In einem Kommentar für die Washington Times hat Ed Feulner vor wenigen Tagen die Trump Administration aufgefordert, mit der Schweiz unverzüglich Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufzunehmen. Ed Feulner ist nicht irgendwer, wie regelmässige Leser dieser Spalten wissen: Feulner ist Gründer und ehemaliger Präsident der Heritage Foundation, einem konservativen Think Tank in Washington; nach wie vor zählt er zu den einflussreichsten grauen Eminenzen in der amerikanischen Hauptstadt, und was vor allem von Belang ist: Er hat das Ohr von Donald Trump, dem amerikanischen Präsidenten – er berät ihn, schlägt Personen für dessen Regierung vor, steht im dauernden Kontakt mit Mitgliedern seines Kabinetts. Wenn mit anderen Worten ein solcher Mann ein Abkommen mit der Schweiz anregt, dann kann man davon ausgehen, dass den Worten Taten folgen. Amerika, das hört man auch aus Regierungskreisen in Washington, ist interessiert, mit der Schweiz ins Geschäft zu kommen. Doch sind wir dazu bereit?
In Bern wirken die Verantwortlichen etwas verzagt. Während jeder Mucks, der aus Brüssel an ihre Ohren dringt, bei unseren Diplomaten für mittelschwere Hörstürze sorgt, scheinen sie die gut vernehmbaren Signale aus Amerika zu überhören. Die Zeit ist günstig, der Partner der richtige: Trump kann jeden Erfolg gebrauchen, der sich ihm an der Front internationaler Wirtschaftsverhandlungen anbietet. Noch herrscht zwar kein Trade War, kein Wirtschaftskrieg, doch die Spannungen zwischen den grossen Ländern haben deutlich zugenommen, seit Trump mit Zolldrohungen die halbe zivilisierte Welt in Angst und Schrecken versetzt hat. Mit manchen alten Verbündeten in Europa hat er sich überworfen, China definitiv gegen sich aufgebracht, wenn auch mit Absicht und zu Recht, und die Gespräche über ein mögliches (und sinnvolles) Freihandelsabkommen mit Grossbritannien kommen nicht recht vom Fleck, solange sich die britische Regierung so schwer tut, die EU zu verlassen.
In solchen unübersichtlichen Zeiten dürfte ein Partner wie die Schweiz, konservativ, stabil, reich, er mag noch so klein sein, für die USA von Nutzen sein, zumal einer, der den Amerikanern aus politischen und mentalen Gründen durchaus nahe steht: In einem Bericht, den die Heritage Foundation in diesen Tagen ebenfalls veröffentlichte, schreiben die Autoren, darunter Ed Feulner:
"Das starke Bekenntnis der Schweiz zum freien, marktwirtschaftlichen Kapitalismus macht das Alpenland zum idealen Partner für Amerika, das sich derzeit darum bemüht, sein eigenes Bekenntnis zu einer freien Wirtschaft zu bekräftigen und zu vertiefen."
Viel Symbolisches wäre also damit erreicht, wenn Trumps Amerika, das in den Augen so vieler Kritiker unberechenbar oder gar isolationistisch wirkt, mit der Schweiz, einer der ältesten Demokratien der Geschichte und einer der offensten Marktwirtschaften aller Zeiten, den vollständigen Freihandel einführte.
Rang 12 der wichtigsten Handelspartner der USA
Es käme zusammen, was zusammengehört: So wie die liberalen Schöpfer des schweizerischen Bundesstaates 1848 die USA in manchen Dingen zum Vorbild nahmen – unser Ständerat entspricht zum Beispiel dem amerikanischen Senat –, bot die einstige Alte Eidgenossenschaft ebenso unverzichtbares Anschauungsmaterial für die amerikanischen Gründerväter, als diese im 18. Jahrhundert ihre neue Republik konzipierten. In den berühmten Federalist Papers, jenen Texten, wo in den Jahren 1787 und 1788 drei dieser sogenannten Founding Fathers, nämlich James Madison, John Jay und Alexander Hamilton, so lebhaft und so klug über die Zukunft ihres Landes debattierten, kam die Schweiz häufig als Gegenstand vor.
Wen dies auf den ersten Blick überrascht, sollte daran denken, dass die Schweiz zu jener Zeit eine der wenigen Republiken überhaupt war, die existierten und an deren Erfahrungen und Tragödien die Amerikaner Mass nehmen konnten. So gut wie alle anderen Länder jener Epoche wurden von Monarchen beherrscht. Im Lauf des 19. Jahrhunderts kam deshalb der Begriff der Schwesterrepubliken auf, um die Schweiz und die Vereinigten Staaten zu bezeichnen, weil diese beiden Länder noch lange zu den wenigen echten Demokratien des Westens zählen sollten. Eine schmeichelhafte Umschreibung gewiss, vor allem für die kleine, unbedeutende Schweiz, die sich so mit einer aufsteigenden Weltmacht verglichen sah, dennoch nicht ohne guten Grund: Obschon von so unterschiedlichem Gewicht, verband die beiden Staaten, dass ihre Bürger, zumal die männlichen und sofern sie nicht aus Afrika stammten, so frei und mächtig waren wie nirgendwo auf der Welt.
Soweit das Symbolische, doch das allein dürfte die Heritage Foundation und ihre Verbündeten in der Administration nicht dazu bewogen haben, für ein Freihandelsabkommen zu werben. Auf handfestere Interessen der USA weist der Think Tank hin und hebt die wirtschaftlichen Vorteile hervor, die sich aus einer Annäherung an die Schweiz ergeben dürften. Die Autoren nennen Zahlen und noch einmal Zahlen, mit der offensichtlichen Absicht, einen Präsidenten für ihre Idee zu gewinnen, der sich wie kein anderer an der Sprache der Handelsstatistik berauscht: Tatsächlich gehört die kleine Schweiz zu den grossen Geschäftspartnern der USA, derzeit beläuft sich das Handelsvolumen beider Länder auf über 115 Milliarden Dollar im Jahr.
