Jesko Matthes / 11.11.2017 / 10:07 / Foto: Dejo / 14 / Seite ausdrucken

Die Rocky Horror Show am Hartmannswillerkopf

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron haben gestern in den Vogesen auf dem Hartmannswillerkopf eine deutsch-französische Gedenkstätte eröffnet. Der Hartmannswillerkopf ist ein Felsen in den Südvogesen, der in den Jahren 1914 und 1915 hart umkämpft war. Viermal wechselte er den militärischen Besatzer, nicht den „Besitzer“, wie Wikipedia geschichtsklitternd schreibt, denn bis 1919 gehörte der Hartmannsweilerkopf zu Deutschland, erst dann ging Elsass-Lothringen an Frankreich. Wie auch immer, die Franzosen waren 1914 als Invasoren gekommen, jedenfalls an diesen Ort, während sich die Franzosen südlich von Paris gegen die deutschen Invasoren verteidigten, ihre Soldaten auch im Taxi an die Front brachten. Wie gut, wie ungewöhnlich, wie wunderbar, dass das heute zwischen Deutschland und Frankreich keine Rolle mehr spielt. Das hat aber viel mehr mit dem Zweiten als mit dem Ersten Weltkrieg zu tun. Wie seltsam, dass niemand daran erinnert, wie Stresemann und Briand scheiterten, erst Adenauer und de Gaulle erfolgreich waren – und nicht Steinmeier und Macron, deren blasse Epigonen.

Nicht müde werden Politik und Medien dagegen, mir die tiefsinnige Bedeutung der Treffen von Staatsmännern an Kriegsschauplätzen für mein Leben und Denken nahezubringen. Diese Negativ-Folien dienen immer wieder dazu, mich zu betäuben und für Dinge zu motivieren, die ich ablehne, mich einzuschüchtern mit den Gräueln der vergangenen europäischen Kriege, mir ein Europa vorzugaukeln, das nicht längst imstande gewesen wäre und noch ist, ohne die Feindbilder von vorgestern auszukommen, ohne die Ideologien und die Vorkämpfer des Nationalismus – während das selbe Europa längst die Ideologien und die Vorkämpfer des Terrors aus dem Nahen und Mittleren Osten in Gestalt zehntausender kampferprobter junger Männer importiert hat und weiter importiert und nun mit dem importierten Terror leben muss; seine Bürger vor allem, die Herren und Damen in den gepanzerten Limousinen und mit den Polizeikordons weniger.

So sieht die Vernunft und friedensstiftende Weitsicht der Europa-Protagonisten aus, so klingt der  staatsmännische Duktus jener Medien, die auf diesen Widersinn der Gewalt bereitwillig hereinfallen, ihm willfährig das Wort reden, nicht im Stande sind, das ganze perfide Spiel zu enttarnen als das, was es ist: ein billiges, abgeschmacktes, theatralisches Ablenkungsmanöver, das mit der längst erreichten Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich nichts zu tun hat, ihre entsetzliche, mörderische Negativ-Folie als Propaganda missbraucht, aus schierer Angst, jemand könnte wirklich nicht nur ins Geschichtsbuch sondern auch in die Tageszeitung blicken und entdecken, was Ideologien tatsächlich anrichten.

Wo die Spur des Schreckens heute verläuft

Nach Madrid , London, Paris, Nizza, Brüssel, Berlin, Manchester und Barcelona muss mir niemand mit den richtigen und den verzerrten Argumenten von vor hundert Jahren kommen, um mir einzureden, ich sei das Problem. Ein Kontinent, der mich vor dem Terror von heute nicht schützt und mich mit dem Horror von gestern einschüchtert, droht nicht wegen seiner lächerlichen Nationalismen zu versagen, er hat längst wegen seines halsbrecherischeren Internationalismus versagt.

Der Hartmannswillerkopf ist ein Felsen (engl.:rock), auf dem die ängstliche, die einschüchternd rückwärtsgewandte Rocky-Horror-Show der Epigonen der Versöhnung zelebriert worden ist, in der es um einiges gehen mag, nur nicht um den inneren Frieden Europas.

Schon der Korrektheitsjubel der Betretenen wie in der FAZ entlarvt sich selbst durch seine bemitleidenswert schiefe Diktion von den „Blutsbrüdern“ als hätte man es mit einem Rührstück seligen Angedenkens zu tun, mit Karl May, als wäre Macron Winnetou und Steinmeier Old Shatterhand.

Wie wohltuend hebt sich dagegen einmal die „ZEIT“ ab! Sie analysiert das wahre Verhältnis zwischen den „Blutsbrüdern“ Steinmeier und Macron. Und liefert damit den zweiten Grund, warum man meint, mir – während ich wie Macron auf die dubiosen Ergebnisse der Jamaika-Koalitionssondierungen warten muss – zur Ablenkung mit einer Rocky-Horror-Show kommen zu müssen.

