Krankheit ist, wie Freude, Liebe, Trauer oder Tod, ein Teil des menschlichen Lebens. Das sollten wir wieder anerkennen, denn sonst werden wir alles zerstören, was unsere bisherige Lebensweise ausgemacht hat.
Regelmäßige Leser der Achse wissen, dass ich eigentlich nie über meine persönliche Situation schreibe. Lassen Sie mich heute eine Ausnahme machen. Die letzten Wochen ertappen meine Frau und ich uns dabei, uns nach dem Aufstehen regelmäßig die über Nacht verkündeten neuesten Einschränkungen und Ordnungsregeln für Ungeimpfte gegenseitig vorzulesen. Nach einer ersten Phase der Empörung und der Fassungslosigkeit hat sich bei uns langsam eine Resignation angesichts der stetigen Eskalation ausgebreitet: Einzelhandel, Theater, Kino, Museen, Fitnesscenter, Restaurants, Bars, Hotels, für uns geschlossen (2G). Fahrten mit Bussen und Bahnen, Zutritt zum Arbeitsplatz: nur noch getestet, also 3G (welche Gnade). Seit den neuesten Beschlüssen sind auch wieder Restriktionen bei privaten Kontakten in Kraft, diesmal aber nur für Ungeimpfte (allen Ernstes soll man nun den Impfstatus von Freunden abfragen!). Manchmal müssen wir uns abwechselnd klar machen, dass das kein böser Traum, sondern die Wirklichkeit in Deutschland 2021 ist.
Dazu kommen private Sorgen, die durch Corona verstärkt werden. Meine Eltern in Österreich sind alt, meine Mutter dement, mein Vater, selbst schwer krank, kümmert sich um sie, aber seine Kraft lässt langsam nach. Jetzt, wo die Situation mit meinen Eltern prekärer wird, wirken sich die verordneten Corona-Restriktionen verschärft auf Handlungsmöglichkeiten aus. Meine Mutter darf, wegen des neuerlichen Lockdowns, nicht mehr in die Tagesbetreuung für Demente, was meinen Vater zusätzlich überlastet. Ich habe Angst davor, dass ich, falls mit meinem Vater etwas sein sollte, ich wegen der in Österreich angeordneten 2G Regeln nicht ins Krankenhaus und ihm keine Hilfe oder Beistand sein könnte. Es tauchen Bilder und Erzählungen von Freunden auf, die wegen der staatlich verordneten Lockdowns ihre Eltern einsam sterben lassen mussten, da ihnen der Zutritt ins Krankenhaus verweigert wurde. Geht es brutaler und unmenschlicher? Was wird noch folgen? Für uns Ungeimpfte, längst als „Sozialschädlinge“, „Tyrannen“ und „Gift“ von Medien und Politik gezeichnet, wird die Situation langsam unerträglich, aber das ist ja der Sinn der Übung. Das alles trifft uns immer mehr mit voller Wucht und ohne dass irgendjemand diesen Irrsinn stoppt oder kritisiert (von Ausnahmen abgesehen).
Ein tragendes Fundament unserer Gesellschaft war stets die Unschuldsvermutung. Dieses Prinzip gilt heute nicht mehr: jeder vollständig gesunde, aber ungeimpfte Mensch, muss nun täglich seine „Unschuld“ über einen (wenig verlässlichen) Test nachweisen. Plötzlich wird Krankheit zu etwas, woran ein anderer „schuld“ sein soll, da er als „Gefährder“ eingestuft wird, was den Ausschluss aus der Gesellschaft legitimiert. Alle unsere verbürgten Grund- und Freiheitsrechte hängen nun von einer medizinischen Intervention ab. Der Impfstatus entscheidet über den Spielraum meines Lebens, definiert meine Handlungsoptionen. Mit der Änderung des Impfstatus – der Geimpfte von heute ist der Ungeimpfte von morgen – verlieren wir quasi automatisch unsere Bürgerrechte und müssen zukünftig permanent über weitere „Boosterungen“ beweisen, dass wir den pandemischen Maßnahmen Folge leisten.
