Gerd Held / 24.04.2018 / 12:00 / Foto: Ben.83 / 24 / Seite ausdrucken

Die spanisch-katalanische Affäre – mal ganz in Ruhe

Die Diskussion über den Fall Puigdemont ist sehr kontrovers. Lassen wir einmal die Frage beiseite, ob es Deutschland zusteht, sich im Fall Puigdemont in das spanische Rechtssystem einzumischen. Hier soll es um die Realität des heutigen Katalonien gehen und um seine Zukunft. Es fällt auf, dass viele Teilnehmer an der Diskussion sich damit begnügen, auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker hinzuweisen und daraus ein Grundrecht auf Separation ableiten. Haben sie dabei wirklich alles bedacht?     

In der Diskussion darüber, was „die Katalanen“ wollen, gibt es einen großen Abwesenden: die spanischen Katalanen. Das sind die Katalanen, deren Arbeit und Leben, deren Alltagsdinge, Informationen, Bekannten- und Freundeskreise überwiegend spanisch geprägt sind. Dabei spielt zum einen das Herkommen eine Rolle: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung geht auf die innerspanischen Wanderungen der vergangenen 100 bis 150 Jahre zurück.

Zum anderen spielt die heutige Lebensrealität eine Rolle: Es gibt in Katalonien einen großen Komplex von Tätigkeiten, Gewohnheiten und Interessen, die sich auf den Markt oder die öffentlichen Einrichtungen von Gesamtspanien beziehen. Katalanen spielen auch in spanischen Großunternehmen, in der Politik, im Bildungswesen, im Kulturbetrieb eine wichtige Rolle. Hier sind sie im spanischen Maßstab unterwegs, auch wenn sie aus der Region stammen. Das ist so normal, dass es meistens stillschweigend vorausgesetzt wird.  

Die Identitätssprache von 50 Prozent der Katalanen ist spanisch

Das spanische Element ist aber auch konkret bedroht. Ein Beispiel ist die Sprachenpolitik in Katalonien, insbesondere im Bildungs- und Kulturbereich. Zunächst war es die katalanische Sprache, die unterdrückt wurde – in den Jahrzehnten des Franco-Regimes war sie vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Nach dem Ende des Regimes bekam die katalanische Regionalregierung die Alleinzuständigkeit in der Bildungs- und Kulturpolitik. Die damalige (in vieler Hinsicht gemäßigte) katalanische Nationalpartei, die dort an die Regierung kam, nutzte diese Alleinzuständigkeit, um der katalanischen Sprache an den Schulen mehr und mehr ein Monopol zu verschaffen. So ist es mittlerweile zu einer merkwürdigen Umkehrung der Sprachhegemonie gekommen.

Heute werden fast alle Schulfächer auf katalanisch unterrichtet, während nur 2 bis 3 Stunden pro Woche spanische Sprache und Literatur gelernt wird. Nach Angaben der katalanischen Behörden ist aber Spanisch für 50 Prozent der Bevölkerung die „Identitätssprache“, während hier das Katalanische nur auf knapp 37 Prozent kommt. Die Regionalregierung ignorierte bisher auch Urteile des Obersten Gerichtshofes Kataloniens, der klagenden Eltern das Recht zusprach, dass ihre Kinder mindestens 25 Prozent des Unterrichts auf Spanisch erhalten, wie Hans-Christian Rößler in der FAZ vom 20.2.2018 schreibt.

Diese neue kulturelle Homogenisierung führt zu Benachteiligungen der Spanisch sprechenden Katalanen auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere auch in Wissenschaft, Medien und kulturellen Einrichtungen. Zugleich schränkt es die Möglichkeiten der Katalanisch sprechenden Menschen ein, in anderen Regionen Spaniens zu arbeiten. Es entwöhnt sie der Verkehrssprache (der lengua franca), die sie dort brauchen.