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Leserpost

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Jaco Sandberg / 11.11.2017

Der erste Weltkrieg ist längst vorbei, die Toten ruhen in Frieden. Dass die EU unfähig ist, Frieden zu garantieren, hat der Angriffskrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien eindrucksvoll belegt. Heutzutage ist die EU unfähiger denn je, Frieden in Europa zu schaffen - das beweist eine verlorene Generation in Griechenland, und die Missachtung der Souveränität der osteuropäischen Staaten.

Georg Dobler / 11.11.2017

“Steinmeier und Macron, deren blasse Epigonen”  ... ach Herrr Mathes, jetzt sind Sie aber nicht nett zu den ehrenwerten Herren. Besser kann man die Unterschiede von Männern mit Charakter und Kanten zu unseren heutigen Positionsinhabern nicht beschreiben. Blass und stromlinienförmig.

Winfried Sautter / 11.11.2017

Sehr richtig. Die Europäer haben ihre Lektion aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts längst gelernt. Aber nichts daraus für die Zukunft, die so ganz anders daher kommen wird. Der Staatsakt am Hartmannswillerkopf war eine nostalgische Farce.

Wilfried Cremer / 11.11.2017

Der Horror-Rock hat mit Felsen nichts zu tun, sondern ist etymologisch mit dt. rücken / ruckeln verwandt. Ist aber auch assoziabel: Verrückte Flucht in die Vergangenheit.

Dr. rer. nat. Konrad Klein / 11.11.2017

Man lernt nie aus: Laut Tagesschau am 10.11.2017 hat Deutschland schon im Jahr 1914 Frankreich “überfallen”. Der Selbstbezichtigungsmasochismus der Deutschen kennt wirklich keine Grenzen.

Michael Jansen / 11.11.2017

Allein schon diese ständig von Politik und Medien vorgebrachte Warnung vor dem “Rückfall in den Nationalismus” ist doch primär ein künstlich aufgebauter Popanz, der vor allem dazu dienen soll die EU in ihrer jetzigen und vor allem in der von ihren Protagonisten geplanten künftigen Form zu legitimieren. Glaubt denn allen Ernstes irgendwer, Deutschland und Frankreich würden sofort wieder übereinander herfallen, wenn die Pläne von Juncker und Macron nicht durchgestzt würden? Eine EU, die von einer von niemandem gewählten Kommission unter einem selbsternannten Präsidenten Juncker regiert würde und vor allem damit beschäftigt ist, die Bevölkerung mit immer mehr kleinlichen Verordnungen zu überziehen, die Schulden zu vergesellschaften und auch noch den letzten ungeeigneten Beitrittskandidaten zu vereinnahmen und mit dem Euro auszustatten, wäre sicherlich das Letzte, was dem europäischen Gedanken förderlich ist und die Akzeptanz für die EU in der Bevölkerung steigert. Was ist es übrigens anderes als Nationalismus, wenn Macron hofft, er könne mit deutschem Geld die Schulden Frankreichs mindern und gleichzeitig Investitionen in Frankreich fördern? Aber davon lässt sich mit solchem Theater blendend ablenken.

Werner Arning / 11.11.2017

Die Wahrheit ist doch wohl viel banaler als die Einweihungszeremonien vermuten lassen. Es geht nicht mehr um Aussöhnung, es geht um Geld. Deutsches Geld. Macron erhofft sich über den Umweg Europa, dringend benötigte finanzielle Unterstützung seitens der Bundesregierung. Ohne diese, würden seine Reformen wohl wahrscheinlich nicht ausreichen und ins Leere laufen. Nun gilt es die Deutschen schon mal einzustimmen auf die Mitfinanzierung französischer Bedürfnisse. Gern wird deshalb beidseitig auch an die deutsche Schuld für viele französische Kriegstote erinnert, ohne Vorwürfe, sondern im Geiste der Aussöhnung. Geht es auch darum einem Geist für das gemeinsame Tragen von Euroschulden, den Weg zu bereiten?

Wulfrad Schmid / 11.11.2017

Kleine Korrektur: Elsass-Lothringen “ging” nicht an Frankreich, es wurde im Rahmen eines unannehmbaren und zur Zerschlagung Deutschlands als Wirtschafts- und Politikmacht aufgesetzten Vertrages, den zu akzeptieren Deutschland gezwungen war, ebenso von den Siegermächten annektiert wie andere Gebiete. Und über die Legitimität dieser Annektierungen darf man durchaus geteilter Meinung sein. Die rund 200.000 Deutschen, die damals in Elsass-Lothringen lebten, wurden vertrieben, ihr Besitz ebenfalls annektiert. Erst nach und nach durften einige zurückkehren und galten stets als unwillkommene Außenseiter. Aus meiner Sicht ist die Annektierung von Staatsgebieten ein eklatanter Rechtsbruch - egal, ob es durch das Kaiserreich erfolgte, durch Hitlers Regime oder durch die so genannten Siergemächte. Aber, wie so oft, wird auch hier mit zweierlei Maß gemessen. Und wer, statt des Rumpflands in den Grenzen von 2017, die von Grenzen von 1914 für die rechtmäßigen Landesgrenzen Deutschlands hält, der ist garantiert ein Nazi, nicht wahr?!

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