Die alten weißen Männer schlagen zurück. Jedenfalls in Amerika. Dort erleben wir ein politisches Senioren-Wrestling, das scheinbar aus der Zeit gefallen ist. Jedenfalls aus europäischer Sicht, wo die Dinge etwas anders liegen: eine, wenn auch nicht mehr ganz junge Frau in Berlin; ein blutjunger Frauenschwarm männlichen Geschlechts in Wien; eine reife Frau an der Spitze der europäischen Kommission in Brüssel; ein jungdynamischer Mann mittleren Alters in Paris; ein studentisch wirkendes Polit-Paar an der Spitze der nach oben stürmenden Grünen in Deutschland – und so weiter und so fort.
Und was ist in Amerika los? Im weißen Haus sitzt ein alter weißer Mann namens Donald Trump und ist fest entschlossen, trotz seiner stolzen 73 Jahre die nächsten viereinhalb Jahre dort weiter zu machen. Drei alte weiße Männer sind bei den Demokraten am super tuesday in den Ring getreten, in der Hoffnung den Jungsiebziger aus dem Weißen Haus zu vertreiben. Einer, der 78-jährige Michael Bloomberg ist, kaum angetreten, schon zu Boden gegangen.
Das Senioren-Wrestling konzentriert sich jetzt auf den 77-jährigen Joe Biden und den – wie Bloomberg – 78-jährigen Bernie Sanders. Sollte Sanders gewinnen und den mit seinen 73 Jahren vergleichsweise jugendlichen Trump schlagen, dann wird Bernie als 79-Jähriger das Weiße Haus betreten, es möglicherweise mit 83 verlassen, bei günstigem Verlauf aber auch erst mit 87.
Für Joe Biden gilt – mit einem Jahr Abzug – geriatrisch betrachtet das gleiche. Beiden gemeinsam ist, dass es ihnen selbst bei idealem Verlauf nicht vergönnt sein wird, das 90. Lebensjahr im Weißen Haus feiern zu können.
Idol der amerikanischen Jugend
Da geht es ihnen wie seinerzeit unserem Konrad Adenauer, der auch drei Jahre vor seinem 90. Geburtstag aus dem Palais Schaumburg in Bonn ausziehen musste. Anders Fidel Castro, der den 90. Geburtstag im lebenslang ergatterten Amt schaffte, allerdings nur knapp und um den Preis, dass ihm ein gemütliches Rentnerleben versagt blieb.
Nach diesem kleinen Ausflug in das internationale Feld der hochbetagten Staatsmänner zurück zum amerikanischen Senioren-Rennen. Im Fall Bernie Sanders ist bemerkenswert, dass der Mann, der nach deutscher Sitte schon seit 13 Jahren Rentner sein könnte, das Idol der amerikanischen Jugend ist. Vor allem natürlich der linken Jugend, denn er ist ja nach eigenem Bekennen ein „demokratischer Sozialist“.
Hier haben wir es mit einer herzerwärmenden, Generationen übergreifen Liebesbeziehung zu tun. Das hat es früher auch schon gegeben, sogar bei uns: Unsere 68er haben, wie die jungen Linken Amerikas für Bernie, für lebensältere Philosophen (Adorno, Horkheimer, Marcuse) geschwärmt. Ja sogar für einen längst verstorbenen alten weißen Mann namens Karl Marx. Das Phänomen gibt es auch jenseits der Politik: Nicht selten fühlen sich junge Menschen besonders zu ihren Großeltern hingezogen, weil diese nicht so lästig und erziehungsbesessen sind wie die Eltern. Wir haben es im Fall Bernie Sanders durchaus mit einer klassischen Opa-Zuneigung zu tun.
Ein anderes Phänomen sehen wir beim anderen Opa der Demokraten. Joe Biden spricht nicht die Träume der linken Jugend an sondern hat als Mann der Mitte mehr mit der real existierenden Welt zu tun. Er wird von einer anderen Personengruppe angeschwärmt. Obwohl Biden nicht nur alt sondern auch – man möchte sagen - schneeweiß ist, läuft ihm scharenweise Schwarzamerika zu. Dieser Zulauf der Schwarzen auf den alten weißen Mann erscheint noch ungewöhnlicher als die Liebe der linken Jugend zu Opa Bernie.
Lieblingsweißer der großen schwarzen Minderheit
Allerdings ist die Zuneigung der schwarzen Amerikaner so unergründlich wie – nach alter Männerdiktion – die Seele einer Frau. Das musste Barack Obama erleben, der als erster Schwarzer das Weiße Haus eroberte. Das war keineswegs selbstverständlich, denn als er den Anlauf auf die Präsidentschaft nahm, war er vielen Schwarzen nicht schwarz genug. Sein kenianischer Vater war unbestreitbar ein Original-Afrikaner, aber seine weiße amerikanische Mutter war ihm auf der amerikanischen Farbskala keine Hilfe. Zwar haben die meisten sogenannten Schwarzen Amerikas eine mehr oder wenige kräftige europäische Beimischung. Trotzdem musste Obama kämpfen, um bei „seinen“ Leuten anerkannt zu werden. Die Liebe entbrannte erst voll, als er tatsächlich Präsidentschaftskandidat wurde. Und sie ließ nach, als Obama manchen schwarzen Blütentraum enttäuschte.
Joe Biden muss sich mit solchen Problemen nicht herumschlagen. Er gehört zum weißesten Teil Amerikas schlechthin, da gibt es keinerlei Schattierungsprobleme. Aber er gilt als frei von Rassismus, und das macht ihn mangels farblicher Alternativen zum Lieblingsweißen der großen schwarzen Minderheit.
Donald Trump hat weder die Schwarzen noch die Jungen auf seiner Seite. Ihm gehört die endlose Weite des mittleren Westens, ihm gehören trotz seiner unfrommen Art die Frommen des Bibelgürtels, und ihm gehören trotz seines echten oder auch nur geliehenen Reichtums die Arbeiter in den Industrieregionen. Sie alle, so hofft er, werden ihm im November vier weitere Jahre im Weißen Haus gewähren. Wenn er danach auszieht, wird er 78 sein, also ungefähr so alt wie seine demokratischen Konkurrenten heute. Die sind dann längst altersgemäß in Rente. Oder wollen sie es in vier Jahren noch mal versuchen? Wer weiß.
Zum Schluss noch ein kurzer Blick zurück nach Europa. In Brüssel ist gerade der politische und mediale Superstar der Saison aufgetreten und hat der mittelalten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Hölle heiß gemacht. Greta Thunberg ist 17 Jahre alt, also 61 Jahre jünger als der amerikanische Jugendschwarm Bernie Sanders. Das Verhältnis der „neuen Welt“ zum „alten Europa“ scheint auch nicht mehr das zu sein, was es mal war.