Thilo Schneider / 08.02.2020 / 06:25 / Foto: Timo Raab / 165 / Seite ausdrucken

Die schönste Selbstverstümmelung seit Vincent van Gogh

„Plötzlich Hitler". Tja. So schnell kann es gehen. Gestern noch Ministerpräsident, heute Adolf Hitler. Und ich wurde über Nacht vom Liberalen zum Faschisten, der, wenn er nicht gestoppt wird, am Montag um 5.45 Uhr Polen überfällt. Die ewigen Hüter und Bollwerker des Antifaschismus waren auch nicht faul und haben sofort der hitlerhelfenden FDP beispielsweise die Büros in Vreden, Halle, Düsseldorf, Köln und Duisburg mit „antifaschistischen Parolen“ beschmiert. Die FDP ist die neue AfD, die ja angeblich die neue NSDAP ist. Verurteilende Kommentare von SPD, Grünen oder CDU/CSU? Habe ich keine gelesen oder gefunden.

Kemmerich ist der neue Hitler, da gibt es gar kein Vertun und Kramp-Karrenbauer, Merkel und Söder tun so, als hätten sie irgendwie so gar nichts mehr mit der CDU Thüringen zu tun. Grüne und Sozialdemokraten ziehen marodierend durch die sozialen Medien und brüllen „Brandstifter“, während sie virtuell jeden FDPler auf den Scheiterhaufen stellen, der nicht schnell genug „ich distanziere mich“ schreiben kann. Und die Dummen und Schwachen unter den Liberalen lassen sich das auch noch gefallen.

Die FDP steckt in einem Dilemma und in einer Zerreißprobe. Alleine in meinem wahrlich nicht großen Ortsverband gab es bisher zwei Austritte, auch andere Orts- und Kreisverbände zeigen fast panische Parteiausweiszusendungen. Einige Liberale haben regelrecht Angst um ihre Gesundheit, andere haben Angst, sich als Liberale öffentlich zu outen. Kemmerichs Familie braucht mittlerweile Polizeischutz, denn im „Kampf gegen die faschistische FDP“, die irgendwie „Hitler in den Steigbügel“ geholfen hat, ist jedes undemokratische Mittel recht, befeuert von impertinenten Forderungen diverser SPD- und Grünen-Abgeordneter.

Einer verlogenen linken Koalition, die ständig „Hass und Hetze im Netz“ bei jedem bejammert, der nicht sofort vor ihnen einknickt oder ihnen mit Gegenargumenten kommt, ist jedes Mittel recht, um die FDP in eine rechtsextreme Ecke zu rücken. Die Farce in Erfurt wird zum Lackmustest des Demokratieverständnisses von rot-grün.

Veritable Großbrände

In den internen FDP-Foren wird ausgiebigst diskutiert und geschimpft. Die eine Hälfte ist unzufrieden mit Kemmerichs und Linders Performance, die andere Hälfte ist sauer, dass die FDP so wenig Steher-Qualitäten bewiesen hat. Die immer schon kokelnden Schwelbrände zwischen Sozialliberalen und Liberalkonservativen haben sich zu veritablen Großbränden entwickelt und viele der gewählten MdB und MdL fallen nun ihren eigenen Leuten aus Angst vor den nächsten Wahlen in den Rücken. Orts- und Kreisverbände distanzieren sich in den Wahlkämpfen schneller von ihrer eigenen Partei, als die SPD „Weimar“ und die Grünen „Potsdam“ plärren können.

Wie immer sitzen die Liberalen zwischen allen Stühlen. In der Bevölkerung ist sie jetzt gleich von zwei Seiten verhasst: Die eine Seite hasst sie, weil Kemmerich die Wahl zum Ministerpräsidenten angenommen hat, die andere Seite hasst sie, weil er zurückgetreten (worden) ist. Die FDP hat es einmal mehr geschafft, es überhaupt gar niemandem, nicht einmal sich selbst, recht zu machen. Ja schlimmer, sie hat sich von Medien und einer offiziellen Öffentlichkeit, die sich eher den rechten Arm abhacken würde, als bei der FDP ihr Kreuz zu machen, in Panik versetzen lassen.

Allerdings zeigt sich jetzt auch, wer ein echter Liberaler ist. Bis zum Auftauchen der AfD war die FDP der Lieblingsprügelknabe von SPD und Grünen und Teilen der Union und war eigentlich ganz froh, dass die AfD diese Rolle übernommen bekommen hatte. Jetzt bläst den Liberalen einmal mehr ein sehr schnittiger Shit-Storm um die Ohren, weil sie so liberal waren, wie sie sind und nicht so liberal waren, wie sich SPD, Grüne und die mittlerweile eher rote statt schwarze Union das vorgestellt haben.  