Eine Blaupause für generelle Verbote und Einschränkungen
Das Hauptproblem liegt meines Erachtens seit Beginn darin, dass kein Ende der repressiven Maßnahmen abzusehen ist und sich alle Versprechungen stets als unwahr herausstellten. In einer gemeinsamen Diskussion auf INDUBIO sprach der Philosoph Matthias Burchardt davon, dass bei Corona von einem Dauerzustand auszugehen ist, der nicht mehr beseitigt werden wird. Ich denke heute, er hat recht, denn selbst wenn Corona einmal tatsächlich beendet sein sollte, es werden neue Kontrollen und Einschränkungen der Bürger nach demselben Muster folgen. Denkbar wäre etwa ein CO2-Pass, der unsere Bewegungen, unseren Energieverbrauch und unseren Konsum – natürlich digital – überwacht und Verhaltensvorschriften generiert.
Corona ist eine Blaupause für generelle Verbote und Einschränkungen, etwa für das „Klima“, das gerettet werden muss, koste es, was es wolle. Bis es aber so weit ist, darf nun der (mediale) Mob mit staatlicher Erlaubnis hemmungslos über eine Gruppe herfallen. Die zu „Schädlingen“ Ernannten dürfen ohne Skrupel diffamiert und drangsaliert werden und das im Namen einer pervertierten Solidarität, also mit bestem Gewissen. Denn schuld an allem, an den steigenden Inzidenzen, den vollen Kliniken, an den Lockdowns, den angekündigten Triagen und den Toten ist der „Impfverweigerer“, dem man deshalb, ohne mit der Wimper zu zucken, auch den Tod wünschen kann. Oder wie der Weltärztepräsident Montgomery klarstellte: „Zuckerbrot haben wir probiert, jetzt ist Zeit für die Peitsche.“ So etwas darf heute ungestraft öffentlich gesagt werden.
Trotz aller kontrainduzierten Fakten wird das Narrativ „Wären wir alle geimpft, dann müsste die Regierung keine harten Maßnahmen mehr verordnen" weiter von Politik und Medien gepflegt, dient es doch zur Ablenkung vom eigenen Versagen. Die Uneinsichtigen sind ja selbst schuld an ihrer Lage, ihre Klagen darüber sind eine Anmaßung, die eine Opferrolle suggeriert, die ihnen nicht zusteht. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat auf ihrer Website bereits klargestellt, dass Ungeimpfte keine Unterstützung von ihrer Seite erfahren können, denn hier handle es sich nicht um einen Tatbestand der Diskriminierung, da der Zustand selbst herbeigeführt sei. Das neben dem Spiegel derzeit größte Hetzblatt Deutschlands, die Süddeutsche Zeitung, schreibt in diesem Sinne am 19. November unmissverständlich unter der Überschrift: Vierte Welle. November des Zorns:
„Droht die Spaltung der Gesellschaft, wenn man Ungeimpften ihr kindisches Recht aufs Ungeimpftsein nimmt? Quatsch. Diese Leute rauben den Vernünftigen die Freiheit – und die Regierungen haben auch noch gekuscht vor ihnen.“
Der Staat bemächtigt sich der Körper jedes Einzelnen
Als Psychologiestudent habe ich in den 80er Jahren sehr viele Bücher des französischen Sozialphilosophen Michel Foucault gelesen. Vielleicht muss man seinen Begriff der „Biopolitik“ oder der „Biomacht“ heute wieder genauer betrachten. Biopolitik meint, dass ab einer bestimmten Schwelle der menschlichen Entwicklung das Leben selbst zum Gegenstand politischer Planung und Ordnung wird. Am Genauesten wird dieser Übergang in der Neuzeit in Foucaults Klassiker Überwachen und Strafen ausgeführt. Zu Beginn sind es vor allem Geburtenkontrolle und Seuchenpolitik, die neue Formen der Herrschaft etablieren. Ab nun schreibt der Staat Gesundheitsnormen und Verhaltensweisen vor, die für jeden bindend sind. Der Staat bemächtigt sich sozusagen der Körper jedes Einzelnen und der Gattung Mensch. Fortpflanzung, Geburten- und Sterblichkeitsrate, Lebensdauer, Größe der Bevölkerung im Vergleich zu den vorhandenen Ressourcen, alle diese Dinge werden zum Gegenstand politischer Überlegungen und regulierender Kontrollen. Heute zeichnet sich im Kontext von Corona ein neuer Totalitarismus ab, der durch die Digitalisierung einen technischen Schub erhalten hat: mit Gesundheitsapps, digitalen Impfpässen und neuen Formen der Kontrolle und Überwachung. Technische Konstruktionen und Kürzel wie 3G, 2G+ oder 1G definieren unseren aktuellen Gesundheitsstatus, der in jeden Einzelnen eingeschrieben ist. Das Perfide daran ist, dass keiner mehr die Regeln durchblickt. Deshalb erscheint die allgemein verordnete Impfpflicht wie eine Art Befreiungsschlag und Auflösung eines unentwirrbaren Knotens. Der Publizist Michael Esders schreibt dazu:
