Vera Lengsfeld / 29.09.2021 / 14:00 / Foto: Instagramm / 80 / Seite ausdrucken

Die Selfies: Nach Vergabe der Ämter den passenden Kanzler suchen

Auch wenn die schlimmstmögliche Regierungskoalition abgewendet werden konnte, hat sich Deutschland nach der Wahl bereits verändert. Die FDP, die 2017 auf Druck ihrer Geldgeber aus den Jamaika-Koalitionsverhandlungen aussteigen musste und damit die Grünen auf die Oppositionsbank geschickt hat, spielt nun die Rolle des Königsmachers. Noch in der Wahlnacht machte Christian Lindner den Vorschlag, dass FDP und Grüne miteinander reden sollten, bevor sie in Sondierungsgespräche eintreten.

Im Klartext heißt das, die beiden kleinen Parteien kungeln untereinander aus, wer Zugriff auf welche Ämter haben wird und suchen sich danach den passenden Kanzler aus. 

Mein Tipp: Habeck wird Außenminister und Lindner übernimmt das Finanzamt. Vielleicht werden sie dafür großzügig den Bundespräsidenten bei der SPD lassen. Das wäre ein Platz, an dem Saskia Esken den wenigsten Schaden anrichten kann.

Auf welches „gemeinsame Projekt“ werden sich Gelb und Grün einigen? Auf gar keins, wenn man die Posten- und Pfründeverteilung nicht als solches Ziel ansieht. Mit den heutigen Gesprächen von Gelb-Grün ist der knappe Sieger Olaf Scholz noch vor seinem Amtsantritt zum Frühstücksdirektor degradiert worden. Es ist aber gar nicht sicher, ob Scholz als passender Partner von Gelb-Grün erwählt wird. Armin Laschet wäre das viel willigere Wachs in den Händen von Habeck und Lindner. Von ihm ist keinerlei Widerspruch zu erwarten, denn bei ihm geht es um sein politisches Überleben. Nur wenn er sich in eine Jamaika-Koalition retten kann, ist sein politischer Untergang abgewendet.

An ihre persönlichen Dienstwagen samt Entourage gewöhnt

Er ist nur deshalb nicht sofort abserviert worden, weil mit ihm die Aussicht auf Posten und Pfründe ganz verloren ginge. Das Gerücht sagt, dass Laschet in der CDU-Vorstandssitzung nur darauf hinweisen musste, dass in der Opposition nur ein Posten zur Verfügung steht, der des Fraktionsvorsitzenden.

Was aber machen die ehemaligen Minister und Staatssekretäre, die sich an ihre persönlichen Dienstwagen samt Entourage gewöhnt haben, als wäre es ein Stück ihres Selbst? Die Altmaier, Spahn, Kramp-Karrenbauer und diejenigen, deren Namen man sich jetzt auch nicht mehr merken muss, sehen sich auf den profanen Bundestagsfahrdienst und die Hinterbank zurückgeworfen! Welch Grauen! Die werden alles tun, um Laschet als einzig möglichen Verhandlungsführer zu behalten. Sein Kopf wird, wenn er erfolglos ist, später umso sicherer rollen.

Genauso sicher ist, dass die Union bis heute nicht begriffen hat, warum sie abgewählt wurde. Merkels kaum beherrschtes Strahlen angesichts der verheerenden Niederlage ihrer ungeliebten Partei, der sie zwar alles verdankt, deren Liebe sie aber nie erwiderte, sprach Bände. Laschets finaler Kniefall vor der Frau, die Deutschland zum Sanierungsfall gemacht und ihm jeden möglichen Stein in seinem Kandidatenweg gelegt hat, erhellte schlaglichtartig, was seine Erfolglosigkeit ausmachte: Er hat Anlauf genommen, die richtigen Themen zu setzen: Innovationsjahrzehnt mit Bürokratieabbau, Festhalten an der Rechtsstaatlichkeit und am Grundgesetz, auch in der Corona-Krise, und ist dann nicht gesprungen, weil er den Mut nicht aufbrachte, sich von der Merkel-Politik loszusagen. Er hat nicht begriffen, dass er nur gewinnen konnte, wenn er glaubwürdig den Versuch machte, die Wähler, die sich wegen Merkel von der CDU abgewandt hatten, zu überzeugen, dass es sich wieder lohnt, CDU zu wählen. Olaf Scholz gewann nicht aus eigener Stärke, sondern wegen der Schwäche seines Kontrahenten.

