Vera Lengsfeld / 13.12.2022 / 11:00 / Foto: Tom Sodoge / 64 / Seite ausdrucken

Die Rückkehr der Hexenverfolgung

Künftig soll ein Hinweis genügen, um einen missliebigen Beamten feuern zu lassen, wenn es ihm nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen. Damit ist der Denunziation, die sowieso in unserer Gesellschaft schon grassiert, Tür und Tor geöffnet. 

Während meiner kurzen Zeit als Lektorin beim Jungenbuchverlag „Neues Leben“ hatte ich eine Biografie über Friedrich Spee zu bearbeiten, der als Jesuit ein Buch gegen die Hexenverfolgungen schrieb, die ganz Deutschland verheerten. Damals genügte eine Denunziation, um als Hexe inhaftiert und angeklagt zu werden. Eine Unschuldsvermutung galt nicht. Die Frau hatte ihre Unschuld zu beweisen. Das war so gut wie unmöglich, denn das erwünschte Geständnis wurde unter Folter erpresst. Hielt eine Angeklagte wider Erwarten den Tortouren stand, wurde sie in den seltensten Fällen entlassen, sondern einer „Hexenprobe“ unterworfen. Man setzte sie in einen Korb, band sie fest und warf sie ins Wasser. Kam sie frei und schwamm, war sie eine Hexe, wurde eingefangen und verbrannt. Ertrank sie, war ihre Unschuld erwiesen und sie kam zur Belohnung in den Himmel. Auf dem Höhepunkt des Hexenwahns leerten sich ganze Dörfer. 

Grundlage für die Verfolgung war der „Hexenhammer“, das Machwerk zweier Mönche, die detaillierte Anweisungen schieben, wie mit Hexen zu verfahren sei. Friedrich Spee war der Erste, der die Prozesse infrage stellte. Er verurteilte vor allem, dass eine Denunziation ausreichte, das Verfahren in Gang zu setzen. Am Ende siegte Friedrich Spee, indem es ihm gelang, das Prinzip der Unschuldsvermutung durchzusetzen. Die Unschuldsvermutung geht auf den französischen Kardinal Jean Lemoine (1250–1313) zurück. Im Jahr 1631 wurde sie im deutschsprachigen Raum mit der Formulierung in dubio pro reo („im Zweifel für den Angeklagten“) von Friedrich Spee in seiner umfangreichen Schrift  Cautio Criminalis, aufgegriffen und vertieft.

Eines unserer wichtigsten und grundlegendsten Rechtsgüter war also die konsequente Antwort auf ein tödliches Unrecht, begangen an hunderttausenden Frauen. Nun legte eine Frau, Innenministerin Faeser, die Axt an dieses Rechtsgut. Sie will im Beamtenrecht die Beweislastumkehr einführen. Künftig soll der Hinweis genügen, um einen missliebigen Beamten feuern zu lassen, wenn es ihm nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen. Damit ist der Denunziation, die sowieso in unserer Gesellschaft schon grassiert, Tür und Tor geöffnet. 

Die FDP als Mitglied der Ampelregierung schweigt nicht nur zu diesem Generalangriff auf die Meinungsfreiheit, sondern Justizminister Buschmann soll an einem Hinweisgeberschutzgesetz arbeiten, das den gesellschaftlich wertvollen „Hinweisgebern" Schutz gewährt. Sollte das so kommen, werden Denunziationen vollkommen gefahrlos sein. Der Denunziant muss nichts beweisen und ist vor Klagen geschützt.

Foto: Tom Sodoge tomsdg CC0 via Wikimedia Commons

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Lutz Herrmann / 13.12.2022

Das gibt es doch an anderen Ecken schon längst. Stichwort: Beamtenübermensch schlägt Unschuldsvermutung. “Der Angeklagte, der an dem Tag ehrenamtlich für einen Sozialdienst mit einem so gekennzeichneten Fahrzeug unterwegs gewesen ist, wurde wegen Beleidigung und Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Im Prozess stand Aussage gegen Aussage. Weitere Zeugen des Vorfalls gab es nicht.” Läuft vor Gericht fast immer so ab.