„Mit 2G, 3G, 2G+ etc. wird ein Chaos kaum noch umsetzbarer und kontrollierbarer Regeln erzeugt. Die generelle #Impfpflicht erscheint dann (völlig losgelöst von medizinischen Gründen) als Erlösung: endlich wieder klare Verhältnisse. Das massenpsychologische Leitungssystem, das alle negativen Affekte und Energien, Unzufriedenheit, Ärger und Hass auf die „Impfverweigerer“ lenkt, ist fest installiert. Man mache sich nichts vor: Mit Zahlen und Argumenten wird daran nicht zu rütteln sein.“
Den letzten Satz wird wohl jeder von uns unterschreiben können, der einmal mit „Impfgläubigen“ diskutiert hat. Für letztere gibt es in der Regel keinen Zweifel, dass „die“ Wissenschaft hinter ihnen steht, es gibt einen manifesten Unwillen, sich Argumente der Gegenseite überhaupt anzuhören, eine Art Cancel Culture, die sich die Ohren zuhält, wenn bestimme Begriffe fallen. Bergamo, Bilder aus Intensivstationen, die Zahl von 100.000 Toten sind umgekehrt feste Bestandteile der Immunisierung gegen abweichende Gedanken. (Anm.: Um hier klarzustellen, ich bin weder prinzipieller Impfgegner, noch habe ich etwas dagegen, dass andere sich impfen lassen, ich möchte einfach nur mit meiner Entscheidung in Ruhe gelassen werden.)
Psychologisch erklärt sich der aufflammende Hass gegen eine Gruppe von Abweichenden vielleicht auch über eine dumpfe Ahnung, mit der Impfung eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. Gerade weil ich diesen Fehler nicht zugeben kann, muss ich meine Handlung umso vehementer verteidigen und jeden, der hier nicht mitmacht, wütend bekämpfen. Er soll dasselbe wie ich erleiden, ich bringe mein Opfer für die Gesellschaft und verhalte mich konform, während der Ungeimpfte die Aufhebung der pandemischen Notlage sabotiert. Legitimieren muss sich also stets der Kritiker, gleichzeitig will man seine Argumente aber gar nicht hören. Darin gleichen die besonders Coronagläubigen den Haltungsmedien, die alles dafür tun, erst gar keine öffentlich ausgetragenen wissenschaftlichen Kontroversen aufkommen zu lassen. So werden über Nacht vor Corona hoch dekorierte Wissenschaftler und Koryphäen wie etwa der Virologe und Nobelpreisträger Luc Montagnier, der weltbekannte Epidemiologe John Ioannidis oder Robert Malone, Virologe, Immunologe und Molekularbiologe, einer der Erfinder der mRNA-Technik, mit unzähligen anderen, bis vor Kurzem anerkannten Wissenschaftlern, zu Scharlatanen und „Schwurblern“ erklärt, nur weil sie sich kritisch zu den restriktiven Maßnahmen oder zu Impfungen mit der mNRA Technik äußern. Ihre Schuld liegt, in totalitärer Sprache, einzig und allein in der „Impfkraftzersetzung.“
Es bleibt ein Rest an Wir und die Anderen
Die staatlich angeordneten Maßnahmen haben nun praktische Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Deutschen, von denen die meisten aus guten und nachvollziehbaren Gründen eine Impfung mit einem nur bedingt zugelassenen experimentellen Impfstoff ablehnen. Das Perfide an der von Politik und Medien absichtlich erzeugten Spaltung ist, dass sie so gut funktioniert, dass man auch selbst leicht in diese Muster verfällt. Denn selbst wenn man versucht, rational an die Entwicklungen heranzugehen, es bleibt ein Rest an Wir und die Anderen. Alleine die Tatsache, dass die schweigende Mehrheit der Geimpften über die täglichen Diskriminierungen hinwegschaut, so als ob sie gar nicht mitbekommen würden, was in diesem Land gerade passiert, entfremdet einen voneinander.
