Die Roma, die Sinti und ein schweres Versäumnis der Sprachverbesserer

Von Jan Henrik Holst.

Viele Menschen wollen das Z-Wort vermeiden und sprechen stattdessen von „Sinti und Roma“. Was sie nicht ahnen: Diese Pluralformen sind rein männlich! Ein krasser Fall von Sexismus.

Neulich sendete 3sat eine Dokumentation „Kultur-King Korea" über die besonders bei Jugendlichen überaus beliebte Popmusik und neue Filme aus diesem fernöstlichen Land. An sich sehr interessant – aber leider stellt sich schon nach kurzer Zeit heraus, dass in dem Werk nicht schlicht von „Koreanern“ die Rede ist, sondern es wird gedschendert, was das Zeug hält: Koreaner und Koreanerinnen oder auch Koreaner*innen müssen es anscheinend im öffentlich-unrechtlichen Fernsehen sein. (Im Einklang mit früheren Artikeln aus meiner Feder schreibe ich Anglizismen eingedeutscht, um ihre Lächerlichkeit besser zur Geltung kommen zu lassen: Dschendern.) Das Phänomen sucht uns ja auch bei anderen Volksbezeichnungen heim. So wurde uns letztes Jahr erzählt, die Italiener und Italienerinnen hätten falsch gewählt – aber hätte man nicht in einem negativ gemeinten Kontext die Frauen lieber nicht mitnennen sollen? Auf die soll doch nichts Böses zurückfallen.

Das brachte mich vor einigen Tagen auf die Frage: Was ist eigentlich mit den Sinti und Roma? Zur Erinnerung: Das sind die mit dem Z-Wort, das man nicht mehr sagen darf, und die mit dem Schnitzel und der Soße. Die Sinti sind der Plural von einem Sinto, so der Singular. Diese Formen kommen aus ihrer eigenen Sprache, die sie aus Indien mitgebracht und bis heute bewahrt haben; sie zerfällt in zahlreiche Dialekte. (Man kann sich das Verhältnis Sinto / Sinti leicht mit Kenntnissen des Italienischen merken, da – wenn auch da der Zufall etwas hineinspielt – in letzterer Sprache ebenfalls oft ein Singular auf -o und ein Plural auf -i miteinander einhergehen: spaghetto – spaghettisolo – soli.) Eine Freundin erzählte mir jedoch einmal, sie sei auf einem Konzert von Marianne Rosenberg gewesen, und was sie gar nicht gewusst, sondern erst dort erfahren habe: Die sei ja eine Sintessa. Das ist eine weibliche Form für die behandelte ethnische Zugehörigkeit.

Schwerer Fall von Sexismus aufgedeckt

Als ich mich an diese Aussage zurückerinnerte, stieg ein Verdacht in mir auf. Auch diese weibliche Form muss irgendeinen Plural haben, und dieser wird wahrscheinlich nicht Sinti sein. Das bewahrheitet sich: Er lautet anders, in einem Beispieldialekt Sintizze. Damit aber ist Sinti eine rein männliche Form! Wer sie benutzt, frevelt also genauso, als wenn er zum Beispiel nur Koreaner, Rumänen oder Ärzte sagen würde. Als nächstes überprüft man dann natürlich das Wort Roma. Und siehe da, es hat einen Singular Rom, aber beide Formen sind rein männlich, und die weiblichen Formen, in Singular und Plural, lauten anders – im Singular Romni. Der gleiche Befund wie eben!

Jeder, der die Formel „Sinti und Roma“ benutzt, macht sich also des schlimmen Sexismus schuldig. Er dschendert nicht, und das sogar ZWEIMAL! Da kann man von Glück reden, dass Frauenministerin Lisa Paus ein Internet-Portal „Meldestelle Antifeminismus“ eingerichtet hat, auf dem den Besuchern ein großer Button „Vorfall melden“ entgegenprangt.

Cora Stephan hat bereits darauf gepocht, dass sie – in ihrer Eigenschaft als Kolumnistin – dort auf jeden Fall vertreten sein möchte. Auf diesen Lisa-Paus-Seiten werden die Namen all derjenigen, die „Sinti und Roma“ verwenden, wegen Sexismus für 15 Jahre gespeichert werden müssen – und auch noch anschließend zur Sicherungsverwahrung. Das wird unumgänglich sein. Aber im Ernst: Bei diesem Portal wird alles in einen Topf geworfen, von strafrechtlich relevanten Drohungen und anderen Vergehen, für die es bereits eine Institution namens Polizei gibt, bis hin zu kritischen Internet-Artikeln, die notwendige Bestandteile einer Demokratie darstellen – gerade in einer Zeit, in der an Universitäten, in der Politik und anderswo mit Absicht Frauenbevorteilung betrieben wird.

Was tun?

