Michael Miersch / 04.01.2008 / 17:51 / 0 / Seite ausdrucken

Die Sonntagabendverschwörung

Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 04.01.2008

Die Aleviten protestierten zu Recht gegen ihre Darstellung im „Tatort“. Wenn sich eine Drehbuchautorin eine Religionsgemeinschaft als Milieu für eine Mordgeschichte rauspickt und eine Redaktion das absegnet, kann man ein Minimum an Recherche verlangen. Dieses Minimum hätte schnell ergeben, dass die relativ weltoffenen Aleviten von orthodoxen Muslimen mit üblen Inzest-Gerüchten verleumdet werden – Gerüchten, die die Krimihandlung passgenau bediente. Es gibt zwei Möglichkeiten der Erklärung dafür. Entweder die Autorin hat sich von einem freundlichen „Islamexperten“ beraten lassen, dessen Agenda sie nicht durchschaute. Oder sie, die Produktionsfirma und die Redaktion hielten es nicht für nötig, sich ein wenig genauer zu informieren. Unsere Erfahrung mit Fernsehanstalten aller Art lässt uns auf letzteres tippen.

Der Protest richtet sich nur gegen eine einzelne Folge. Doch die vermurkste Aleviten-Geschichte ist symptomatisch für die Sonntagabendinstitution „Tatort“ und den deutschen Fernsehkrimi im Allgemeinen. TV-Krimis sind der Tummelplatz für Verschwörungsgläubige.

Kein gängiges Gerücht wird von ihnen ausgelassen. Der 11. September war vom CIA inszeniert. Mobilfunkstrahlen erzeugen Krebs, doch die Handy-Hersteller verhindern, dass die Bevölkerung das erfährt. Selbstverständlich gehen auch Gentechnik-Unternehmen über Leichen. Und dass Pharmakonzerne geheime Tierversuchslabors betreiben, in denen Hunde gefoltert werden, das wird ja wohl niemand bezweifeln. Zumindest kein regelmäßiger Tatort-Zuschauer. Denn all dies ist bei den Ermittlungen der untadeligen Fernsehkommissare herausgekommen.

In den vordergründig unpolitischen Krimihandlungen wird Stimmung gemacht, werden Ressentiments bedient und Vorurteile geschürt, wie es in keinem politischen Magazin möglich wäre. Würden „Report“ oder „Panorama“ ähnliche Behauptungen aufstellen, wären es Fälle für den Rundfunkrat. TV-Journalisten müssen ihre Thesen – zumindest in der Regel - belegen, Drehbuchautoren dürfen frei fabulieren. Und es gibt noch einen wichtigen Unterschied: Krimis haben ein Vielfaches an Zuschauern und erheblichen Einfluss auf die Stimmung im Land. Sie sind das erfolgreichste Medium der Antiaufklärung im Fernsehen geworden – was ja eine gewisse Ironie birgt, da im Krimi ja immer etwas aufgeklärt wird.

Es ist kein Wunder, dass die Möglichkeit einem Millionenpublikum Fiktionen zu servieren Obskuranten aller Art anzieht. Aber wie massiv sich diese Spezies im Genre Fernsehkrimi breit gemacht hat, ist verblüffend. Gerüchte, die selbst in Kreisen von Verschwörungsgläubigen umstritten sind, können umstandslos zur besten Sendezeit ausgebreitet werden – es muss nur Krimi draufstehen. Zum Beispiel hinter der RAF habe in Wirklichkeit das BKA gesteckt. Dafür gab es sogar den Adolf-Grimme-Preis.

Wie kommt das? Haben die Jünger des Matthias Bröckers den Marsch durch die TV-Institutionen angetreten? Wird in Krimi-Redaktionen zuviel gekifft? Oder ist es einfach das Ergebnis einer aus Kirchentagsgesäusel, Ökospießertum und Amerikaverachtung gemixten Gesinnung, die bei vielen in der Medien- und Kulturbranche üblich ist?

Wir arbeiten derzeit übrigens an einem Tatort-Drehbuch: Elvis lebt und hat als geheimer Ermittler herausgefunden, dass Kennedy Freimaurer war. Er wurde von seiner eigenen Loge ermordet, weil er nicht zulassen wollte, dass sie den Mondflug türken.

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