Was die Wahlergebnisse aussagen

Wenn man dies spanische Element ernst nimmt, bekommen die Wahlergebnisse ein anderes Gewicht. Bei den letzten Wahlen am 21.12. 2017 erreichten die drei Parteien, die für eine Trennung von Spanien eintreten 70 von 135 Sitzen im Regionalparlament. Das waren zwei Sitze weniger als bei den Wahlen am 27.9.2015. Der Anteil der Separatisten ist durchaus bedeutend, aber er ist keine Grundlage, auf der man von einem gemeinsamen Willen „der Katalanen“ sprechen kann.

Bei einem näherem Blick auf die Wahlen vom Dezember 2017 wird das noch deutlicher: Die Separatisten-Mehrheit ist auf Wahlkreise mit relativ geringen Bevölkerungszahlen gebaut. In den 10 bevölkerungsstärksten Bezirken Kataloniens haben die Gegner der Trennung die Mehrheit. Dazu gehört auch die Hauptstadt Barcelona und deren industrielles Hinterland. In der Summe haben in Katalonien mehr Bürger für Parteien gestimmt, die gegen die Trennung von Spanien sind. Die Stimmenmehrheit sind nicht Menschen, die Katalonien „noch nicht verstanden“ haben oder die dort irgendwie bindungs- und heimatlos hausen. Es sind nicht Katalanen zweiter Klasse oder „unechte“ Katalanen.

In der Sprachsituation kommt eine Grundeigenschaft Kataloniens zum Ausdruck. Es ist eine Region mit doppelter Bindung. Auch das spanische Element gehört zur gesellschaftlichen „Basis“ – es ist nicht nur eine autoritäre „Zentralmacht“, die über den Menschen thront. Das Leben, die Landschaft, die Arbeit, die Kunst – das alles wird in Katalonien in katalanischer und in spanischer Sprache ausgedrückt.

Die spanischen Worte sind nicht weniger einfühlsam und historisch tief mit der Realität Kataloniens verbunden wie die katalanischen Worte. Auf spanisch (und von spanischen Muttersprachlern) sind literarische Werke entstanden, die den Wert und die Eigenart dieser Region nicht weniger zum Ausdruck bringen als katalanisch-sprachige Werke. Dazu kommt, dass sie diese Wertschätzung weiter verbreiten konnten, weil das Spanische die Verkehrssprache in anderen Regionen der iberischen Halbinsel und sogar in anderen Weltregionen ist.

Daraus folgt nicht, dass die spanisch sprechenden Katalanen das Recht hätten, dem anderen Teil ihre sprachliche Identität aufzuzwingen. Die katalanische Sprache muss geschützt werden. Aber eine umgekehrte Verdrängung der spanischen Sprache aus Katalonien geht auch nicht. Das Sprachproblem ist nicht einseitig aufzulösen. Jede einseitige Lösung liefe darauf hinaus, einen Teil der katalanischen Gesellschaft auszubürgern – und auch einen Teil des kulturellen Reichtums und der Geschichte dieser Region auszubürgern.

Die Bedeutung der Verfassung von 1978

Man kann also gar nicht über das Selbstbestimmungsrecht „der Katalanen“ sprechen, wenn man ihre doppelte Prägung nicht zur Kenntnis nimmt. Es ist eigentlich unfassbar, dass in Deutschland immer noch das Bild verbreitet wird, hier wäre ein Territorium gegeben, das von einem „Volk der Katalanen“ bewohnt wird, und das einem anderen Territorium gegenübersteht, das von einem „Volk der Spanier“ bewohnt wird. Und er kann nicht verstehen, warum viele Spanier so sehr die Bedeutung ihrer Verfassung unterstreichen, die an zentraler Stelle eine Schutzvorkehrung gegen einseitige (und damit zerstörerische) Lösungen der Doppelbindungen im Lande darstellt. Der Artikel 2 der spanischen Verfassung lautet:

„Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier, und anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, die Bestandteil der Nation sind, und die Solidarität zwischen ihnen.“