Es gab kein Argument, das die Behauptung im Wahlkampf stützte, dass Deutschland von der Union regiert werden müsste. Im Wahlkampf der inhaltslosen Phrasen stimmte die CDU ununterscheidbar von den anderen Altparteien ein. Wenn jetzt, nach der Wahl, gesagt wird, die Union müsste ihre Themen unbedingt ins künftige Deutschland einbringen, fragt man sich: Welche Themen? Nachdem die Partei unter Merkel ihren Markenkern restlos aufgegeben hat, steht sie ohne jede Idee, geschweige denn Zukunftsprojekt, da. Wenn Laschet, Ziemiak & Co. jetzt nach einer „Zukunftskoalition“ rufen, werfen sie indirekt die Frage auf, welche Inhalte sie denn in so eine Koalition einbringen wollen. Ich sehe da nichts, außer dem Verlangen, wenigstens einen Teil der Posten und Pfründe zu sichern.

Nichts unversucht gelassen, Laschet als Depp hinzustellen

Es ist dennoch nicht auszuschließen, dass sich trotzdem die Irrationalität Bahn bricht und ein Machtkampf um den einzig sicheren Posten doch beginnt. Ralf Brinkhaus, der es geschafft hat, außerhalb seiner Blase als Bundestagsfraktionsvorsitzender unbekannt zu bleiben, will seinen Vorsitz nicht aufgeben. Gleichzeitig wollen Jens Spahn und Laschet, sollte es nichts mit der Regierung werden, die Führung der Fraktion. Selbst wenn Laschet noch die volle Verantwortung für seine Niederlage übernehmen und zurücktreten sollte, bleibt das Problem bestehen, denn es gibt noch Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Peter Altmaier, die nach Höherem streben. Ein solcher Kampf trägt den Keim des Untergangs der CDU in sich.

Laschet weigert sich, die Konsequenzen aus dem desaströsen Wahlergebnis zu ziehen, weil er zu recht die Schuld nicht allein auf sich nehmen will. Markus Söder hat mindestens einen gleich großen Anteil daran. Der bayerische Ministerpräsident hat nichts unversucht gelassen, Laschet, nachdem er als Kanzlerkandidat nominiert war, als Depp hinzustellen, was die Medien begierig aufgegriffen und verbreitet haben. Erst als seine Sabotage auch vom Mainstream thematisiert wurde, hat er von seiner Stichelei zeitweilig abgelassen, um sie kurz vor der Wahl wiederaufzunehmen. Dabei hat Söder ebenso verloren wie Laschet. Er hat das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der CSU eingefahren, was nur durch die Tatsache verdeckt wird, dass fast alle Direktmandate gewonnen wurden. Deshalb hat die Werteunion zu recht den Rücktritt von Laschet und Söder gefordert.

Gleichzeitig hat dieses Ergebnis zur Aufblähung des Bundestages beigetragen, denn dadurch, dass die CSU ihre Fraktionsgemeinschaft mit der CDU in jeder Legislaturperiode erneuert, ergeben sich aus dem CSU-Ergebnis Ausgleichsmandate, die nicht entstehen würden, wenn man die Bundestagsfraktion von CDU und CSU als dauerhafte Fraktionsgemeinschaft, die sie de facto ist, betrachten würde.

Mit aller Kraft versucht die Union so weiterzumachen wie bisher. Sie hat das Signal nicht gehört, das der sächsische Ministerpräsident Kretschmer, bedrängt durch die AfD, vernommen hat: „Einfach so weitermachen geht nicht“, denn es „muss ins Verderben führen“.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf vera-lengsfeld.de.

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R. Fetthauer / 29.09.2021

So sehen Sieger aus? Zumindest werden Sie werden die Mehrheit der Domestiken zu Besiegten machen!