Zurück zum Problem: Abhilfe könnte geschaffen werden, indem man zu Sinti und Roma weibliche Formen hinzufügt. In der Wikipedia werden dem verzweifelt Suchenden zum Glück welche angeboten: Sintezza (oder Sintizza) und Romni. Das aber macht aus einer ohnehin schon zweiteiligen Formel eine vierteilige. (Und das, wenn man die Kommata und Exemplare des Wörtchens und noch nicht einmal mitzählt. Da, wo früher ein einziges Wort ausreichte!) Zudem müsste man erst einmal über die Pluralformen zu Romni und Sintezza Informationen erhalten.

Vielleicht hilft angesichts der jetzt im Raum stehenden vierteiligen Lösung der Rest des Internets weiter. Googelt man „Roma Sinti gendern“, gelangt man auf einige Seiten, in denen tatsächlich politisch korrekt vorgegangen wird, und zwar mit Dschenderstern. Diese Seiten sind sogar ernst gemeint, und so erfährt man von der Existenz einer Sprachkuriosität Sinti*zze und Rom*nja.

Das muss man erst einmal aussprechen können, und zuvor muss man es sich merken können. Aber so, wie unter den Taliban Kinder den Koran auswendig lernen und auf diese Art sinnlose Kopfinhalte erwerben, so müssen eben in Zukunft auch die politisch Korrekten eine lange Reihe von Konstruktionen und Sonderformen memorieren – wir erleben die Gründung einer neuen Religion. 

Eines darf man jedoch anscheinend nicht tun, obwohl es naheläge: hinterfragen, ob nicht die immer weitere Steigerung in das Aufdecken von Sexismus und Rassismus einen Irrweg darstellt. Denn wenn man das hinterfragt, ist man leider selber Sexist und Rassist – etwas, was es unbedingt zu vermeiden gilt, da dies zu Schittstorms, Känßel Kaltscher und dem sozialen Aus führen kann.

Und warum kommt das jetzt erst raus?

Und warum kommt das eigentlich jetzt erst raus, dass Sinti und Roma zweimal rein maskulin ist? Sexistische Sprachskandale, anscheinend die echten Probleme unserer Zeit trotz Verarmung und Krieg, müssten doch viel schneller durch Whistleblower*innen und -außen und zivilcouragierte Mitbürger*innen und -außen erkannt werden?! Aber gerade diese verfügen oft nicht über die sprachliche Bildung, durch die man solcherlei aufdecken kann.

Und, zur Verteidigung aller: Es liegt natürlich an den für die deutsche Sprache ungewöhnlichen Pluralformen, die in Sinti und Roma vorliegen. Diese aber mussten wegen der Rassismusgefahr anscheinend sein. Da wäre es in Hinblick auf die „geschlechtergerechte“ Sprache beim Z-Wort wenigstens schnell aufgefallen, dass da ein „*innen“ angeklebt gehört – bei Wörtern auf -er merkt man's sofort. Aber mit oder ohne „*innen“ wäre da ja der Rassismus präsent, und die wahre Sprechkunst muss eine Lösung finden, die weder sexistisch noch rassistisch noch anderweitig gruppenbezogen menschenfeindlich ist. Somit wird eben den politisch Korrekten nichts anderes übrigbleiben, als eine vierteilige Formel zu finden – oder eine Schluckauf-Lösung.

Nachteile zweiteiliger Formeln

Überhaupt sind zweiteilige Formeln sehr umständlich und schaffen sprachliche Probleme. Das erste Problem ist die Bildung eines Singulars. Aus dem Geschichtsunterricht erinnert man die Kimbern und Teutonen, die in Italien einfallen und den Römern schwer zu schaffen machen. Wenn aber nun ein Einzelner von denen einem Römer eins über die Rübe zieht, wie soll dieser das verbalisieren? Ein Kimber und Teutone hat mir ..., oder: ein Kimber oder Teutone hat mir ...? Genau die entsprechende Frage stellte mir vor 25 Jahren tatsächlich mal jemand, als der Ausdruck Sinti und Roma noch relativ neu war. Er begann mit: „Herr Holst, Sie sind doch Sprachwissenschaftler, können Sie mir erklären, wie man das sagt...“ Als Beispiel benutzte er – er war rechts! – einen Brieftaschendiebstahl mit einem Einzeltäter.

Zweitens entstehen sprachliche Schwierigkeiten auch dann, wenn der Ausdruck mit einem anderen Völkernamen zusammengefügt werden muss. Es ist leicht zu formulieren, Gallier und Römer hätten Auseinandersetzungen miteinander gehabt, aber wie wäre das mit den zuvor erwähnten antiken Stämmen? Kimbern und Teutonen und Römer enthält unschönerweise zweimal und, und Kimbern, Teutonen und Römer könnte klingen, als hätten alle drei Gruppen miteinander Auseinandersetzungen, das heißt, als stünden nicht zwei der drei auf der gleichen Seite. Die dritte sprachliche Herausforderung besteht darin, dass die Reihenfolge in der Formel schwanken kann; es gibt neben Roma und Sinti auch umgekehrt – und vielleicht sogar häufiger – den Ausdruck Sinti und Roma.