Damit beruht die Verfassung auf einer Differenzierung nationaler Zugehörigkeit. Es gibt die eine, unteilbare spanische „Nation“ und es gibt einen Pluralismus von „Nationalitäten“ innerhalb dieser Nation. Durch diese Zweistufigkeit können Einheit und Pluralismus zusammengefügt werden. Man kann Spanier sein, ohne seine regionale Nationalität abstreifen zu müssen. Dabei geht es nicht nur um Katalonien, sondern auch um die anderen Regionen mit ihren – mehr oder weniger starken – Identitäten. Spanien insgesamt – Wirtschaft, Politik, Kultur – funktioniert nur durch diese Zweistufigkeit nationaler Zugehörigkeiten. Die Herausbildung einer spanischen Nation als eines übergreifenden und zugleich differenziert gegliederten Zusammenhalts ist eine große historische Leistung, die sich erst allmählich, in einer konfliktreichen und wechselhaften Geschichte herausgebildet hat. Sie hat in der Verfassung von 1978 zu ihrer bisher klarsten und demokratischsten Form gefunden.

Heimatgefühl allein trägt keine große Nation

Der sensible Punkt dieser zweistufigen Nation ist: Die spanischen Bindungen einer Region wie Katalonien sind nicht selbstverständlich. Sie ergeben sich nicht einfach als Selbstverwirklichung. Das Heimatgefühl ist kein ausreichendes Bindemittel, weil es nicht weit genug reicht. Auf eine größere Reichweite zielt die Frage nach der „Berufung“ Kataloniens. Es ist die Frage nach dem Rahmen, in dem die Region ihr Geschick wirklich gestalten und verantworten kann. Es geht also um mehr als eine Abstammungs-Identität, sondern eine Identität im souveränen Handeln. Dazu kann es notwendig sein, den eigenen regionalen Rahmen zu überschreiten und einer übergreifenden, nationalen Berufung zu folgen.

Das ist kein spanisches Sonderproblem. Die Ausbildung neuzeitlich-souveräner Nationen hat in vielen Teilen der Welt dazu geführt, dass Nationen sich aus unterschiedlichen Nationalitäten zusammensetzen, um eine kritische Größe zu erreichen. Das führt zu Ungleichheiten. Nicht alle Nationalitäten prägen im gleichen Maß eine souveränitätsfähige Nation, und darunter können sich auch Nationalitäten mit langer Vorgeschichte und eigener Sprache befinden – wie Katalonien, das Baskenland oder Galizien in Spanien. Dennoch kann die Teilnahme an der Souveränität auch für diese Nationalitäten wichtig und ehrenvoll sein. Es muss dabei nicht unbedingt um eine führende Rolle gehen (wie es im Wort von der „deutschen Berufung Preußens“ der Fall war). Vielmehr kann jede Rolle einer Nationalität im größeren Rahmen einer souveränen Nation als Berufung verstanden werden.

Es wäre nun denkbar, dass in Katalonien ein neuer Souveränitätskern entstanden ist, der so stark ist, dass er Katalonien in den Rang der europäischen Nationen hebt. Allerdings hängt die Messlatte dafür sehr hoch. Nicht jedes „Projekt“ ist ein tragfähiger Kern. Nationen sind keine soziologischen „Konstrukte“, die nur davon abhängen, dass man sie „will“. Ein neues nationales Projekt auf der iberischen Halbinsel müsste eine Gestaltungsmacht und Haftungsfähigkeit haben, die mit der Nation „Spanien“ vergleichbar wäre. Wäre ein unabhängiges Katalonien weniger, würde das einen Rückschritt bedeuten und die Gefahr einer „Balkanisierung“ der iberischen Halbinsel wäre gegeben. Ein solches Katalonien liefe Gefahr, nicht die Großzügigkeit zu haben, die heute die spanische Verfassung erreicht hat.

Die spanische Geschichte Kataloniens

Die spanische Berufung Kataloniens bedeutet eine bestimmte historische Schlaghöhe. Im spanischen Verbund trug Katalonien die Zurückeroberung (Reconquista) der iberischen Halbinsel von der islamischen Kolonialherrschaft. In diesem Verbund wirkte es – im Guten und im Bösen – an der Kolonisierung Amerikas mit. Und auch dort, wo Katalonien historisch eine wirkliche Pionierrolle einnahm, bei der Industrialisierung und Kapitalisierung Spaniens, geschah dies auf dem spanischen Spielfeld: Seine Industrie war auf den spanischen Binnenmarkt ausgerichtet.

