ihr Gestaltungsanspruch beschränkt sich zunehmend darauf, finanzielle Wohltaten zu verteilen und vermeintliche Härten zu mildern:

In diesem Geiste wurde bereits in den letzten Jahren die Anhebung der Altergrenze in der Rentenversicherung zurückgedreht und die vorzeitige Verrentung mit 63 Jahren erleichtert.

In diesem Geiste versucht die SPD-Linke, unterstützt von der Parteivorsitzenden Andrea Nahles, seit geraumer Zeit die von Gerhard Schröder 2004 durchgesetzten Reformen am Arbeitmarkt zu verwässern und das Verweilen in der sozialen Hängematte erneut zu erleichtern.

In diesem Geiste hat Sozialminister Hubertus Heil jetzt Vorschläge zur Erhöhung der Grundrente für Geringverdiener vorgelegt, die den Bundeshaushalt jährlich mit fünf bis 15 Mrd. Euro belasten und mehr Ungerechtigkeiten schaffen wird, als sie beseitigt.

Die beitragsfinanzierte Sozialrente ist in Deutschland grundsätzlich nach der Zahl der Beitragsjahre und der Höhe der Beiträge gestaffelt. Dieser Zusammenhang sorgt für Finanzierbarkeit und angesichts der schmerzhaft hohen Beiträge auch für soziale Akzeptanz. Wer nur niedrige Beiträge zahlt oder größere Erwerbslücken hat, erhält ergänzend zum erworbenen Rentenanspruch Leistungen aus der staatlichen Grundsicherung, die sich am Niveau der allgemeine Grundsicherung ausrichten und so bemessen sind, dass Armut vermieden wird.

Minister Heil sitzt am Hebel

Wer Grundsicherung bezieht, muss sich allerdings alle anderweitigen Einkommen anrechnen lassen. Das will Sozialminister Heil aushebeln: Geringverdiener sollen eine nicht durch Beiträge verdiente Rente bekommen, die sie besser stellt als die Grundsicherung und auch nicht mit Betriebsrenten oder anderen Einkommen verrechnet werden muss. Das wird nicht nur extrem teuer, sondern bringt zudem eine Fülle von Inkonsistenzen und neuen Ungerechtigkeiten mit sich. Es ist ungerecht gegenüber jenen Rentnern, die eine höhere eigene Beitragsleistung erbracht haben und eine vergleichbare Rente beziehen. Finanziert werden kann diese Privilegierung zudem nicht aus Sozialbeiträgen, sondern nur vom Steuerzahler.

Das anrechnungsfreie Geschenk widerspricht zudem den Zwängen und Notwendigkeiten, die sich für die Altersversorgung in Deutschland aus der Demographie ergeben, und das führt zurück zur langfristigen Strukturverantwortung der SPD: Die bis Mitte der sechziger Jahre geborenen Babyboomer gehen in wenigen Jahren in Rente. Die dann in das Erwerbsleben nachrückenden Jahrgänge sind weitaus kleiner, so dass ab 2030 ein großer Druck auf die Absenkung des Renteniveaus und die Erhöhung des Steueranteils an der Rente entsteht. In den achtziger und neunziger Jahren hatte es auch in der SPD Bestrebungen gegeben, hierfür Vorsorge zu leisten. Durch die sorglose Politik der letzten Jahre wurde diese Vorsorge in ihr Gegenteil verkehrt.

Seit dem Beginn des Geburtenknicks Ende der sechziger Jahre sind 50 Jahre vergangen. In dieser Zeit stellte die SPD 20 Jahre lang den Bundeskanzler und 30 Jahre lang den für die Renten zuständigen Minister. Sie tat in ihren Ämtern wenig bis nichts gegen den Geburtenrückgang und verdrängt mittlerweile die Problematik stärker denn je. 

Stattdessen assistierte sie bei der Öffnung der Grenzen für die Masseneinwanderung von wenig Qualifizierten und hat bis heute kein Konzept dagegen. Das merken viele Bürger und haben auch deshalb der SPD, die früher als Schutzmacht der kleinen Leute galt, ihr Vertrauen entzogen. Dieses Vertrauen lässt sich nicht durch unsystematische und sozial ungerechte Geldgeschenke auf Kosten der Steuerzahler zurück erwerben, und berechtigte Kritik kann man nicht dadurch mundtot machen, dass man Querdenker wie mich aus der Partei ausschließt.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

Foto: Achgut.com

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Ilse Polifka / 19.02.2019

Sehr geehrter Herr Sarrazin, leider wird immer gern verschwiegen, daß es sich bei der Grundsicherung ( im Alter und bei Erwerbsminderung ) mit der die geringen Renten aufgestockt werden können, um Sozialhilfe handelt, Das hat z.B. Folge, daß Menschen, die diese Grundsicherung beziehen, nur über ein Vermögen von 5000.- € verfügen dürfen ( bis vor 2 Jahren waren es sogar nur 2 600.- € ).