Übrigens, hätten Sie's gewusst? Das Schlagerpaar Cindy und Bert ist durch die Trennung zweier früherer Paare hervorgegangen: Cindy und Roma sowie Ernie und Bert! (Hoffentlich bekomme ich für diese Aussage nicht Ärger mit den Faktencheckern.)

Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der interessanten Sprache der Roma und Sinti, dem Romani, empfiehlt sich das Buch von Yaron Matras Romani: a linguistic introduction, Cambridge University Press.

 

Jan Henrik Holst ist Sprachwissenschaftler und interessiert sich für Politik, Gesellschaft und den philosophischen Rahmen von Demokratie und Meinungsfreiheit. Er lebt in Norddeutschland und arbeitet unter anderem als Dozent für Sprachen Nordeuropas.

Foto: Александр Мацко CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Ludwig Luhmann / 17.03.2023

“Damit aber ist Sinti eine rein männliche Form! Wer sie benutzt, frevelt also genauso, als wenn er zum Beispiel nur Koreaner, Rumänen oder Ärzte sagen würde.”—- Die Gesamtheit aller Koreaner besteht also nur aus Männern.

Gerhard Schmidt / 17.03.2023

Auch die Schlagertexte “Zigeunerjunge” und “Am Abend, da spielt der Zigeuner” müssen dringend geändert werden….

Sabine Heinrich / 17.03.2023

Bei meiner Reise durch Rumänien vor 19 Jahren habe ich festgestellt, dass sich die Zigeuner stolz selbst so nennen - und dass die “Zigeunerbarone”, die in prachtvollen Villen residieren, ihre eigenen Leute auf jede nur denkbare Art ausbeuten, sie von Bildung fernhalten, ihre Mädchen in Kinderehen zwingen und durchaus Schuld daran haben, dass Zigeuner nicht nur in Rumänien ungern gesehen werden. Die “Barone” fuhren schon seinerzeit Edelkarossen, während z.B. armselige, erschreckend verwahrloste Kinder mit Greisengesichtern am Bukarester Bahnhof sich gierig die stehengelassenen Essensreste der Touristen schnappten und - verfolgt von Schimpftiraden des Gaststättenbesitzers - wegrannten. - Übrigens: Ich habe nicht den Eindruck, dass in jüngerer Zeit hier Zigeuner ähnlich drangsaliert wurden wie Corona- Impfverweigerer oder -kritiker. Aber das nur am Rande.

Rudolf George / 17.03.2023

Sprachkenntnis bzw. Sprachverständnis sind erwiesenermaßen nicht die Stärken der Genderverfechter. So ignorieren diese Gesellen hartnäckig, dass die Mehrzahl im Deutschen eingeschlechtlich ist, d.h. die Deklination unabhängig vom grammatikalischen Geschlecht der Einzahlform ist . In slawischen Sprachen ist das z.B. ganz anders.

Wilfried Cremer / 17.03.2023

Hi, es gibt auch das schöne Land Trinidad und Tobago, dessen Bewohner ebenfalls gevierteilt werden müssen.

finn waidjuk / 17.03.2023

Auf Saarländisch heißt das: e Zigeiner onn e Zigeinersch. Damit kam man jahrhundertelang bestens aus.

Thomas Hechinger / 17.03.2023

Emanuel Geibel hat das folgende von Robert Schumann vertonte Gedicht geschrieben: Zigeunerleben Im Schatten des Waldes, im Buchengezweig Da regt sich’s und raschelt und flüstert zugleich; Es flackern die Flammen, es gaukelt der Schein Um bunte Gestalten, um Laub und Gestein. Das ist der Zigeuner bewegliche Schar, Mit blitzendem Aug’ und mit wallendem Haar, Gesäugt an des Niles geheiligter Flut, Gebräunt von Hispaniens südlicher Glut. Ums lodernde Feuer in schwellendem Grün Da lagern die Männer verwildert und kühn, Da kauern die Weiber und rüsten das Mahl, Und füllen geschäftig den alten Pokal. Und Sagen und Lieder ertönen im Rund, Wie Spaniens Gärten so blühend und bunt, Und magische Sprüche für Not und Gefahr Verkündet die Alte der horchenden Schar. Schwarzäugige Mädchen beginnen den Tanz; Da sprühen die Fackeln im rötlichen Glanz, Heiß lockt die Gitarre, die Cymbel klingt, Wie wilder und wilder der Reigen sich schlingt. Dann ruhn sie ermüdet von nächtlichen Reihn; Es rauschen die Buchen in Schlummer sie ein, Und die aus der glücklichen Heimat verbannt, Sie schauen im Traume das glückliche Land. Doch wie nun im Osten der Morgen erwacht, Verlöschen die schönen Gebilde der Nacht; Es scharret das Maultier bei Tagesbeginn, Fort ziehn die Gestalten, wer sagt dir wohin?

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