Hans-Peter Dollhopf / 29.09.2021

Der Markenkern der Union nennt sich mittlerweile AfD. Doch das Wahlergebnis der AfD macht klar, dass von den schon länger hier Bürgernden für dieses Land ein Grabstein auf dem Friedhof von Brüssel gewünscht wird. R. I. P., Germany.

H. Adel / 29.09.2021

@Kurt.Müller, leider kommt man mit Logik in der Politik nicht weiter, hier zählt nur Kalkül und Befehlsausführung von oben. Ihre „Denke“ hatte ich auch, aber seit langem verloren. Solange sich die sog. Oppositionellen in Esotherik flüchten, werden sie nicht den Mut aufbringen richtigen Widerstand zu leisten und dazu die Kräfte zu bündeln. Bestes Beispiel die „Basis“ - anstatt sich den vorhandenen Schnittmengen einer wahren Opposition anzuschließen, zerteilen sie die Machtmöglichkeiten durch Gemeinsames. Falsche Beurteilung der Kräfteverhältnisse führen immer zur Niederlage. (Sollten wieder mal den alten Clausewitz lesen) HA

Caroline Neufert / 29.09.2021

Gute Analyse.

Jochen Lindt / 29.09.2021

Selbst Vera Lengsfeld fällt auf den Topos herein, nachdem “Scholz nur von der Schwäche der anderen profitiert, selbst aber keine Stärken hat”.  Eindeutig falsch. Scholz hat schon immer stoisch sein Ding durchgezogen und ist nie einen Millimeter von seinem Masterplan abgewichen. Selbst als die SPD Richtung 11% fiel und er nicht zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, hat ihn das nicht aus der Bahn geworfen.  Die Medien lachten als er Kanzlerkandidat wurde und er ihnen sagte, was er als Kanzler machen will.  Wer lacht jetzt noch?  Der Wähler hat ein sehr feines Gespür für Stärken und Schwächen. Laschet und Baerbock haben keine Fehler gemacht, sondern ihre Charakterschwächen bloßgelegt.

Steffen Huebner / 29.09.2021

Die FDP hat vor der Wahl alles getan, um zu signalisieren, dass sie sich gern für noch offenere Grenzen auch unter einer rotgrünen Regierung prostituieren würde. 500.000 Einwanderer bräuchten wir jedes Jahr, meinte ihr Vize und die Staatsbürgerschaft soll es auch schon nach vier Jahren geben, wenn es nach ihrem Parteiprogramm geht; noch schneller als selbst bei den Grünen. Man kann vermuten, das auch mit der FDP die Handbremse für die rasenden Talfahrt in den Abgrund weiter gelockert wird. Die letzte Ausfahrt aus der Maloche wäre die Wahl der AfD gewesen - letzte Gelegenheit verpasst.

Alexander Schilling / 29.09.2021

“Was aber machen die ehemaligen Minister und Staatssekretäre, die sich an ihre persönlichen Dienstwagen samt Entourage gewöhnt haben, als wäre es ein Stück ihres Selbst?”, fragen Sie, sehr geehrte Frau Lengsfeld. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie solange ruhelos ihre Zeit damit verbringen, für alle Fälle Begründungen dafür zu suchen, warum sie auf ihren Posten verblieben sind, ‘um Schlimmeres zu verhüten’——bis ein Pfiff ihnen signalisiert, sich erneut in Stellung zu bringen, da die Ampel gescheitert und eine Neuauflage der Großen Koalition beabsichtigt sei. Vielleicht liege ich ja aber auch komplett daneben, und sie orientieren sich, vorauseilend nicht nur im Gehorsam, etwa am Beispiel Benito Craxis und machen sich, aufatemspendend, gefälligst vom Acker—zumindest der Privat- und Öffentlichrechtlichkeit: wer weiß?

Charles Brûler / 29.09.2021

Da die aufgeführten Parteien das Migrations- und Islamisierungsproblem komplett ausgeklammert haben, erwarte ich nicht viel von diesen Traumtänzern.

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