Vera Lengsfeld / 02.04.2023 / 14:00 / 3 / Seite ausdrucken

Die schöne Apothekerin

Sechs Geschichten, die Michael Klonovsky (Foto oben) bereits vor einigen Jahren schrieb, sind nun in einem Band erschienen. Eine literarische Kostbarkeit.

Michael Klonovsky, dessen Blog Acta diurna von seinen Lesern vor allem wegen seiner geschliffenen Formulierungen geschätzt wird, hat auf seinem alten PC, bevor er ihn „in den Computer-Himmel schickte“, sechs Erzählungen entdeckt, die er gegen Ende des ersten Jahrzehnts geschrieben und dann vergessen hatte. Zum Glück sind sie wiederentdeckt und bei Manuscriptum publiziert worden, denn es handelt sich um literarische Juwelen.

Diese Feststellung ändert nichts an der Tatsache, dass diese Erzählungen wohl eher von Herren als von Damen goutiert werden (mir fiel bei der Lektüre immer wieder das so genannte Herrengedeck ein). Das hängt mit Klonovskys Frauenbild zusammen, das man auch in seinen Romanen findet. Eine Frau muss so etwas von makellos sein, dass alle, die nicht sicher sind, den perfekten Körper zu besitzen, je nach Veranlagung bei der Lektüre depressiv oder wütend werden könnten. Oder erheitert konstatieren, dass die Feministinnen, die behaupten, Männer sähen in Frauen nur Sexobjekte, keine Menschen, doch recht haben. 

Aber Klonovsky liefert auch die Kehrseite mit: Der Bankangestellte, der sich nach der himmlischen Apothekerin verzehrt und sein Verlangen so wenig im Griff hat, dass er sie stalkt, leidet gleichzeitig darunter, ihr nicht adäquat zu sein. Dieses Leiden beschreibt Klonovsky ausführlich mit viel Selbstironie. Als der Bankangestellte das Objekt seines Begehrens endlich zu einem Abendessen einladen darf, kühlt die Schöne sein Verlangen ab, indem sie ihm offenbart, dass ihre Schenkel durch Verbrühungen in der Kindheit mit einer Art Schlangenhaut bedeckt seien. Später erfährt er aus der E-Mail eines Bekannten, der die Apothekerin am Strand der Adria beobachten konnte, dass ihre Schenkel ebenso perfekt waren wie der Rest ihres Götterkörpers.

Satan hat die Wette „so was von verloren“

Merkwürdigerweise hat Simon Sebag Montefiore in „One Night in Winter“ seine ebenso perfekte Heldin Serafima mit einem ähnlichen verdeckten Schlangenhaut-Defekt ausgestattet. Sebags Roman erschien 2013, als Klonovskys Erzählung im PC schlummerte. Es muss damals etwas in der Luft gelegen haben…

In „Faustina“ geht es um eine Wette zwischen Gott und Satan, ob die mit göttlichem Aussehen gesegnete Gottes-„Knechtin“ Anna Simon, die geistig etwas einfach gestrickt ist (sic!) und an die Liebe glaubt, die im Spiel sein muss, wenn sie sich einem Mann hingibt, sich mit Reichtum verführen lässt. Die Charakterstudie des Multimilliardärs, der sich mit allen Mitteln um Anna Simon bemüht, an Ende aber nicht mehr erreicht, als einmal ihre nackten, natürlich perfekten Brüste küssen zu dürfen, ist meisterhaft. Am Ende muss der Arme zu den professionellen Liebesdienerinnen zurückkehren und Satan hat die Wette „so was von verloren“.

Gruselig und an Houellebecq erinnernd, ist die Erzählung „Wie sterben?“. Eine Handvoll Lifestyle-Yuppies sitzt wie häufig bei einem exklusiven Abendessen beisammen, als die Stimmung kippt, weil eine Teilnehmerin an den fehlenden Freund erinnert, der in seinen 40ern von einem Schlaganfall gefällt und für immer an die Intensivpflegestation gefesselt wurde. Die Runde hatte ihn in der ersten Woche nach seinem Unfall noch besucht, danach aber so gut wie vergessen. Während das köstliche Essen kalt wird, unterhalten sich die verhinderten Schlemmer, wie sie gern sterben würden. Klonovsky gelingt es mit wenigen Sätzen, das jeweilige Elend des leeren Lebens dieser überwiegend kinderlosen Gourmets vor Augen zu führen. Fast allen bescheidet er einen baldigen Tod, der sich sehr von dem unterscheidet, den sie in der Theorie bevorzugt haben. 