Die AfD hat etwas, was der FDP in ihrem Wesenskern fremd ist: Einen fast schon sektenartigen Zusammenhalt. Die FDP war und ist nie eine derart geschlossene und homogene Gemeinschaft gewesen, wie es AfD und Linke sind. Das wäre auch einer Partei, die sich Freiheit und Individualismus auf die magentafarbene Fahne geschrieben hat, völlig unangemessen. Es wäre aber, ähnlich wie nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen, eine solidarisch geschlossene Gemeinschaft des „mia san mia“ nötig, die zu ihren Werten und ihrem Markenkern steht – wenn sie denn nur wüsste, wo sich dieser im Moment befindet.

Es ist einfach niemand – nicht einmal Christian Lindner – da, der sagt „Kemmerich hat es probiert, es hat nicht geklappt, weil sich SPD und Grüne lieber der Ex-SED zuwenden als einer wirklich bürgerlichen Partei. Nur mit der CDU im Team und der AfD als Duldende kann eine FDP, die nur mit letztlich 73 Stimmen ins Parlament eingezogen ist, keinen Anspruch auf das Amt der Ministerpräsidenten erheben und keine Regierung bilden. Daher, sorry, klappt nicht, ich geh jetzt heim und Ihr demnächst wählen“. Das hätte Charakter gehabt. Stattdessen lässt sich die FDP von den Medien und organisiserten linken Kampagnen als Nazisau durchs virtuelle und mittlerweile reale Dorf treiben und darf sich von der linksliberalen Gelegenheitsallzweckwaffe, FDP-Bachelor Gerhart Baum, auch noch die rotgrüne Welt erklären lassen, in der er selbst nur noch den wohlfeilen Brandmelder geben darf.

Noch eine fünfte linkslastige Kolonne?

Es scheint sich genau deswegen auch noch nicht zum Vorstand und einigen linksliberalen Wirrköpfen herumgesprochen zu haben, dass es neben Linker, SPD, Grünen und angefärbter Union nicht noch eine fünfte linkslastige Kolonne braucht, die vor dem Wort „Nazi“ stumm erschauert und die Köpfe einzieht oder aus Angst vor dem Tod Selbstmord begeht. Aber genau dies wird passieren. Die gerade erst wieder von den Toten auferstandene FDP kann sich gleich wieder hinlegen. Es ist ihr nicht gelungen, zu sagen, wofür sie wirklich steht, und das wäre eigentlich eine ganze Menge. Die aber nicht kommuniziert wird.

Stattdessen will die FDP geliebt werden und hat dafür in den letzten Tagen ihr Rückgrat an der Kasse des rotgrünen Politbordells abgegeben. Für viele, viele FDP-Mitglieder könnten jetzt die Freien Wähler der letzte liberal-konservative Rückzugsort sein – wenn es diese bundesweit gäbe. Und die Wähler? Die, die nie FDP gewählt haben, werden die FDP so oder so auch künftig nicht wählen. Und die anderen? Die werden jetzt entweder Grüne oder vielleicht auch, aus Trotz, AfD wählen. Und die AfD hat kein moralisches Problem damit, sich wählen zu lassen. Wie die Grünen und die SPD im Übrigen auch nicht.

Ich freue mich auf die Wahlstände in Bayern. Wenn sich die Orts- und Kreisvorstände in die Fußgängerzone mit ihren „Wählen Sie uns“-Zettelchen stellen und seit vorgestern ein „außer, sie haben mal AfD gewählt, dann wollen wir Ihre Stimme lieber nicht“ hinzufügen müssen. Herzlichen Glückwunsch, FDP. Das war die schönste Selbstverstümmelung, seit Vincent van Gogh sein Ohr lieh.

Währenddessen hat übrigens, ganz nebenbei, laut Focus die sozialistische Gleichschaltung begonnen. Ein "Gremium" soll über die Verteilung von erhöhten GEZ-Gebühren an Zeitungen entscheiden. Nicht mehr der Markt gibt vor, ob es künftig einen "Focus", ein "Neues Deutschland" oder einen "Spiegel" gibt, sondern ein "unabhängiges Fachgremium". Ich schlage für dessen Besetzung Jan Böhmermann, Sawsan Chebli, Marietta Slomka, Ruprecht Polenz, Karl-Heinz Lauterbach und Saskia Esken vor. Vielleicht auch noch Anetta Kahane. Und später noch irgendeinen Hansel von der FDP. Wenn er schwört, dass er kein Hitlerbild, sondern ein Foto von Bodo Ramelow im Portemonnaie hat.

Weitere Portrait-Bilder des Autors unter www.politticker.de.

Foto: Timo Raab

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Detlef Dechant / 08.02.2020

Hier noch eine Frage: Warum sollte eigentlich Kemmerich seine Wahl nicht annehmen und warum war bei der Wahl von der Leyens alles in Ordnung? Beide verdanken doch ihre Wahl den Rechtspopulisten!

sybille eden / 08.02.2020

Liebe Frau Thomsen, das war aber nicht die SS, sondern die SA. Die SS war eine “Elite-Truppe”, und pflegte nicht auf der Strasse zu “marodieren”. Sorry.

Frank Danton / 08.02.2020

Man hatte die FDP, seit Möllemann, total aus den Augen verloren. Wenn jemand fragte: “gibt es eigentlich die Genscher Partei noch?” , dann wusste niemand so richtig eine Antwort. Aber seit letzter Woche ist sie wieder top-on-the Wahlzettel. Einen Tag lang hatte man das alte, Bonner Wasserwerk vor Augen und hörte einem Lambsdorff zu. Ein konservativ, liberales Antlitz in Mitten der zur Mangelwirtschaft und Sozialismus verdammten Restpolitiker. Einen Tag lang konnte eine freiheitlich-demokratische Partei, im Herzen Deutschlands wieder Marktwirtschaft ausstrahlen. Und kaum war der Tag rum befand man sich wieder im traurigen, grauen, hysterischen, sozialistisch-linken Denunziantentum wieder.

Silas Loy / 08.02.2020

Die FDP ist in eingeweihten Kreisen ja schon länger die “AfD für Feiglinge”, und in Erfurt wurde das gerade beweiskräftig bebildert. Passend auch die Nachrichten der FAZ: Unternehmer (z.B. Frisöre mit Filialen) stehen weiter in Treue fest zur Gurkentruppe, lediglich die paar die Wähler laufen jetzt weg, zumindest will Forsa das so ermittelt haben. Weil ja sowas von sowas kommt. Die FDP ist mit Sicherheit keine Sekte, denn selbst dafür fehlt der Hintern in der Hose. Sekten sind die SED (Ideotologen) und die Grünen (Ideotologen und Esotehystrische). Die AfD ist zwar völkisch, weil Höcke mal gesagt hat “Mia san mia” (allerdings in Hochdeutsch), aber eine Sekte ist sie nicht. Dafür ist man schon zu groß und macht sich lieber ausgiebig Sorgen um den Rechtsstaat. Das kann der FDP natürlich nicht passieren. Nicht mehr und wohl auch nie wieder.

Th.F.Brommelcamp / 08.02.2020

Es gibt 2 Arten der Demokratie. Einen wie in der Deutschen Demokratischen Republik und dann der, die die USA und GB uns nach der Diktatur der Braun Sozialisten näher bringen wollten. Nach den Wahlen sieht es seit Jahren danach aus,  das den Deutschen eine Demokratie nach DDR Art und auf alle Fälle wieder ein Sozialismus egal ob diesmal Grün, Rot, Gelb oder Dunkelrot näher liegt.

Siegfried Tanculski / 08.02.2020

Lieber Verfasser, besser hätte ich es auch nicht schreiben können. Ichhabe heute in einer Bezirkssitzung der FDP gesagt: Wenn bei der nächsten Wahl die Bürger, weil sie unzufrieden sind mit der Politik der Parteien, wozu sie allen Grund haben, AFD wählen sind sie alles Nazis. Wie bescheuert ist das eigentlich. LG Siegfried tanculski FDP Ostrhauderfehn

S. Kaufmann / 08.02.2020

An dem Tag, an dem Ramelow oder ein anderer Linker in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt werden wird, werde ich als Baden-Württembergerin aus der FDP austreten.

Markus Mertens / 08.02.2020

Realsatire . Ohne diesen Text zu kennen, habe ich heute FDP-MDB und FDP-Kandidat für die Kommunalwahl in Bayern gefragt, ob sie taktisch motivierte Stimmen “von der AfD” annehmen würden. Antwort: Auf keinen Fall. Lieber zurücktreten und dem linken Lager Positionen überlassen. Meine Ansage: “Wer der Macht von vornherein entsagt, wird sie nicht bekommen”  - Antwort: “Das ist dann besser so”  (bloß nicht von der AfD gewählt zu werden). Nun, die AfD ist nicht dafür verantwortlich, den Suizid der FDP zu verhindern, obwohl es schade ist.

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