Und dabei lasse ich die Masse derjenigen, die auch bereit wären, Ungeimpfte radikal aus dem gesellschaftlichen und sozialen Leben auszuschließen, noch außen vor. Sie finden in Politikern, Journalisten und Funktionären auf vielen Ebenen ständige Bestätigung für ihre Exklusionswünsche, sind doch die Ungeimpften die heimlichen Herrscher in Deutschland, indem sie alle anderen, siehe das obige Zitat aus der SZ, in Geiselhaft nehmen. Dazu wörtlich der BA-Chef Detlef Scheele: „Wenn man ins nächste Jahr gehe und eine Gruppe von etwa 20 Prozent der Menschen für eine Impfung nicht erreichbar sei, kann man nicht zulassen, dass diese Gruppe auch in 2022 sich noch mal dieses Landes bemächtigt“.
In den letzten Monaten wurden wir alle Zeugen der ständigen Propagierung einer Impfpflicht, die eigentlich von allen führenden Politikern davor explizit abgelehnt wurde (die entsprechenden Videos gehen derzeit viral). Dazu musste man die Angst und Panikmache in den Medien noch eine Stufe höher drehen und bis dato geltende Tabus, etwa die Solidargemeinschaft bei Krankheit, zumindest verbal aufkündigen. Die Bezahlung der eigenen medizinischen Behandlung im Corona-Krankheitsfall für Ungeimpfte wurde von mehreren Seiten angedacht und propagiert. Jetzt, wo keines der gegebenen Versprechen eingelöst wird – Ende der Maßnahmen, guter Schutz der Impfstoffe, keine weiteren notwendigen Impfungen, vernachlässigbare Impfnebenwirkungen – muss das eigene Versagen auf einen Schuldigen projiziert werden.
Dennoch klammere ich mich an die Hoffnung
Geblieben ist aktuell nur noch die Versicherung, dass die Impfstoffe vor einem schweren Verlauf schützen (sollen). Empirische, evidenzbasierte Studien habe ich dazu noch nicht gesehen. Es wird sich zeigen, ob hier das letzte Versprechen der Regierung, wie alle anderen zuvor, an der Wirklichkeit zerbricht. Bis dahin müssen wir aber das Schlimmste befürchten. Der zukünftige Bundeskanzler Scholz drohte jedenfalls schon unmissverständlich: „Für meine Regierung gibt es keine roten Linien mehr bei all dem, was zu tun ist.“
Eigentlich bin ich, wie der Leser sich denken kann, was die aktuellen Entwicklungen anbelangt, pessimistisch. Dennoch klammere ich mich an die Hoffnung, dass die Menschen in Deutschland und anderswo irgendwann nicht mehr bereit sein werden, ihre Existenz auf Dauer einem „Impfregime“ unterzuordnen und auf all das zu verzichten, was unser Leben lebenswert macht. Zudem, das ist hier aber nur eine Spekulation, macht mir die neue Panikmache mit dem 15. Buchstaben des griechischen Alphabets, Omikron, auch ein wenig Hoffnung. Diese Mutante scheint jetzt Delta zu verdrängen und zwar in Rekordgeschwindigkeit. Omikron ist wohl sehr ansteckend, unaufhaltbar, aber, nach allem was wir bisher wissen, im Verlauf mild, was der natürlichen Evolution eines Virus, das überleben will, entspricht. Das heißt, wir könnten die sogenannte Herdenimmunität (wenn sie nicht schon gegeben ist) erreichen, lange bevor man überhaupt einen neuen, angepassten Impfstoff für Omikron auf den Markt gebracht hat. Das ist aber, wie gesagt, nicht mehr als eine kleine Hoffnung in einer dystopischen Welt.
Eigentlich wünschen wir uns alle einfach wieder ein „normales Leben.“ Das wird aber nur gelingen, wenn wir akzeptieren, dass dieser Virus bleibt und wir damit – wie mit allen anderen Viren davor – umgehen müssen, nämlich als Teil eines allgemeinen Lebensrisikos. Krankheit ist, wie Freude, Liebe, Trauer oder Tod, ein Teil des menschlichen Lebens. Das sollten wir wieder anerkennen, denn sonst werden wir alles zerstören, was unsere bisherige Lebensweise ausgemacht hat.