Damit befindet sich die Schweiz auf Rang 12 der wichtigsten Handelspartner der USA. Für die grösste Volkswirtschaft der Welt sind wir zwar weniger wichtig als Kanada oder Deutschland, doch weitaus bedeutender als etwa Russland (27 Milliarden) oder Brasilien (88 Milliarden), was doch einigermassen verblüfft, wenn man sich die betreffenden Grössen vor Augen hält. Vor allem investieren nur wenige Länder so viel in den USA wie die Schweiz: Insgesamt haben schweizerische Unternehmen 224 Milliarden Dollar in die USA fliessen lassen, womit unser Land zum siebtgrössten Investoren überhaupt zählt. Ausserdem haben unsere Firmen in Amerika rund 4,3 Milliarden Dollar an Steuern bezahlt, sie lieferten mehr ab als etwa die Unternehmen aus Kanada.
Kein verstockter Protektionist
Zugegeben, politisch bleibt die Schweiz ein Zwerg, der den amerikanischen Riesen wenig kümmert, dennoch, und deshalb kommt es auf das Timing an, könnte eine vollständige Liberalisierung des Handels mit der Schweiz für die USA selbst aus politischen Motiven attraktiv erscheinen. Mit einem FTA, wie es in der Sprache der Handelsdiplomaten heisst (Free Trade Agreement), versetzte sich die amerikanische Regierung in die Lage, der Welt klarzumachen, insbesondere den Europäern, dass es nicht zutrifft, dass Trump ein verstockter Protektionist und Liebhaber von Zollkriegen ist, sondern dass er ernst meint, was er wiederholt gesagt hat, zum Beispiel vor wenigen Wochen in Québec: "Wir sollten uns immerhin überlegen, ob es nicht besser wäre, alles abzuschaffen: alle Zölle, alle Handelshemmnisse!"
Genau dies sollte unsere Regierung, allen voran die beiden zuständigen, freisinnigen Bundesräte Ignazio Cassis und Johann Schneider-Ammann, den Amerikanern vorschlagen: Dass die Schweiz und die USA alle Zölle gegenseitig aufheben. Ebenso wäre anzustreben, so gut wie alle denkbaren Handelshemmnisse zu beseitigen, wenn möglich noch radikaler und kompletter als mit der EU. Dies wäre leicht zu erreichen, wenn die Schweiz und die USA übereinkämen, die Millionen von technischen Vorschriften nicht etwa zu harmonisieren, wie das die EU mehr schlecht als recht versucht, sondern sie gegenseitig zu anerkennen. Beide, die USA und die Schweiz, sind moderne, hoch entwickelte, technisch raffinierte Länder mit einer jeweils starken Kultur des Konsumentenschutzes: Es kann nicht sein, dass ein Produkt in Amerika so viel anders beurteilt wird wie in der Schweiz.
Die Zeit scheint so günstig wie nie zuvor. Und die Bauern? Wer gemeinhin als grösster Bremser gilt, die Bauern, muss das nicht sein. Ihr Leiden, ihr Risiko ist beherrschbar. Denn relevant ist unser kleiner Markt für die amerikanischen Farmer ohnehin nicht: Entweder entschädigen wir unsere Bauern für ihre Verluste, die der Import von amerikanischem Fleisch und Getreide verursacht, was nicht allzu viel kosten dürfte, oder wir erwirken hier eine Ausnahme. Mit Verweis auf die eigene Stahlindustrie hat Trump kürzlich seine Zölle auf importierten Stahl verteidigt. Es liege im nationalen Sicherheitsinteresse der USA, dass das Land weiterhin über eine eigene Stahlproduktion verfüge.
Ohne Weiteres liesse sich dieses Argument von Trump auf unsere Landwirtschaft anwenden. Dass unser Land im Kriegsfall auf ein gewisses Mass an Selbstversorgung angewiesen ist und dass dafür eine eigene Landwirtschaft vorhanden sein muss, dürfte auch den Amerikanern einleuchten, sodass wir die Selbstversorgung durch eigene Bauern ohne Weiteres als nationales Sicherheitsinteresse der Schweiz deklarieren könnten. Trump sollte das beeindrucken.
Vor gut zehn Jahren ist ein FTA mit Amerika gescheitert. Nicht bloss wegen unserer sehr gut geschützten Landwirtschaft, wie allerorten beklagt wurde, sondern auch die Pharmaindustrie hatte sich dagegen gewandt, weil die Amerikaner das strengere schweizerische Urheberrecht nicht akzeptieren wollten. Beide damaligen Skeptiker dürften heute für mehr Freihandel zu gewinnen sein. Ansonsten muss man sie überstimmen.
Schwesterrepubliken. Es ist Zeit, diesen schönen alten Begriff mit neuem Leben zu erfüllen. Freihandel für zwei freie Republiken. Nicht bloss wirtschaftlich würde ein FTA viel Sinn machen, sondern auch politisch, wie die Autoren der Heritage Foundation betonen:
"Der Umstand, dass die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, sollte die handelspolitischen Überlegungen der Trump Administration mit einer weiteren strategischen Dimension ergänzen."
Dieser Vorzug gälte auch für die Schweiz, besonders vor dem Hintergrund der zusehends schwierigen Beziehungen zur EU. Ein Freihandelsabkommen mit dem mächtigsten Land dieses Planeten bedeutete auch eine Entlastung für uns – einem Land, das umzingelt ist von so vielen angeblichen Freunden. (Basler Zeitung)
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung.