Die Spalter nach dem Sturm

Nachdem der Sturm militanter Trump-Anhänger auf das Capitol vorüber ist, als Bilanz vier Tote, etliche Verletzte und Festgenommene verzeichnet wurden, ist nun weltweit das politische Ausweiden dieser chaotischen und verstörenden Szenen in vollem Gange. Schockiert und fassungslos hatten die meisten Beobachter dieses Schauspiel mitangesehen. Dass diese Bilder nicht aus einem instabilen Drittweltland in Putsch-Laune kamen, sondern von einem Ort, der einmal zu den Orientierungspunkten für den ganzen freien Westen zählte, konnte niemanden ungerührt lassen.

Donald Trump hat diese Eskalation mit dem weiteren Anheizen der Stimmung der ohnehin aufgeheizten Masse seiner Anhänger wesentlich zu verantworten und hat sich für das Präsidenten-Amt damit in einer Weise disqualifiziert, wie in der gesamten bisherigen Amtszeit nicht. Im Nachhinein scheint er damit all jenen recht zu geben, die ihn schon immer als untauglich für ein Staatsamt erklärten. Jedes billige Trump-Bashing der vergangenen Jahre bekommt nun ein gefühltes Gütesiegel und nahezu niemand wird mehr außerhalb der Trump-Gefolgschaft öffentlich irgendeinen politischen Erfolg aus der Zeit der Trump-Präsidentschaft würdigen. Dass er inzwischen nun bereit sein soll, sein Amt friedlich an seinen Nachfolger zu übergeben, ändert daran nichts mehr.

Wie überall in der Welt hat das politische Ausschlachten natürlich auch in Deutschland schnell begonnen. Viele Politiker fühlten sich berufen, über den Umweg des Kommentars zu den Vorfällen im Capitol auch Botschaften ins eigene Land zu senden. Ob Bundespräsident, Bundeskanzlerin, Minister, Parteivorsitzende, Kandidaten für einen Parteivorsitz oder wer sonst noch als medienrelevant gilt, kommentierte das Ereignis. Erster war vermutlich noch am Mittwoch-Abend Bundesaußenminister Heiko Maas. Den von anderen Politikerkollegen ebenfalls bemühten Vergleich zwischen dem Sturm auf das Capitol und dem sogenannten Sturm auf den Reichstag im August des letzten Jahres brachte er auch auf, als er twitterte: „Die Feinde der Demokratie werden sich über diese unfassbaren Bilder aus #WashingtonDC freuen. Aus aufrührerischen Worten werden gewaltsame Taten - auf den Stufen des Reichstages, und jetzt im #Capitol. Die Verachtung demokratischer Institutionen hat verheerende Auswirkungen.“

Die Schuld der Worte

In einem anderen Tweet beschwor er, die Spaltung der Gesellschaft nicht zuzulassen. Doch was er mit solchen Aufrufen tut, ist das Schüren der Spaltung der Gesellschaft. Nicht nur, weil der Vergleich der relativ kleinen Gruppe, die seinerzeit auf die Reichstagsstufen „stürmte“, ohne ernsthaft zu versuchen, ins Gebäude einzudringen und den Washingtoner Demonstranten, die ins Capitol vordrangen und die Unterbrechung einer für jeden Präsidentenwechsel wichtigen Parlamentssitzung  erzwangen, mehr als hinkt. Auch die Betonung, dass aus „aufrührerischen Worten“ gewaltsame Taten würden, ist entlarvend. Nicht mehr „Hass“ und „Hetze“ sind jetzt gefährlich, sondern „aufrührerische Worte“. Unterscheidet es nicht eine freiheitliche Ordnung vom autoritären Staat, dass die Bürger das Recht haben, sich auch „aufrührerischer Worte“ zu bedienen, solange sie damit keine strafrechtlichen Grenzen berühren? Werden nicht sogar in Gruppierungen, die staatliche Fördermittel – also Steuergeld – erhalten, gern so „aufrührerische Worte“ wie „Revolution“ oder „radikale Veränderung der Verhältnisse“ benutzt? Ja, darum geht es selbstverständlich nicht, sondern um alle, die als „rechts“ gelten, wobei es bekanntlich reicht, sich zu bestimmten Bereichen der Regierungspolitik wie Zuwanderung, Energiewende oder Corona-Grundrechtseinschränkungen kritisch zu äußern, um in Rechts-Verdacht zu geraten.