Talent zur Satire

In „Unordnung und frühe Freud“ zeigt sich Klonovskys Talent zur Satire. Wie ein Verleger zeitweilig durch einen Kommafehler zu der irrigen Annahme verleitet wird, eine seiner ebenso zahlreichen wie belanglosen Frauenzeitschriften hätte als einziges seiner Produkte eine Auflagenzuwachs, während alle andern an Lesern verlören, ist reines Lesevergnügen.

In „Eine Unterhaltung im Zug“ begegnet ein vierfacher Vater und zweifacher Opa zwei kinderlosen Soziologinnen. Die sind der Meinung, „Verantwortungsgemeinschaften“, die nach dem Willen der Gesellschaftstransformierer die traditionelle Familie ersetzen sollen, seien gut für Kinder, denn sie hätten dann nicht nur Mutter und Vater, sondern mehrere „Bezugspersonen“. Und führt ihnen vor, wie falsch sie liegen. Wenn viele die Verantwortung für eines haben, hat sie keiner. Kinder mit „Verantwortungspersonen“ sind einer gnadenlosen Einsamkeit ausgeliefert.

Schließlich geht es in „Um derentwillen die Sonne scheint“ um einen Tag, den ein potenzieller Selbstmörder zu seinem letzten bestimmt hat. Er wacht morgens mit der Gewissheit auf, dass es nun so weit sei. Er konnte den Schmerz über den grausamen Verlust von Frau und Sohn nicht länger ertragen. Er rasiert sich sorgfältig, zieht die Wohnungstür hinter sich zu, ohne den Schlüssel mitzunehmen und macht sich auf zu der Brücke, auf der er sein Ende finden will. Aber auf dem Weg begegnen ihm mehrere Personen: ein Obdachloser, ein ehemaliger Kommilitone, eine junge, makellos schöne, russische Musikerin, die ihn aufhalten und mit unerwarteten Erkenntnissen konfrontieren. Erst am Nachmittag kommt er auf der Brücke an. Dort sieht er einen Jungen an einer gefährlichen Stromschnelle auf einem Stein spielen, von dem er jeden Augenblick abstürzen kann. Er macht sich auf, den Jungen zu retten. Klonovsky lässt offen, ob ihn das Schicksal von Kästners „Fabian“ ereilt, oder ob er ins Leben zurückkehrt. 

Neben dem Lesevergnügen ist es ein Genuss, das schön gearbeitete dunkelblaue Bändchen in der Hand zu halten. Ich hatte Schwierigkeiten, es vor meinem noch nicht ganz einjährigen Enkel, der es zum Fressen gern hatte, in Sicherheit zu bringen. Die Manuscriptum-Qualität überzeugt schon unsere Jüngsten.

Michael Klonovsky: „Die schöne Apothekerin“, Manuscriptum 2023, 22,00 €

 

Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin.

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Gerd Koslowski / 02.04.2023

Unglaublich vielseitiger Autor , Apostel der Gedankenwelt von Nicolas Davila Gomez für den deutschsprachigen Leser,  Vertrauensmann von R. P. Sieferle, zusammen mit seiner Gemahlin begnadeter Gestalter von Vortragsveranstaltungen und und und

Markus Knust / 02.04.2023

Leider nicht als EBook erhältlich, somit hinfällig.

Dietmar Herrmann / 02.04.2023

Klonovsky ist ein Titan der deutschen Sprache, dabei aber klar im Kopf geblieben und so mutig, seinen Gedanken auch gegen die woke Propaganda Ausdruck zu verleihen. Er hätte sein Talent nutzen können , um beim Focus als sogenannte Edelfeder geschmeidig am Mainstream entlangzuhangeln, hat sich aber stattdessen mit seinem grandiosen Artikel über die häßliche alte Frau selbst aus dem Spiel genommen und das bequeme Leben an den Fleischtöpfen hingeschmissen. Die Corona-Affäre hat später eindrucksvoll gezeigt, wie selten die Charaktereigenschaft der Redlickeit verbreitet ist, gerade in einem Land, dem die Moralinsäure aus jeder Ritze tropft.

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