Zwar gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen „Nordtraum“, bei dem Katalonien nach Europa blickte und durch den es das kriselnde Spanien, das gerade seine letzten Kolonien verloren hatte, hinter sich lassen wollte. Aber es gelang ihm nie, wirklich eine Industrienation von europäischem Rang zu werden. Seine „nördliche“ Ambition blieb symbolisch, seine „Modernisten“ blieben eine kulturelle Avantgarde, während das katalanische Kapital auf dem spanischen Markt gewonnen wurde.

So war das katalanische Bürgertum auch für seinen geschäftlichen Pragmatismus bekannt, der sich durchaus mit autoritären spanischen Regimen zu arrangieren wusste. Dieser Pragmatismus führte in der „Transition“ nach dem Ende des Franco Regimes dazu, dass Katalonien wiederum seiner spanischen Berufung folgte: Die katalanische Nationalpartei wurde zu einem recht verlässlichen Partner der verschiedenen demokratischen Zentralregierungen. Das unterschied die katalanische Seite von der baskischen Seite. Bis in die 2000er Jahre gab es keinen größeren Separatismus in Katalonien, der Wunsch nach Autonomie wurde durch die spanische Berufung ausgeglichen und gemäßigt. 

Kataloniens Wirtschaft braucht Spanien

Gibt es heute eine neue Lage? Hat man in Katalonien eine neue Kraft entdeckt, die heute das kann, woran das katalanische Sonderprojekt bisher immer gescheitert ist und wovon sich dann das katalanische Bürgertum – vernünftigerweise – über Jahrzehnte ferngehalten hat? Ich sehe diese Kraft nicht. Ich sehe auch nicht, dass der heutige Separatismus diesen Maßstab an sich legt. Zwar gibt es die Erzählung vom „Wirtschaftsmotor Katalonien“. Es soll eine spezielle und besonders moderne katalanische Nationalökonomie geben, von der ganz Spanien zehrt. Aber diese Erzählung hält den Tatsachen nicht stand.  

Wie sieht es bei der Wertschöpfung aus? Das BIP-Wachstum von Katalonien (2016: 3,5 Prozent) steht nicht so einsam da, wie es in manchen Publikationen den Anschein hat. 2016 hatten 11 spanische Regionen über drei Prozent Wachstum: Madrid, Katalonien, Balearen, Kastilien-Leon, Galizien, Comunidad Valenciana, Kanarische Inseln, Ceuta, Murcia, Kastilien-La Mancha, Melilla. Nur vier Regionen blieben unter dem Wert von 2,5 Prozent. Hier zeigt sich eine wichtige Eigenart der neueren spanischen Nationalökonomie. Die Disparitäten zwischen den stärksten und schwächsten Regionen sind für europäische Verhältnisse nicht besonders groß. Es gibt keine so großen Disparitäten wie in anderen Südländern.

Und die internationale Bedeutung? Ist Katalonien so exportstark, wie man es häufig liest? Nein, es ist die Region mit dem zweitgrößten Außenhandelsdefizit in Spanien. Hingegen haben eine ganze Reihe von spanischen Regionen einen Außenhandelsüberschuss – im Jahr 2014 waren es: Aragon, Asturien, Kantabrien, Kastilien-Leon, Extremadura, Galizien, Navarra, Baskenland, Rioja, Comunidad Valenciana. Diese Regionen sorgen für den Ausgleich der spanischen Außenhandelsbilanz. Interessant ist ein Blick auf den innerspanischen Handel: Hier hat Katalonien mit Abstand den größten Überschuss. Demnach hängt die katalanische Wirtschaftsstärke vom innerspanischen Absatzmarkt ab. Die Region importiert Produkte und Vorprodukte aus dem Ausland, verarbeitet sie zum Teil weiter und verkauft sie auf dem Binnenmarkt. Genau in dieser Funktion Kataloniens als Tor nach Spanien ist die Region auch für Auslandsinvestitionen interessant. Katalonien ist ein wichtiger spanischer Wirtschaftsakteur, aber kein bedeutender europäischer Wirtschaftsakteur.