Heiko Loeber / 13.12.2022

Das ist halt so im einzuschleichenden realen Sozialismus! Letzterer hat aber auch sein Gutes - für besorgte Regierende. - Ich finde, wer für geheime Wahlen ist, also offenbar etwas zu verbergen hat, sollte ebenfalls das Gegenteil beweisen müssen! Kommt wahrscheinlich noch, auch dann sicherlich wieder ohne Aufschrei des gescheiterten qualitätsmedialen Korrektivs. Außerdem wird ja niemand gezwungen, über die Mauer zu klettern! Freundschaft!

Dr. med. Jesko Matthes / 13.12.2022

Der Beamtennachwuchs liest mit (die Verbeamteten werden ihre Pensionsbezüge nicht gefährden wollen und werden größtenteils stillhalten) und wird sich überlegen, ob es nicht auch anständige Jobs gibt im besten ‘schland, das wir je hatten, oder fern von ihm. Interessant ist die Frage, ob das Ganze auch für politische Beamte in Ministerien gilt; und wenn der Informantenschutz kommt, dann kann ein jeder das Spiel “Beamter-ärgere-dich-nicht” spielen und fröhlich rausschmeißen oder zumindest langwierige Ermittlungen auslösen. Eine Lawine an solchen Ermittlungen, Disziplinarverfahren und Klagen wird die Polizei und die Behörden lähmen, dazu die Justiz verstopfen; Verdachtsmomente werden in Personalakten landen und Karrieren behindern; und da auch in der Justiz viele verbeamtet sind, kann man natürlich auch die anschießen. Spaßig wird es bei milden Urteilen auch gegen Islamisten; man könnte ja behaupten, Richter oder Justizbeamte seien Sympathisanten, und sind die, die gegen sie ermitteln, am Ende Rechtsradikale oder Reichsbürger…? Ein beträchtlicher Teil der Anschuldigungen wird also aus den Behörden selbst kommen! Es sind vor allem die alltäglichen Folgen dieses Hexensabbats, die Deutschland noch dysfunktionaler machen und vor allem ein ständig gegen unüberwindliche Hemmnisse anarbeitendes, stromlinienförmiges, unkritisches Beamtentum zurücklassen werden, lustlos oder in Angst, gestresst, misstrauisch, zerstritten, schlimmstenfalls intrigant, ohne Engagement und Loyalität, wahrscheinlich sogar mit latentem Hass auf seinen Staat, der das zulässt und fördert. Das kennen wir aus der Spätphase der DDR; den meisten Staatsbediensteten dort war die Zukunft ihres Landes völlig wurscht, und selbst bei der Stasi hatten viele am Ende keinen Bock mehr. Dass die FDP diesen Irrsinn mitspielt? - WTF (was tut folgern)? Hat denn ernsthaft jemand etwas anderes erwartet?

Patrick Meiser / 13.12.2022

@Thomas Szabó - Sie sind dbzgl. auf der richtigen Fährte. Was da seitens dieser Faeser angedacht ist - zunächst mißliebige Staatsdiener leicht und unkompliziert entfernen zu können - ist die Vorstufe zu dem, was dann evtl. auch nachfolgend bei möglicherweise anderen Staatsschutzdelikten greifen soll. Man hat in Berlin sehr schnell gemerkt, daß das ’ System der Blockwarte ’ in Sachen Corona ganz gut funktioniert hat, und will dies weiter in der Gesellschaft etablieren. Wer sich also zukünftig mal in feucht fröhlicher Runde beim Grillen o.ä. kritisch gegenüber der Regierung äußert, bei dem kann also anderntags flugs die Staatsmacht anklopfen. Und dann gehen die Probleme so richtig los….........  Diese möglichen Konsequenzen, die da auf uns Bürger noch zukommen können, finden mithin auch ihren Ursprung in der Bereitwilligkeit und an Dummheit kaum mehr zu überbietenden Naivität der Bürger, die sich gegeneinander haben aufhetzen lassen. Tolle Aussichten !