Ulv J. Hjort / 19.02.2019

SEHR geehrter herr Sarrazin , in allem pflichte ich ihnen bei . Wundere mich nur sehr ,warum kehren sie diesem verein nicht endlich den ruecken ? Es ist doch ,nach meiner auffassung und ihrem urteil, nicht mehr ihre partei . Hab noch nie fuer SPD gestimmt und wuerde es auch nie uebers herz bringen . Diese partei hat in ihrer uebr 120 jæhrigen geschichte einfach viel zu viele fehler gemacht . Gravierende fehler ! Wenn sie jetzt eventuell in der bedeutungslosigkeit verschwindet ,ist das ganz alleine der unfæhigkeit der partei und deren granden geschuldet .

Volker Kleinophorst / 19.02.2019

Zu den Reformen von Herrn Schröder. Ich denke, hätten wir UNSER Geld damals weiter verfressen, könnte heute keiner kommen und die Hand aufhalten. ;)

Christina S. Richter / 19.02.2019

Sehr verehrter Herr Sarrazin, Ihre Zeilen tun aufs Neue gut. Nie werde ich den Tag vergessen, als Frau M. verkündete, dass das Finanzministerium in die Hände der SPD fällt - ein besonders rabenschwarzer Tag! Die SPD (teils ohne jegliche berufliche Bildung...) nutzt diese vom Volk finanzierten aufgeblähten Staatsämter unverschämt aus und das Volk sieht machtlos zu. Wie gerne würde ich es begrüßen, wenn Sie sich mit Herrn Buschkowsky, Herrn Maaßen, Herrn Wendt, Herrn Broder, Frau Lengsfeld und noch weiteren gebildeten praxisnahen Größen zusammen tun. Ich bin überzeugt, Sie erhalten sehr viel Unterstützung von den schon länger hier Lebenden. Herzlichen Dank, viele Grüße nach Berlin und bleiben Sie bitte gesund! Alle Macht geht vom Volke aus!

Michael Stoll / 19.02.2019

Alles richtig was hier steht, aber gilt das nur für die SPD? Der ganze Parteienstaat, das ganze Land gehört auf die Intensivstation. Warum können die Menschen nur nach Kriegen und großen Katastrophen klar denken? Liegt es daran, dass in einer Demokratie zwei Schwachsinnige doppelt so viel, wie ein normaler Mensch zu sagen haben? Oder ist es die Dekadenz, die aus Problemlösern Weltenretter macht?

Klaus Fellechner / 19.02.2019

Ja zum Zustand der SPD! Nein zur Aussage zu der Grundrente! In den meisten westlichen,europäischen Staaten,gibt es eine Grundrente! Wer 30 Jahre und mehr gearbeitet hat,aber das Pech hatte im Niedriglohnsektor zu arbeiten,der konnte keine höheren Beiträge einzahlen! Ein Staat der seine Alten im Stich lässt und hier spreche ich nicht von den "Zahnarztgattinnen",ist kein Sozialstaat! Herr Sarrazin, der Frisör und der Kellner der sie in den letzten 60 Jahren bedient hat,der Paketbote,der ihnen die Pakete nach Hause bringt,diese Leute haben schwer gearbeitet und bekommen eineRente zwischen 500 und 800 Euro! Die Politiker haben es zugelassen, auch Sie,dass der Niedriglohnsektor in den letzten Jahren noch stark ausgeweitet wurde. Der Staat schafft sich seine Armen und die Altersarmut selber ,wenn er das zulässt! Viele Menschen müssen heute wieder mehrere Jobs machen,um sich und ihre Familie zu ernähren!Gleichzeitig werden Mrd. Euro ausgegeben um die Welt zu retten,falsche Migrationspolitik, völlig irre Energiewende!Wenn das Geld da ist,dann ist auch Geld für eine Grundrente da!

J.Dannenberg / 19.02.2019

Herr Sarrazin, ich auf jeden Fall würde mich freuen wenn Sie auch ein Statement zu den Beamten,- Politikerpensionen abgeben würden. Mit Beitragsjahren, Steuergelder und so.

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