Nach der Eröffnung von Heiko Maas waren die folgenden Reaktionen der meisten deutschen Politiker damit inhaltlich nahezu übereinstimmend. Nach dem verständlichen Schock und Entsetzen verurteilten sie Donald Trump und sahen in den Vorgängen ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man Rechtspopulisten gewähren lässt. Mehr gegen Hass und Hetze muss getan werden und gegen die Spaltung der Gesellschaft.

Das waren die meist verwendeten Textbausteine. Mancher richtete noch den wohlgemeinten Appell an Donald Trump, doch endlich das Wahlergebnis zu akzeptieren, wie es in einer Demokratie üblich sei.

Ich will hier gar nicht näher auf die Situation in den USA eingehen, das tun an dieser Stelle kompetentere Kollegen. Nur der Hinweis auf einen Allgemeinplatz, der in der deutschen Medienwelt fast nicht aufzutauchen scheint, sei gestattet: Was „Spaltung der Gesellschaft“ genannt wird, also eine Situation, in der Meinungsstreit und harte Debatte weitgehend unversöhnlich werden und Zwischentöne oder abwägende Positionen keinen Platz mehr finden, hat in den USA nicht erst mit Trump begonnen. Seine Wahl war nicht Ursache, sondern schon Folge einer Entwicklung. Sein Auftreten und das seiner Gegner hat sie in den letzten Jahren enorm beschleunigt.

Wahlergebnisse als Betriebsunfall

Wer sich hierzulande wundert, dass plötzlich US-Bürger das Capitol stürmen, weil sie glauben, hier würde ihrem Idol der Wahlsieg gestohlen, muss nur ein paar Gedanken in die letzten Jahre schweifen lassen und keine besonderen Kenntnisse über die Situation in den USA besitzen, um sich das zumindest ansatzweise zu erklären. Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wurde selbige von vielen Medien und Politikern lange Zeit – nicht nur in den USA – wie ein peinlicher Betriebsunfall behandelt, dessen Ergebnis man möglichst nicht allzu ernst nehmen sollte. Und der Nichtanerkennung der Staatsgewalt, die sich im Capitol-Sturm zeigte, gingen im letzten Jahr viele andere Gewalterfahrungen im öffentlichen Raum voraus. Unter dem Label „Proteste gegen Polizeigewalt gegen Schwarze“ gab es in vielen Städten Unruhen, es herrschten zeitweise in Teilen einiger Städte völlig gesetzlose Zustände, und verantwortliche Politiker diskutierten nicht über eine bessere Ausbildung der Polizeibeamten, sondern über die Abschaffung der Polizei bzw. die Kürzung ihrer Mittel. Welche Signale werden Bürgern damit wohl gesetzt?

Hierzulande ist es gottlob noch nicht so weit, doch an der Spaltung der Gesellschaft wird eben auch von all denen, die jetzt deren Verhinderung beschwören, kräftig gearbeitet. Wer aktuell an der Corona-Politik Kritik übt, wird zum Querdenker, Verschwörungstheoretiker, Coronaleugner etc. erklärt. Unabhängig davon, dass man die Querdenker nicht pauschal in irgendeine Ecke stellen kann, gibt es Kritiker am gegenwärtigen Ausnahmezustandskurs, die nicht mit Querdenkern auf die Straße gehen wollen, sondern lieber in zuständigen Gremien und öffentlich mit den Verantwortlichen diskutieren möchten. Gegenwärtig finden sie damit aber kaum einen Platz. Egal, ob sie schweigen oder sich trotz drohender Schwierigkeiten äußern – sie werden entweder dem Lager der Zwangsmaßnahmen-Befürworter oder dem der „Corona-Leugner“ zugerechnet. Und diese Spaltung wird bei einigen Themen immer stärker gepflegt, vor allem dort, wo die Regierungspolitik mit moralschweren Worten für alternativlos erklärt wird. Es geht dabei immer um „Leben und Tod“, Weltrettung oder „Menschlichkeit“ – wer darüber noch diskutieren will, dem haftet automatisch der Ruch des Unmenschlichen an.