Die Führungsrolle relativiert sich

Schon aus diesen knappen Zahlen ist zu ersehen, dass von einer ganz neuen Stärke Kataloniens, die den Separatismus plausibel machen könnte, nicht einmal ansatzweise die Rede sein kann. Gewiss wäre es falsch, die Region schwarz in schwarz zu malen. Richtig wäre es, von einer Relativierung zu sprechen: Die frühere Führungsrolle Kataloniens bei der Industrialisierung Spaniens hat sich relativiert und dieser Prozess setzt sich fort. Sie ist und bleibt eine wichtige Region, aber sie muss sich damit abfinden, auf Dauer nur eine unter vielen respektablen Regionen in Spanien zu sein.

Vor diesem Hintergrund bekommt die Tatsache, dass in den vergangenen Monaten rund 3.000 Unternehmen ihren Firmensitz aus Katalonien ausgelagert haben, ihr ganzes Gewicht. Sie sind in andere spanische Regionen gegangen und nicht etwa in andere europäische Länder. Es wird auch verständlich, warum die Auslandsinvestitionen in Katalonien drastisch eingebrochen sind – die Torfunktion der Region für den spanischen Markt ist akut gefährdet. Die Märkte votieren also gegen ein neues katalanisch-europäisches Großprojekt. Sie glauben nicht daran, dass ein neuer Champion geboren wird, wenn Katalonien das angebliche „tote Gewicht“ Spanien los wird. Auch in der Entwicklung ihres Staatswesens lebt die Region sichtlich über ihre Verhältnisse: Sie ist die am höchsten verschuldete Region Spaniens – auch im Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt (2011: 20,7 Prozent, der Durchschnitt aller spanischen Regionen betrug 13,1 Prozent). Im Jahr 2012 musste Katalonien Hilfskredite bei der Zentralregierung im Rahmen des spanischen (und europäischen) Rettungsfonds beantragen.    

Spaniens eigene Verantwortung

Wenn damit alle wirtschaftliche und politische Vernunft gegen den Separatismus spricht, so ist damit noch nicht gesagt, dass Spanien „auf dem richtigen Weg“ ist. Seit den 2000er Jahren prägen unübersehbare Erschütterungen und Bedrohungen das Land. Zu einer Gesamtsicht der spanisch-katalanischen Affäre gehört, dass die spanische Nation nicht so weitermachen kann wie bisher. Zwei große Baustellen seien hier erwähnt – sie werden dem deutschen Leser nur allzu bekannt vorkommen. Die Einführung des Euro und die europäische Politik des billigen Geldes haben dazu geführt, dass Kapital und Staatsgeld in unproduktive Sektoren geleitet wurden. Dies war in Spanien (und in anderen Südländern) besonders verheerend, weil die dortigen Industrien besonders von der chinesischen Handelsoffensive betroffen waren und im EU-Rahmen nicht ausreichend geschützt wurden. Zum anderen ist Spanien Grenznation im europäischen Südwesten und damit Frontstaat gegen die illegale Masseneinwanderung. Auch hier gibt es Konflikte zwischen einer konsequenten Grenzsicherung und der Zögerlichkeit (grenzferner) europäischer Institutionen. Die Gefahr, dass sich auf der iberischen Halbinsel ein Einfallstor nach Europa öffnet, wächst.  

So gibt es im europäischen Südwesten einen neuen Problemdruck. Man sollte dabei anerkennen, dass Spanien im Vergleich zu anderen Südländern stärkere Sanierungsschritte unternommen hat und auch eine Zeitlang eine effiziente Grenzsicherung – in Zusammenarbeit mit Marokko – geleistet hat. Aber das reicht offensichtlich nicht. Es wächst der Eindruck, dass die EU-Politik des Zeitkaufens für ein großes Land an der europäischen Südperipherie allmählich existenzbedrohend wird. Und dann kam das Schleswiger Puigdemont-Urteil. Es hat das europäische Vertrauen der Spanier, das sehr stark ein Vertrauen auf die Stärke Deutschlands war, tief erschüttert.

