Vera Lengsfeld / 07.12.2012 / 11:57 / 0 / Seite ausdrucken

Die Sozialindustrie frisst unsere Zukunft

Wussten Sie, dass die Sozialindustrie der größte Arbeitgeber in Deutschland ist? Mehr als zwei Millionen Helfer kümmern sich tagtäglich um die Armen und Behinderten in unserer Gesellschaft. Allein das Rote Kreuz hat mehr Beschäftigte als die BASF als größter Chemiekonzern weltweit. Über die Umsätze , die dieses gewaltige Helfer-Kartell macht, gibt es nur Schätzungen, denn Offenheit ist seine Sache nicht. Zwischen 115 und 140 Milliarden, oder 57 000 pro Mitarbeiter, liegt der Umsatz.

Wir haben es mit einer mächtigen Schicht zu tun, die von der Armut lebt.Kein Wunder, dass die Armut nicht aufhören darf. Dafür sorgt eine allseits anerkannte Definition, die festlegt, dass „armutsgefährdet“ in unserem Lande ist, wer über weniger als 60% des Durchschnittseinkommens verfügt.( In der EU ist die Armutsgrenze übrigens bei 40% des Durchschnittseinkommens festgelegt). Das heißt, egal in welche Höhen das Einkommen steigt, die Armut bleibt. Die Deutschen scheinen zum betreuten Volk zu degenerieren. Bis zu 95 Prozent der Bevölkerung nehmen nach Schätzungen der Wohlfahrtsverbände mindestens einmal im Leben eine Betreuung in Anspruch.

Professionelle Helfer durchforsten die Unterschichtviertel auf der Suche nach neuen Klienten. Eine Familie wird von bis zu zehn Helfern betreut, die in der Regel mehreren so genannten Freien Trägern angehören, die mit unterschiedlichen Methoden arbeiten. So können Geschwister in ganz verschiedenen Programmen landen, die nicht miteinander koordiniert werden.

Wie kommt es, bei solch einer Betreuungsdichte dennoch immer wieder dazu, dass Kinder aus einer total vermüllten Wohnung herausgeholt werden müssen oder gar totgeschlagen werden? Vielleicht deshalb, weil die Unterbringung von Kindern bedeutet, dass der Betreuer den Fall an einen anderen Träger angeben muss. Bezahlt werden die Sozialarbeiter vor Ort nach so genannten KAPOVAZ- Verträgen, das heißt nach kapazitätsorientierter, variabler Arbeitszeit. Sie haben zwar eine volle Stelle, aber nicht immer auch ein volles Gehalt, wenn nicht genügend Arbeitsaufträge da sind. Wer einen Fall abgibt, kürzt sich selbst den Lohn. In der schönen Welt des Helfens wird Arbeitnehmerausbeutung par excellence betrieben. Erst kürzlich bekamen die Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen das Streikrecht gerichtlich zugesprochen.

Das sind nur einige brisante Beispiele aus Walter Wüllenwebers sensationellem Buch „Die Asozialen. Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren und wer davon profitiert.“ Wüllenweber liefert nicht nur Zahlen und Fakten, die seine auf dem Buchumschlag aufgestellte These belegen, sondern auch jede Menge Berichte aus der Welt der Unterschicht, die sich unbemerkt von der Mehrheitsgesellschaft in den letzten zwei Jahrzehnten etabliert hat, mit eigenen Verhaltensweisen und Normen.

Fazit: die aufgelegten zahllosen Hilfsprogramme können nicht funktionieren, weil sie aufstiegswillige, mündige Bürger voraussetzen, die willens und fähig sind, Entscheidungen und eine Auswahl zu treffen. Von den Normen und Werten der Mehrheitsgesellschaft hat sich die Unterschicht aber längst verabschiedet. Sie sehen keinen Zusammenhang mehr zwischen Leistung und Erfolg.

Nicht Armut ist das Problem, denn Armut heute bedeutet, über die neuesten technischen Geräte wie Laptops, Smartphones, Flachbildfernseher und Spielkonsolen zu verfügen. Das Problem liegt nicht im Mangel an Geld. Jeder Hartz-VI Empfänger kann sich die immer wieder bemühte Kinokarte kaufen, wenn er die zusätzlichen Hilfsangebote der Zivilgesellschaft, wie Tafeln, Kleiderkammern und Möbellager in Anspruch nimmt.
Aus-, und Weiterbildungsangebote gibt es in Hülle und Fülle. Sie werden kaum erfolgreich genutzt. Problematisch ist, dass sich die Unterschicht aus der Gesellschaft verabschiedet hat. Wer in einer Unterschichtfamilie geboren wird, hat so gut wie keine Chance, zu entkommen. Es fehlt, stellt Wüllenweber klar, an Bildung. Besonders Bildungsangebote für die frühkindliche Erziehung, wo die entscheidenden Fähigkeiten und Verhaltensweisen geprägt werden.

Für ein flächendeckendes Angebot an Kindergärten, in denen auch Bildung stattfindet, ist kein Geld da. Die Kommunen, die seit 1992 eine Verdoppelung der Sozialausgaben verkraften mussten, haben keine Mittel übrig. Das reiche Deutschland, das sich die teuerste Betreuungsindustrie seiner Geschichte leistet, liegt bei den Bildungsausgaben nur auf Platz 31 von 37 Ländern. Wüllenweber schlussfolgert: der Wohlfahrtsstaat macht der Bildung Konkurrenz. Er verdrängt sie. Er frisst unsere Zukunft.

Nicht die Bedürfnisse der Kinder sind ausschlaggebend, sondern die Bedürfnisse der auf Wachstum ausgerichteten Betreuungsindustrie, die ihre Kunden ungern hergibt. Warum macht die Politik keinen Versuch, diese offensichtliche Schieflage zu beseitigen? Wüllenweber ist auch dieser Frage nachgegangen. Mehr als 30% der aktuellen Bundestagsabgeordneten und viele ehemalige, haben Posten oder Funktionen in der Betreuungsindustrie. Gegen diese Lobby kommt man nicht an. Wüllenweber ist am Ende seines Buches ratlos, weil er keinen Ausweg aufzeigen kann.  Die Politik wird weiter auf Verteilung von Almosen statt auf Schaffung von Lebenschancen setzen, wenn die Gesellschaft sie nicht dazu zwingt.

Wie die Unterschicht, lebt die Oberschicht in einer Parallelgesellschaft. Sie beteiligt sich kaum an der Finanzierung des Gemeinwesens. Es sind nicht die Betreiber von Unternehmen, die hier gemeint sind, sondern die Erben von Milliardenvermögen, die von ihren jährlichen Einkommenssteigerungen durch Kapitalvermehrung nur mit 25% zur Steuerkasse gebeten werden, obwohl jeder besser verdienende Berufstätige einen Beitrag von über 40% seines Einkommens an die Steuer abzuliefern hat. Wüllenweber stellt fest, dass diese Oberschicht in der Gesellschaft keinerlei Funktion mehr wahrnimmt. „Sie ist keine Führungsschicht, keine Leitschicht. Politische , intellektuelle oder kulturelle Impulse gehen von ihr nicht aus.“

Wüllenweber hat eine hervorragende Analyse der Problemlage geliefert. Seine Erkenntnisse müssen sich nur noch weit genug verbreiten. Aufklärung ist der Anfang aller Veränderung.

Walter Wüllenweber: Die Asozialen. Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren- und wer davon profitiert

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