Als ich Anfang der sechziger Jahre im Rahmen einer Studiereise New York besuchte, war ich überwältigt und begeistert von dem scheinbar friedlichen Völker- und Rassen-Mitschmatsch, den ich dort erlebte. Es war faszinierend zu sehen, wie sich im täglichen Leben alle als Amerikaner fühlten und stolz auf ihr Land waren. Natürlich gab es auch Konflikte, auch solche rassistischer Art. Die wurden aber meist offen angesprochen. Auch künstlerisch. Ich denke an die West Side-Story. Das Aufwiegeln der einzelnen ethnischen Gruppen gegeneinander war eher politisch motiviert. Die Ostküste gegen den Rest Amerikas. Wer aus der Reihe tanzte, wurde beseitigt. Die Kennedys können davon ein Lied singen. Die Globalisierung hat diese Entwicklung noch verstärkt. Die Globalisten und das Kapital wollen die Welt regieren. Dazu müssen zunächst die Nationen beseitigt werden. Dass man damit in Europa leichtes Spiel haben würde, konnte man sich denken. Aber dass man auch die USA unter die Kuratel der transatlantischen Strippenzieher stellen könnte, war für mich unfassbar. Aber unter Clinton und Obama war es so. Sie waren Marionetten der Transatlantiker, genauso wie die europäischen Regierungen und die EU. Trump hat das geändert. Daher der unbändige Hass auf ihn. Wenn die Amerikaner ihn jetzt abwählen sollten, besiegeln sie den Untergang der westlichen Zivilisation, wie wir sie jetzt (noch) haben.
Letztlich beweisen die andauernden ethnischen Probleme in den USA die Tatsache, dass ein Zusammenleben von Kulturen umso schwieriger ist, desto unterschiedlicher diese sind. Homogene Gesellschaften - ob in Ethnie, Sprache, Religion, Bildung, politischen Grundeinstellungen, Work-Life-Balance, Ernährungs-, Wohn-, Konsum- und Freizeitgewohnheiten, Altersstruktur, usw. - sind nachweislich stabiler und friedlicher als deren heterogene Gegenstücke. Dies ist zwar ein rotes Tuch für heutige “Diversitäts”-Jünger, aber trotzdem Fakt. (West-)Europa hätte von den USA (d.h. deren offensichtlichen betreffenden Problemen) lernen können, stattdessen glaubt man es jedoch besser machen zu können - und öffnet den Kontinent für Massen von unkontrolliert Zuwandernden, welche sich praktisch in allen genannten Merkmale signifikant von den indigenen Westeuropäern unterscheiden - dies gegenüber der US-Situation noch erschwert durch unüberbrückbare Differenzen in Fragen des Glaubens und der Gesellschaftsstruktur. Die Konsequenzen zeichnen sich bereits ab.
Zwei Ergänzungen - George Floyd ist nicht bei der Festnahme gestorben, sondern danach im Krankenhaus. Und er wurde nicht von “weißen Polizisten” festgenommen, sondern von einem Schwarzen, einem Asiaten und zwei Weißen - die Männer heißen Derek Chauvin, Loa Thou, Thomas Lane und J. Alexander Kueng. Der eine der weißen Polizisten gab in seiner Freizeit übrigens Nachilfestunden für somalische Schüler, der andere war mit einer Asiatin verheiratet.
Der Ethnokult macht Sinn, weil er, wie früher im Feudal-, Klassen- und Ständesystem oder im Kastensystem den Identitäten Privilegien aufgrund unveränderbarer fester Merkmale und nicht aufgrund veränderbarer, variabler Leistung verspricht. Die Verlierer der Leistungsgesellschaft wollen so eine “Partizipation” an der Gesellschaft, weil sie “sind” und nicht, weil sie “können”, erreichen. Der Ethnokult ist ein Derivat des altbekannten Marxismus, dessen Leistungsfeindlichkeit (und der daraus folgende Egalitätswunsch) der eigentliche Nukleus derartiger Ideologien ist.
Meines Erachtens ist die Identitätspolitik eine Reaktion auf die knallharte Wettbewerbsgesellschaft der USA. Wer nicht durch Leistung (oder Erbe) zu den Gewinnern zählt, versucht eben, via Opferstatus zu reüssieren. Sei es durch Angehörigkeit zu irgendeiner besonderen Gruppe, sei es durch absurde Schadenersatzklagen. Ist es nicht interessant, dass diese unselige Tendenz auch hier seit der nicht minder unseligen Neoliberalisierung unserer Gesellschaft zunimmt (Ökonomisierung von öffentlicher Verwaltung und Gesundheitswesen, Shareholder-Value, Überbezahlung von Vorständen, Zurschaustellung obszönen Reichtums im Privatfernsehen etc.)? —- Ebenfalls dürfte die in den USA grassierende Opiod-Abhängigkeit ihre Ursache in der zutiefst individualisierten Wettbewerbsgesellschaft finden, in der es quasi kein soziales Netz gibt. The winner takes it all, the loser has to fall ...