Spanien wird sich stärker auf seine eigene Kraft besinnen müssen. Die „spanische Berufung“ wird dann, unter neuen Vorzeichen, wieder an Bedeutung gewinnen.

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J. Braun / 24.04.2018

Mir hat dieser Beitrag schon nach dem ersten Abschnitt gereicht. Dann hatte ich keine Luste mehr, weiterzulesen. Zu schreiben, daß Zuwanderer gefälligst Mitspracherecht haben sollen, obwohl sie Spanier und keine Katalanen sind und sich nicht einmal die Mühe machten, die katalanische Sprache zu lernen, finde ich höchst dreist. Die Katalonen schlagen sich mit demselben Malheur herum, warum die fleißigen Bayern oder Württemberger das marode Deutschland nicht verlassen dürfen: nämlich wegen der Armutsflüchtlinge aus anderen Teilen dieses Staatengebildes. Als echter Württemberger, der sich sehr viel mehr als Alemanne denn als Deutscher (und sehr viel verbundener mit Schweizern und Vorarlbergern als mit Preußen, Sachsen oder Friesen) fühlt, habe ich allergrößte Sympathien mit den Katalanen, von denen ich einige kenne, die allesamt katalanische Patrioten sind und Wert auf ihre eigene Sprache legen. Aber es ist in Katalonien wieder das gleiche Kreuz wie schon bei der Abstimmung zur Ablösung Schottland vom Rest des Vereinigten Königreichs, denn da durfte auch jeder nach Schottland gezogene Engländer, Nordire und Waliser abstimmen, natürlich nicht der Schotte, der zu Arbeit in die anderen Landesteile umgesiedelt ist. Übrigens wäre in Deutschland vor Hitler alles viel klarer und einfacher gewesen, weil dieser Unglücksrabe ja erst die deutsche Staatsbürgerschaft in seinem Zentralstaat einführte. Da hätte ich keine deutsche, sondern eine württembergische Staatsbürgerschaft gehabt und bei einer entsprechenden Abstimmung hätte man genau definieren können, wer wahlberechtigt ist.

Thomas Weidner / 24.04.2018

Warum so kompliziert, Herr Held? Die Frage nach der Eigenständigkeit sollten doch die Katalanen selbst - und nur sie selbst - entscheiden. Oder sind wir hier im Kindergarten bzw. Altenheim - und jeder braucht einen Betreuer? Ich kann nicht verstehen, dass sich so viele Menschen derart schwer mit der Eigenverantwortung tun. Letztlich geht es doch ausschließlich darum, dass einige Menschen sich berufen fühlen, über ihre Mitmenschen zu bestimmen. Und das ist Diktatur. Jeder soll seines Glückes Schmied sein dürfen - mancher wird sich da beim Schmieden auf den Finger schlagen. Das ist Teil der “Eigenverantwortung”.

Norbert Müller / 24.04.2018

Sehr geehrte Leser, in den beiden letzten katalanischen Regionalwahlen kamen die Separatistenparteien auf zirka 47 % der Stimmen, dank Wahlrecht aber auf eine Mehrzahl an Sitzen. Es gibt Katalanen, die KEINE Unabhängigkeit wünschen, und Katalanen, die geltendes RECHT beachten möchten, Sie sind in der Mehrheit. Überdies wurde die spanische Verfassung 1978 mit bei einer Wahlbeteiligung von 66 % über 90 % in Katalonien angenommen.

