Tausende Karnevalisten pilgern Jahr für Jahr nach Köln, ins Zentrum des Frohsinns. Was macht diese Reise aus einem Menschen? Unsere Reporterin hat sich auf den Weg gemacht.
Die Reise hat noch nicht begonnen, als mich Gerlindes Tochter zur Närrin macht, sie nimmt mich zur Seite und fragt mich leise: „Meine Mutter trägt den Gummi ihrer roten Clownsnase manchmal etwas locker, dann merkt sie nicht, das sie herunterrutscht. Am Rosenmontagsumzug soll das nicht passieren, könntest du darauf achten?“
Ich trage normalerweise keine Clownskostüme, wie soll ich einer närrischen Frau helfen, dass ihres gut sitzt? Und das im Karneval? Ich ahne, dass mich auf dem Köln-Trip zwei Fragen bedrängen werden: Was macht ein Mensch mit dieser Erfahrung? Und was macht diese Erfahrung mit diesem Menschen? Und was macht ein Mensch mit dieser Erfahrung mit Menschen ohne diese Erfahrung oder mit Menschen ohne Menschen mit dieser Erfahrung?
Wir stehen in einer Menschentraube auf dem Bahnhof, ein junger Karnevalsprinz teilt Stadtpläne und Programme aus. Ich bin aufgeregt und bringe es gerade fertig, meine Perücke aufzusetzen.
Noch ist es Zeit. Ich muss das nicht mitmachen, nur weil es alle anderen tun. Andererseits: Was ist schon schlimm daran?
In den Wochen vor der Abreise habe ich mich mit alten Aufzeichnungen von Karnevalssitzungen befasst. Es gibt so unglaublich viele Regeln in den Vereinen.
Zum ersten Mal fühle ich mich Menschen wie ihnen nicht überlegen vor, sondern schäbig; Gerlinde hat mich als Begleiterin akzeptiert, ich schulde es ihr, die Narrenmütze aufzusetzen.
Doch ich habe den Eindruck, alle schauen mich an. Die einen, weil sie merken, dass ich keine überzeugte Karnevalistin bin, die anderen, weil sie mich für besonders spaßbedürftig halten.
Was versprichst du dir von dieser Reise, Gerlinde? „Fun“, eine Empfindung, für die es nur unzureichende Übersetzungen gibt. Zu Hause hat sie es schwer, Mann und so, kein Spaß überhaupt. Wie kann man sich nur so erniedrigen, andererseits: steht mir ein Urteil darüber zu?
Mit der Zeit vor dem Fasten beginnen für alle Narren die tollen Tage, von nun an ist es geboten, Büttenreden zu halten und ihnen zuzuhören, Alkohol zu trinken, Sex zu haben.
Die meisten Narren unserer Gruppe sind im Rentenalter und haben es mit Herz, Kreislauf, Gelenken. Köln ist nicht so scheußlich wie auf Fotos, aber auch nicht so eindimensional, wie ich befürchtet hatte. Köln gehört auch mir.
Es wird immer voller. Die Masse der Karnevalisten schiebt sich über die Gassen an die Straße, wo der Rosenmontagsumzug erwartet wird.
Dieser Moment, was ist das eigentlich? Ich wollte den Umzug wie eine emotional unbeteiligte Zuschauerin am Fernseher sehen, doch die Masse macht das unmöglich. Es ist bedrohlich und mitreißend zugleich. Ich spüre meinen Herzschlag und will nicht wahrhaben, das er immer schneller wird. Hier ist er also. Der Karneval. Der Ort, der für Spaßbremsen verboten ist. Wo man einem Prinzenpaar zujubelt, obwohl es schon lange keine Monarchie mehr gibt und niemand zugeben würde, dass er sich nach ihr sehnt. Der Ort, an dem eine Affäre nur ein Tausendstel gilt. Wer arm ist oder reich, lässt sich nicht erkennen.
Gerlinde ergreift meine Hand, was mich plötzlich daran erinnert, dass ich nicht allein hier bin und dass meine Hand in einer anderen Hose war. Sie weint, als ob sie innerlich dort angekommen wäre, wohin sie ihr ganzes Leben wollte. Ich fühle mich entmachtet von einer Macht, die ich nie hatte, aber zu haben glaubte, angesichts der Bedingungslosigkeit ihrer Fröhlichkeit. Sie nimmt mich nicht wahr.
Ihre Nase ist verrutscht, aber ich denke, dass Narrentum auch unperfekt sein darf, nachdem sie auf meinen Versuch hin, ihren Nasengummi straff zu ziehen, mir eine geklebt hat.
Es wird immer enger, voller, heißer. Ich reiße mir den Mundschutz vom Gesicht, um die nächstbesten Clowns zu knutschen.
Und dann schaffen wir es. Wir fangen mit unseren umgekehrten Regenschirmen Kamelle auf. Vom Regenwasser, da uns dabei aufs Gesicht fließt, verläuft unsere Schminke, aber egal. Wir halten jetzt fest zueinander. Bin ich jetzt der willenlose Teil eines Kollektivs? Wohl nicht, denn wenn alle willenlos sind, bilden sie auch kein Kollektiv, außer natürlich, wenn das niemandem auffällt und sich keiner beschwert.
Hast du es dir so vorgestellt?, frage ich Gerlinde. „Nein, so schön nicht.“
Den Abend verbringen wir im Rausch. Die Stadt hat den Busverkehr eingestellt, ein Geruch aus Mensch und Müll hat sich über die Stadt gelegt. Das kommt aber nicht vom Karneval, das ist in Köln immer so.
Werde ich mich nach der Reise in die Frau zurückverwandeln können, die ich vorher war?
Am Ende der tollen Tage ist Gerlinde traurig. „Warum kann es nicht immer so sein?“, jammert sie die ganze Zeit.
Da fahren wir wieder hin.