Wenn in politischen Kernfragen Bekenntniszwang herrscht, ist die Spaltung der Gesellschaft folgerichtig. Dabei würden sicher die meisten Menschen einfach gern versuchen, mit gesundem Menschenverstand eine vernünftige Position auszuloten. Wer damit aber immer wieder gegen Mauern rennt, wird irgendwann auch wütend.

Der drohende Ständestaat

Die politisch Verantwortlichen hierzulande sorgen sich um die Demokratie in Amerika. Das ist berechtigt, denn es geht um den wichtigsten Staat des Westens. Nur gäbe es hinreichend Anlass, sich auch um die heimische Demokratie zu sorgen. Ein demokratisches System nimmt beispielsweise Schaden, wenn man meint, zur Ausgrenzung einer missliebigen Partei die Gepflogenheiten und Regeln ändern zu müssen.

Natürlich ist es für die Bürger im Alltag nicht entscheidend, ob alle Parteien einen Parlamentsvizepräsidenten haben oder ob man die Regeln zur Parlamentseröffnung ändert, damit kein Alterspräsident aus den Reihen der Bösen die Sitzung eröffnet. Doch wenn – wie vor knapp einem Jahr – eine Bundeskanzlerin die Wahl eines Ministerpräsidenten mit dem Machtwort quittiert, dass diese Wahl rückgängig gemacht werden müsse, dann klingt es schon kurios, gleichzeitig Donald Trump zu belehren, dass man das Ergebnis einer demokratischen Wahl anzuerkennen habe.

Ja, es gibt gerade viele Gründe, sich um die Demokratie zu sorgen, sowohl in den USA als auch hier. Manche Tendenzen ähneln sich auch. Während der Zusammenhalt der Gesellschaft beschworen wird, wird sie gleichzeitig identitätspolitisch fragmentiert und – da sind wir noch am Anfang – anschließend quotiert. Quoten sind aber nichts anderes als Ständepriviliegien, die nichts mehr mit gleichen Rechten demokratischer Beteiligung für jeden Bürger zu tun haben. Hier finden zusätzlich zu den weltanschaulichen Grabenkämpfen Spaltungen der Gesellschaft statt. Ein Ständestaat ist aber kein freiheitlich-demokratischer Staat mehr, so gut gemeint und gerecht er auch angeblich sein will. Es gibt also zur Bewahrung der Demokratie ganz viele akute Baustellen vor der eigenen Haustür.

Foto: Arthur Rothstein/Library of Congress via Wikimedia Commons

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Martin Krieger / 07.01.2021

Lesenswert und ausgewogen, auch wenn ich nicht alles teile. Den Satz “Wenn in politischen Kernfragen Bekenntniszwang herrscht, ist die Spaltung der Gesellschaft folgerichtig” merke ich mir, auf den Punkt gebracht. Wichtig nur: Bekenntniszwang wird von links und rechts eingefordert, die Mitte bleibt ratlos und zunehmend wütend zurück.

Claudius Pappe / 07.01.2021

Die SPD Euro-Tusse Barley spricht über Trump: Betriebsunfall der Demokratie….......man sieht was ein undemokratischer Präsident bewirkt—-Demokratie in Gefahr…........Frage : Ist die Genossin Ursula lässt uns Leiden demokratisch von den europäischen Wählern gewählt worden ? Stand sie auf dem Wahlzettel, Frau Barley ? Ist das Europäische Parlament demokratisch ?

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