Wolfgang Kaufmann / 24.04.2018

Die inhaltliche Frage der Separation mögen die Bewohner der Region unter sich ausmachen. Ohne jeden Zweifel hat sich Spanien aber zu einem Staat entwickelt, wo unbequeme Rapper ins Gefängnis kommen, wo das Verbrennen eine Königsfotos oder das Auspfeifen der Nationalhymne als Terrorismus verfolgt wird und wo Parlamentarier unter scheinheiligen Anklagen mit Gefängnisstrafen von 20 oder mehr Jahren bedroht werden („Rebellion“ und „Sedition“, trotz konsequenter Gewaltfreiheit). Einige Gewerkschafter und gewählte Abgeordnete sitzen schon seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft und werden ihrer politischen Rechte beraubt, was auch das Hohe Kommissariat der UNO fordert zu ändern. Sie wollen einem Madrider Klüngel aus korrupten Politikern und willfährigen Juristen einen Persilschein ausstellen?

Albert Pflüger / 24.04.2018

Herzlichen Dank für einen Artikel, der sich um Fakten bemüht, statt einfach nur Meinungen zu transportieren. Ist es nicht absurd, daß Nationalstaaten und ihre Verteidigung in Deutschland in Verruf geraten? Nach meiner Überzeugung bieten sie ausschließlich Vorteile! Gäbe es sie nicht, müsste man sie erfinden! Sie sind es, die demokratische Verfahren erst ermöglichen.

Otto Sundt / 24.04.2018

@ Scheffler Sie sind und die katalanischen Separatisten es, der das in der spanischen Verfassung festgehaltene Selbstbestimmungsrecht ALLER Spanier nicht nur in Frage stellen, sondern mit Füßen treten.

Manfred Kulla / 24.04.2018

Vielen Dank für den Überblick über die Lage in Spanien. Allerdings empfinde ich es als nicht hinreichend, jeden Wunsch und jede Bestrebung vorwiegend unter wirtschaftlichen Aspekten zu besprechen. Für den katalanischen Wunsch nach Unabhängigkeit sehe ich überwiegend andere Bereiche als entscheidend an. Was mir sehr unangenehm aufstößt, ist die, von Ihnen an den Tag gelegte Art, Wahlergebnisse zu relativieren - eine Praxis die mir insbesondere in Deutschland immer mehr gängig zu werden scheint. Wenn sich in Deutschland zwei Parteien finden, die zusammen in einer Koalition auf 43 % der Sitze kommt, dann “hat der Wähler einen klaren Regierungsauftrag erteilt”. Wenn in den USA Herr Trump zum Präsidenten gewählt wird, dann macht man es wie Sie für Katalonien: man erklärt das Wahlsystem für unzureichend. Sie argumentieren, dass nicht die Anzahl der Sitze entscheidend wäre, sondern die Anzahl der Wählerstimmen. Analoges Verhalten konnte man in Deutschland auch nach den letzten US-Wahlen beobachten. Wenn Verhältniswahlrechte die Wählermeinung unzureichend abbildeten, dann möge man das Wahlsystem abändern. Das würde (nebenbei bemerkt) auch in Deutschland für andere Ergebnisse sorgen und als Nebeneffekt die Aufblähung des Parlaments unterbinden. Aber wir sprechen wir hier über Spanien und nicht Deutschland, und da sollte man erst einmal vor der eigenen Haustüre für eine entsprechende Änderung des Wahlsystems plädieren, sonst läuft man Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und wenn Sie argumentieren, dass die spnischen Katalanen in den Großstädten nicht als Katalanen zweiter Klasse gelten dürfen, dann werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie genau in dem Moment der ländlichen Bevölkerung Kataloniens die Fähigkeit zur konstruktiven Meinungsäußerung absprechen. Vielleicht sollten wir auch nur noch Einwohner aus Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern zur Wahl zulassen, die den “wirtschaftlichen Motor” darstellen…

Eugen Karl / 24.04.2018

Leider die typisch linke Liebe zum Zentralismus. Da hilft dann auch kein Selbstbestimmungsrecht, da Volkscharakter schlicht geleugnet wird. Nur benötigt es zur Freiheit kein Volk, es reicht eine Gruppe Menschen, die sich einig sind. Und die Katalanen haben wirklich mehr, das sie eint. Zentralismus war noch immer der größte Feind der Freiheit, und Spanien ist nur eine kleine Kopie des EU-Zentralismus, der uns recht eigentlich noch blüht.

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