Ralf.Michael / 13.12.2022

Da lässt sich doch sicher eine Ecke in unserem pefekten Strafrecht finden, wo man Urhebern wie Faeser auch etwas am Zeug flicken kann. Die haben Alle Dreck am Stecken und davon reichlich.

Andreas Rühl / 13.12.2022

Na ja, man muss auch nicht über jedes Stöckchen springen, dass hochgehalten wird: Im Disziplinarverfahren vor dem Verwaltungsgericht gilt, wie im Strafverfahren, der Grundsatz, dass Beweise von Amts wegen zu erheben sind. Dass eine Tatsache, die entscheidungserheblich ist, zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen muss, gilt übrigens in allen Verfahrensarten, also auch vor den Zivilgerichten beispielsweise. Im Verwaltungs- oder Strafverfahren ist der “in dubio” Grundsatz vor allem von Interesse, wenn es um entlastende Tatsachen geht, also um “Beweisanträge”, die der Angeklagte oder Betroffene selbst zu seiner Entlastung stellt. Und ich vermute, dass es darum geht (so richtig schlau werde ich aus den kryptischen Ausführungen Frau Faesers nicht). Denn es ist ganz ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber - ernstlich - etwa anordnen will, dass ein Gericht (egal, welches) aufgrund von nicht bewiesenen Behauptungen Urteile fällt, also etwa in ein Urteil schreibt: “Dem XY wird vorgeworfen, verfassungsfeindlich sich betätigt zu haben. Davon ist die Kammer zwar nach Durchführung der Beweiserhebung nicht überzeugt, aber sie verurteilt ihn trotzdem”. Das wäre in der Tat absurd und ein Dammbruch. Dann müsste man das Verfahren gegen Frau Faeser selbst einleiten. Viel wichtiger ist in dem Zusammenhang, dass man nun offenbar die Disziplinarklage abschaffen will, also letztlich dem betroffenen Beamten auferlegen will, gegen einen in der Sache ergehenden abschließenden Bescheid der das Disziplinarverfahren führenden Behörde selbst (Anfechtungs-)Klage zu erheben.  Das wäre eine ganz erhebliche Einschränkung der Rechtsverfolgung, da die Disziplinarbehörden dann zu Anklägern und Richtern in der “1. Instanz” (dem Vorverfahren) werden, was bislang gerade vermieden wird dadurch, dass der Behörde (im Wesentlichen) nur die Rolle eines “Disziplinarstaatsanwalts” zugewiesen wird.

Bettina Landmesser / 13.12.2022

Eine besondere Art der Hexenverfolgung gibt es für Long Covid-Erkrankte und vor allem MECFS-Erkrankte. Das funktioniert so: Sind die Erkrankten auf Dauer erwerbsunfähig, können aber noch hier und da 10 Minuten spazieren gehen oder mal einkaufen, dann läuft ein Gutachterverfahren wegen Rente an. Voraussetzung für die Rente ist eine Rehamaßnahme mit anschließendem Bericht. Das Problem ist, dass diese Erkrankung bei der Reha nicht besser, sondern schlechter wird, und zwar teilweise drastisch und auf Dauer schlechter. Die Erkrankten haben also die Wahl, für die Rente diese Reha zu besuchen oder auf Rente zu verzichten und als Hartz IV Empfänger zu leben. Viele Erkrankte hatten zuvor hohe Gehälter, waren erfolgreich, Rentenansprüche wären also hoch. Der Beweis der Erkrankung führt aber zu noch viel mehr Erkrankung, führt zu Pflegebedürftigkeit….sie gehen in die Reha rein, sie rollen mit dem Rollstuhl wieder heraus. Aber dafür wird dann die Rente anerkannt, wenn überhaupt. So geht Hexenverbrennung.

Wilfried Cremer / 13.12.2022

Hi, die modernen Scheiterhaufen werden nicht mit Feuer, sondern umgekehrt mit Frost betrieben, weil das Passiv des Erfrierenlassens sich bequemer für die Täter anfühlt als das Aktiv des Verbrennens.

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