Er war treuer Gesundheitsminister, das Gesicht des Corona-Regimes unter Angela Merkel und gilt als Möchtegern-Minister einer Regierung Merz. Jetzt hat er sogar etwas Sensationelles entdeckt, nämlich den Wählerwillen.
Wer in diesen Tagen Nachrichten aus der Politik konsumieren muss und der Flut von Politiker-Sprechblasen nicht entrinnen kann, mit denen der anstehende Regierungswechsel wenigstens verbal noch irgendwie zum versprochenen Politikwechsel verklärt werden soll, der kommt aus dem verzweifelten Kopfschütteln oft nicht mehr heraus. Es fällt einem leider immer schwerer, sich mit dem realsatirischen Unterhaltungswert deutscher Politiker-Auftritte zu trösten, denn die aktuelle Überdosis können nur wenige aushalten.
Zuweilen fragt man sich verzweifelt: Wenn es schon keinen Politikwechsel gibt, warum dann nicht wenigstens einen Politikerwechsel? Warum müssen auf der politischen Bühne immer wieder ausgerechnet die auftreten, die sich ihre allgemeine Unverträglichkeit schon in ihren früheren Ämtern und Legislaturperioden mehr als vedient haben?
Eine herausragende Figur in dieser Beziehung ist Jens Spahn. Jahrelang war er das Gesicht des Corona-Regimes. Als Bundesgesundheitsminister vertrat er wortreich all die kleinteiligen Bevormundungen der Bürger und den großen Grundrechtsentzug. Nicht nur das: Er ist einer der Hauptverantwortlichen dafür, dass diesem Land und seiner Bevölkerung mit dem immer wieder verlängerten Ausnahmezustand bewusst und wider besseren Wissens erhebliche Schäden zugefügt wurden.
Als es dann um Ausgrenzung derer ging, die sich der experimentellen Injektion verweigerten, welche die Regierung propagierte, war er immer vorn dabei. Den „Ungeimpften“ teilte er seinerzeit beispielsweise in fröhlichen Worten mit, dass sie höchstens noch Lebensmittel kaufen und nötigste Behördengänge erledigen dürften, ansonsten aber aus allen weiteren Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen blieben.
Eine wirkliche Aufarbeitung des Corona-Regimes hat eine ganz große Koalition bislang leider erfolgreich verhindern können. Und Jens Spahn spielt seine neue Rolle auf der politischen Bühne seit einiger Zeit schon ganz so, als hätte es die alte nicht gegeben.
"Wir sollten sie schon ernst nehmen"
Ja, das Unangenehme wird gern schnell vergessen, und außerdem wurde Jens Spahn als Gesundheitsminister in puncto Unerträglichkeit von seinem Nachfolger Karl Lauterbach noch einmal weit in den Schatten gestellt. Aber er ist eben nicht von der politischen Bühne verschwunden, sondern tritt munter weiter auf, auch weil ihm die gegenwärtige Rolle als Unionsfraktions-Vize im Bundestag wohl viel zu klein ist.
So kam es, dass unschuldige Medienkonsumenten, die am Samstagmorgen bei Bild vorbeischauten, Sätze wie diese zu lesen bekamen:
„Spahn ging die Wette ein: Allein der Umstand, dass Deutschland Friedrich Merz als Kanzler habe sowie eine Regierung, die ‚einen Plan hat, vor allem, wie sie die Wirtschaft wieder in Gang bringen will‘, sagt Spahn, ‚allein das wird diesem Land wieder Wachstum geben.‘ Ziel sei ein Prozent Wachstum zusätzlich.“
Der Hoffnungsträger Merz generiert demnach schon dadurch Wachstum, dass er und seine Regierung einen Plan hat? Meint er etwa diesen Koalitionsvertrag damit? Oder ist das wirklich nur ein Teil der Schleimspur, die ihn in ein neues Amt führen soll?
Immerhin kann der gute Mann mit weiteren Weisheiten glänzen:
„Die Politik müsse ‚auch einfach anerkennen‘, ‚wie viele Millionen Deutsche die AfD gewählt haben‘. ‚Deswegen sitzt sie da so stark.‘
Es sei nötig, ‚immer im Kopf zu haben: Die sitzen da so stark, weil Wählerinnen und Wähler uns etwas sagen wollten‘. Und Spahn mahnt: ‚Wir sollten sie schon ernst nehmen, diese Wählerinnen und Wähler.‘“
Dass das ernst nehmen der Wähler für Jens Spahn etwas Neues und Ungewohntes ist, kann man ihm schon abnehmen. Aber wenn er jetzt glaubt zu verstehen, was die Wähler ihm und Seinesgleichen mit ihrem "schwierigen" Wahlverhalten sagen wollen, müsste er dann nicht auch versuchen, danach zu handeln?
Natürlich weiß ich, wie naiv diese Frage klingt. Aber vielleicht bleibt einem deshalb auch das Lachen über solche Auftritte im Halse stecken, weil gerade solche Polit-Darsteller wie Jens Spahn die Bürger immer so ansprechen, als hätten sie es nur mit naiven, unerfahrenen und unmündigen Kindern zu tun.
Wer greift zur Notbremse?
Aber wenn dieser namhafte CDU-Politiker schon bei der AfD angekommen ist, die insbesondere durch die CDU-Brandmauerpolitik stark gemacht wurde, könnte er selbige ja auch kritisch hinterfragen, oder?
Ich weiß, wie lächerlich diese Frage klingt, aber an dieser Stelle musste anmoderiert werden, dass Herr Spahn sich immerhin für eine Lockerung der AfD-Ausgrenzung ausspricht. Also einen Bundestagsvizepräsidenten-Posten – so wie alle anderen Fraktionen – sollen die Blauen jetzt nicht gleich bekommen, aber:
„Der andere Teil sind ja die Abläufe im Bundestag, die Verfahren in der Geschäftsordnung, in den Ausschüssen, die Minderheits- und Mehrheitsrechte. Und da würde ich uns einfach empfehlen, mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen in den Verfahren und Abläufen wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch.“
Was für eine Erkenntnis! Die kommt nur reichlich spät. Mittlerweile reden wir – dank der Brandmauer – von der nach einer jüngsten Umfrage bundesweit bereits stärksten Partei und der nach dem letzten Bundestagswahlergebnis stärksten Oppositionspartei.
Oder wollte sich der gute Jens nur noch nicht allzu weit aus der Deckung wagen? Die AfD im Parlament wie jede andere Partei zu behandeln, ist in seiner Welt schon ein Angriff auf die Brandmauer. Erinnern Sie sich noch einmal an die Corona-Zeit. Welches Maß an Ausgrenzung von Kritikern und Ungeimpften der Minister Spahn da für völlig normal und angemessen hielt. Für einen so mustergültigen Vertreter einer Ausgrenzung-Politik, gegenüber welcher störenden Gruppe auch immer, sind Sätze wie die oben zitierten wahrscheinlich schon revolutionär.
Damit sollen Spahns neue Textbausteinchen nicht zu einem hoffnungsvollen Sinneswandel hochgedeutet werden, eher im Gegenteil. Wenn das den Erkenntnisstand der Merz-Truppe im Blick auf Bürger und Wähler widerspiegelt, dann müssen sich CDU-Wähler wohl noch auf so einige weitere Enttäuschungen einstellen. Wo dieses „weiter so“ hinführt, ist so absehbar, dass man sich fragt, warum sich deutsche Politiker eigentlich nicht darum streiten, wer als Erster zur Notbremse greift.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.