Henryk M. Broder / 09.10.2019 / 12:00 / Foto: achgut.com / 119 / Seite ausdrucken

Die Regierung klärt das Volk auf

Ende Januar dieses Jahres hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit den 16 Bundesländern einen „Pakt für den Rechtsstaat“ beschlossen. Im Mai gab das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine „Kampagne“ in Auftrag, „die einer breiten Öffentlichkeit die Bedeutung unseres demokratischen Rechtsstaats stärker ins Bewusstsein rücken“ und „die Vorteile und Errungenschaften des Rechtsstaats anschaulich“ darstellen sollte. Name der Kampagne: „Wir sind Rechtsstaat“.

Es ist nicht die erste Promo-Aktion dieser Art. In Bayern sagt man seit Jahrhunderten „Mia san mia“ („Wir sind wir“). In der Musik-Szene gab es von 2000 bis 2012 eine erfolgreiche Rock-Band, die sich „Wir sind Helden“ nannte. Nach der Wahl des deutschen Kardinals Joseph Ratzinger zum Papst im Jahre 2005 titelte die BILD-Zeitung: WIR SIND PAPST!

Und jetzt das: Seit die Kampagne „Wir sind Rechtsstaat“ am 20. September bundesweit gestartet wurde, sind „wir“ auch ein „Rechtsstaat“. Was bis eben weder ein Geheimnis noch eine sinnfreie Behauptung war. Deutschland ist eine föderale Republik mit funktionierender Gewaltenteilung, freien Wahlen, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit, keine perfekte Demokratie, aber eine der besten im World Wide Web.

Der große Lümmel

Dennoch lässt die Bundesregierung jetzt die Bundesbürger wissen: „Wir sind Einigkeit und Recht und Freiheit.“ – „Wir stellen uns Fragen und suchen nach Antworten.“ – „Wir schützen vor Willkür. Und schwören auf Gerechtigkeit.“ Sind das in einem „Rechtsstaat“ nicht lauter Selbstverständlichkeiten? Ja, aber nur so lange, wie sie von der Regierung nicht beworben werden. „Wir“ reden auch nicht darüber, dass Folter und Todesstrafe abgeschafft sind und geben nicht damit an, dass Frauen wählen dürfen. Warum also klärt die Regierung das Volk über „die Vorteile und Errungenschaften des Rechtsstaats“ auf?

Weil sie anfängt, dem Volk zu misstrauen. Das Volk, laut Heinrich Heine „der große Lümmel“, verliert allmählich das Vertrauen in die Regierung. