Der Trauerfall SPD sollte kein Anlass für Häme sein. Die Partei hat zu viel für die Bundesrepublik getan, also für die besten Jahre, die Deutschland je hatte. Andererseits macht Häme einfach Spaß. Ich versuche seit einiger Zeit, die in mir aufsteigende Häme über die absteigende SPD zu unterdrücken. Aber ehe ich platze, lasse ich sie jetzt einfach mal raus.
Also hämen wir los: In ihrem Kampf gegen den Abstieg in die Einstelligkeit, was im Fußball etwa den Abstieg in die dritte Liga, wenn nicht gar in die Regionalliga, also in den Amateurbereich bedeuten würde, also in diesem Kampf gegen die Einstelligkeit hat die SPD endlich eine brillante Strategie gefunden: ein neues Partei-Ausschluss-Verfahren gegen Thilo Sarrazin.
Bravo! Was soll das ganze Gerede über politische Inhalte und was bringen schon diese verzweifelten Versuche, zu erforschen, was die Wähler bewegt! Sarrazin raus – und die sozialdemokratische Welt ist wieder in Ordnung.
Denn wie gewinnt man neue Freunde oder alte, die verärgert oder gelangweilt weggelaufen sind? Natürlich, indem man einen alten Parteifreund, der die Stromlinie verlassen hat, entfreundet, wie es in digitalen Freundeskreisen heißt. Dass das Entfreunden in der Parteipolitik nicht ganz so einfach ist wie bei Facebook, sei nur der Ordnung halber erwähnt. Die sozialdemokratischen Parteifreunde haben es ja schon mal vergebens versucht. Aber diesmal klappt es vielleicht, weil sie sich inzwischen so verschlankt haben, dass es leichter sein könnte, im kleineren Kreis disziplinarisch für korrektes Denken zu sorgen.
Thilo und Graucho handeln kongenial
Thilo Sarrazin ist sozusagen das Gegenstück zu Groucho Marx. Der hat bekanntlich gesagt: Es würde mir nicht im Traum einfallen, einem Klub beizutreten, der bereit wäre, mich aufzunehmen. Sarrazin sagt: Es würde mir nicht im Traum einfallen, einen Klub zu verlassen, der mich rausschmeißen will. Thilo und Groucho handeln kongenial von entgegengesetzten Ausgangspunkten aus.
Groucho Marx war ein Super-Star der frühen Filmjahre. Thilo Sarrazin erreicht mit seinen Büchern inzwischen fast mehr Leser als die SPD Wähler findet. Ein klarer Fall von Unvereinbarkeit: Wer bei den Leuten so gut ankommt wie Sarrazin, der ist für eine aufs Schrumpfen spezialisierte SPD nicht akzeptabel .
Aber die Frage ist: Reicht es wirklich aus, einen Einzelnen mangels Stromlinienförmigkeit rauszuschmeißen? Braucht es nicht eine gründlichere und umfassendere Säuberung, um eines Tages wie ein Phönix aus der Asche wieder aufzusteigen? Anders gefragt: Reicht es bei der schwindenden Zahl der SPD-Anhänger überhaupt, sich beim Großreinemachen auf Parteimitglieder zu beschränken? Ich meine, man muss kühner und unorthodoxer handeln. Oder, um es klassisch auszudrücken: Man muss weniger Demokratie wagen.
Ich schlage darum vor, dass die SPD sich dazu durchringt, Partei-Ausschluss-Verfahren auch gegen Nichtmitglieder anzustrengen. In dieser Gruppe sind schließlich die größten Bataillone zu finden. Warum also nicht proaktiv gegen eventuell drohende Neumitglieder vorgehen? Also den Ausschluss vor dem Beitritt wagen. Mir scheint dies der beste Weg zu sein, um dem neuen sozialdemokratischen Reinheitsgebot gerecht zu werden.
Ein Sarrazin ist wie die Schwalbe, die noch keinen Sommer macht. Am einfachsten wäre es für die SPD, wenn sie viele Sarrazine zum Rausschmeißen hätte. Dann könnte sie sich monatelang mit der Rausschmeißeritis beschäftigen und müsste sich keine lästigen Gedanken darüber machen, warum sie wirklich so tief in der Tinte sitzt.