Ich sehe auch ein Problem darin, dass die Fokussierung auf Hautfarben oder Herkunft in der politischen Debatte zu Verwerfungen führt. Das demokratische System hat - zumindest dem Anspruch nach - letztlich die Funktion, persönliche Interessen zu kanalisieren, durch Wahlen zu komprimieren und schließlich in Entscheidungsprozessen zu Recht werden zu lassen oder die Leitlinien für die Ermessensausübung durch die Verwaltung zu konstituieren. Am Anfang steht also das Interesse, keine “Haltung”, keine Hautfarbe und so weiter. Mir ist klar, dass das Modell mit der Wirklichkeit in Konkurrenz steht, aber dennoch ist es - aus der bürgerlich-freiheitlichen Sicht - das einzig vernünftige Modell, um Individualinteressen und Gemeinschaftswohl zu synchronisieren, soweit dies möglich ist. Führe ich aber den Parameter “schwarze Hautfarbe” in dieses Modell ein, funktioniert es nicht mehr: Welche gemeinsamen Interessen sollen ein “schwarzer” General der US-Army, ein “schwarzer” Zahnarzt”, ein “schwarzer” Gemüsehändler, ein “schwarzer” Fabrikarbeiter, ein “schwarzer” Drogendealer oder eine “schwarze” Alleinerziehende haben? Allenfalls, nicht als “schwarz” bezeichnet zu werden, wenn sie das als verletzend ansehen, dann dürften aber die Gemeinsamkeiten aufgebraucht sein (wenn überhaupt welche bestehen). Damit wird aber das System, das einen Interessensausgleich zwischen arm und reich, schlau und dumm, fleißig und eher faul, jung und alt und so weiter bezweckt zum Wohle letzter aller, funktionsunfähig. Darauf weist Trump übrigens in seinen Reden immer wieder hin (was geflissentlich bei uns nie erwähnt wird) und genau aus dem Grund, hat er den “antirassistischen” Impetus der Unruhen und Plünderungen nicht angesprochen. Auch Martin Luther-King träumte nicht von einer Hegemonie der Schwarzen über die Weißen oder von Rache für erlittenes Ungemach. In seinem Traum gibt es gar keine Schwarzen und Weißen mehr. Es ist der amerikanische Traum schlechthin und es sieht so aus, als sei er ausgeträumt.
Noch ein Hinweis zum Arteprogramm: Es gibt einen Film über die Geschichte des KuKluxClan. Der wurde nach dem Bürgerkrieg 186x gegründet. Die max Mitliederzahl hatte er in 1920ern (ca 4Mio), war damals aber nicht gewalttätig. In den 1960er war das dann völlig anders. Am Ende des Films hat man wohl ein Stück eingefügt um aktueller zu wirken. Das wirkt so als hätten die gewalttätigen Rassisten unter Trump wieder Oberwasser und man impliziert im Grunde das er selber einer ist. PS Ich werde mir jetzt noch die Beiträge zur Black-Panther-Bewegung ansehen. Die hatten u.a. die Idee Gruppenweise mit Waffen aufzutreten um zB Polizeieinsätze genauer zu beobachten. In einem Bundesstaat in dem das offene Tragen von Waffen erlaubt war. In einer Gruppe wirkt das nur völlig anders besonders dann wenn man den Einsatzkräften relativ nahe kommt.
Bei Arte findet man zZt eine Serie über den Bürgerkrieg in den USA um 1860. Ein Detail dabei: Die Wehrpflicht wurde eingeführt und im Verlauf modifiziert. Wenn man 300$ zahlte oder einen Ersatzmann stellte konnte man befreit werden. Das führte bei jungen ärmeren irischen Einwanderern in New York zu einem Aufstand bei dem auch ein schwarzer gelyncht wurde. Die Männer hatten kein Interesse daran für die Freiheit der Sklaven im Süden zu kämpfen mit denen sie dann zB in New York um die schlechten bezahlten Jobs im Hafen konkurrierten. Die Spaltung ist m.E. schon etwas älter.
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