Claude Cueni, Gastautor / 21.06.2025 / 14:00 / Foto: Tim Maxeiner / 2 / Seite ausdrucken

Die Sitzbänke von morgen

Dank Innovationen und neuen Bedürfnissen entstehen heute Sitzbänke der nächsten Generation. Doch die Musik spielt nicht im alternden Europa, das sich am liebsten mit seinen Wohlstandsproblemen beschäftigt, sondern in Asien. 

In der griechischen Agora und auf dem Forum Romanum gab es steinerne Sitzmöglichkeiten, oft in Form von Mauervorsprüngen oder niedrigen Sockeln. Sitzen war kein neutraler Akt. Wo man sitzen durfte, war klar geregelt. Und wer sitzen durfte, das entschied die soziale Stellung. Die Arena, der Tempel, das Bad – für all diese Orte war stillschweigend geregelt, wer wie und wo sitzen durfte.

Im Mittelalter gab es noch keine Bänke im heutigen Sinn. Sitzen war immer noch ein Privileg. Selbst in der Kirche musste das Volk stehen (oder demütig knien), nur der Adel durfte sitzen.

Auch im 17. Jahrhundert kannten die Städte kaum Sitzbänke; der öffentliche Raum war noch auf Verkehr und Markt ausgelegt. Doch mit dem Aufstieg und der Sichtbarkeit des Bürgertums hielten einfache Bänke Einzug in den öffentlichen Raum. Marktplätze, Stadttore, Kirchenvorhöfe wurden erstmals Treffpunkte oder Orte des Verweilens.

Schwarze hinten, Weiße vorne

Erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ermöglichten neue Materialien wie Eisen, Stahl und industriell verarbeitetes Holz die massenhafte Herstellung von Bänken. Doch noch durfte nicht jeder überall sitzen. Die Architektur der Bänke spiegelte anfangs noch die viktorianische Moral und trennte Geschlechter und Klassen. Bald entstanden in Städten wie Paris, London oder Berlin erste öffentliche Parkanlagen, und Bänke wurden „demokratisiert“: Jeder konnte sitzen, wo es ihm beliebte – aber nicht in allen Ländern. Nicht nur in Südafrika, im heutigen Simbabwe und in den französischen, britischen und portugiesischen Kolonien blieb das Apartheidsystem erhalten.

In den USA wurden Sitzbänke in den 1960er Jahren politisch. In der Zeit der sogenannten Jim-Crow-Gesetze war Rassentrennung Alltag. Auf Wartebänken in Bahnhöfen, Parks oder vor öffentlichen Gebäuden gab es Beschilderungen wie „For Whites Only“ oder „Colored Waiting Room“. Nicht selten waren die Sitzbänke für Schwarze in deutlich schlechterem Zustand – oder gar nicht vorhanden.

Auch in öffentlichen Bussen galt eine klare Rassentrennung. Schwarze mussten hinten einsteigen, Weiße vorne. Die Sitzgrenze konnte nach hinten verschoben werden, wenn mehr Weiße zusteigen wollten. Schwarze mussten für Weiße den Sitz freigeben, auch wenn sie früher in den Bus gestiegen waren. Es war schließlich die Afroamerikanerin Rosa Parks (1913–2005), die sich gegen dieses Unrecht erhob. Am 1. Dezember 1955 blieb sie demonstrativ im Bus sitzen und weigerte sich, für eine weiße Person aufzustehen. Es war ein historischer Moment der Bürgerrechtsbewegung.

Im Zuge der Sozialreformen entstanden nach dem Ersten Weltkrieg vermehrt Grünanlagen, Spielplätze – und damit auch Sitzgelegenheiten. Bänke wurden nüchtern und zweckmäßig gestaltet.

Dem Zeitgeist folgend

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden mit dem Wiederaufbau neue Typen von Bänken: ergonomisch, vandalensicher und funktional. Der Nachkriegsboom im Westen führte zum Entstehen einer Freizeitgesellschaft, die mehr öffentlichen Raum einforderte. Später, im Zeitalter von Design und Popkultur, wandelten sich die Bänke erneut und folgten dem Zeitgeist. Die Postmoderne spielte mit Formen und Farben – einige Bänke wurden zu Kunst im öffentlichen Raum.

Dank Innovationen und neuen Bedürfnissen entstehen heute Sitzbänke der nächsten Generation. Doch die Musik spielt nicht im alternden Europa, das sich am liebsten mit seinen Wohlstandsproblemen beschäftigt, sondern in Asien. In südkoreanischen Metropolen wie Seoul sind Bänke („smart benches“) mehr als Sitzgelegenheiten. Sie sind wetterbeständige Dockingstationen und bieten WLAN, USB-Ports, Solarzellen, Displays, News, Hitzeschutz und LED-Leuchten für die Nacht. Ausgestattet mit Fotovoltaikmodulen, nutzen diese Bänke Sonnenenergie, um verschiedene Funktionen zu betreiben, wodurch sie unabhängig vom Stromnetz funktionieren. In kalten Winternächten bieten sie beheizte Sitzgelegenheiten. Weil man auf diesen Bänken sitzen, aber nicht liegen kann, werden sie von Aktivisten als „Anti-Obdachlosen-Bänke“ bezeichnet. 

Aber Sitzbänke sind – wie der Name schon vermuten lässt – zum Sitzen da.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Claude Cuenis Blog.

Claude Cueni ist Schriftsteller in Basel. Zuletzt von ihm erschienen: Small Worlds. 70 Dioramen. Edition Künigsstuhl. 164 S., Fr. 39,90.

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Leserpost

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Günter H. Probst / 21.06.2025

Wenn man kein Zuhause hat, sind Dockingstationen an Sitzbänken vorteilhaft.

Dieter Weiß / 21.06.2025

Ich bin auch Besitzer einer Sitzbank. Die habe ich vor Jahrzehnten mit meinem Garten übernommen. Der Vorbesitzer hatte sie auch schon von seinem Vorbesitzer, also wahrscheinlich Vorkriegsware.  Alle paar Jahre ist mal eine Reparatur oder der Austausch einer Leiste erforderlich, was ohne Probleme möglich ist. Das ist eine Bank mit Vergangenheit und hoffentlich auch mit Zukunft die Generationen überleben kann. Die im Beitrag vorgestellten Bänke entsprechen zwar dem Zeitgeist sind aber in kurzer Zeit defekt, in wenigen Jahren technologisch veraltet und dann nur noch Sondermüll. In meinen Augen Verschwendung von Ressourcen und nicht zukunftsfähiger Schnickschnack.

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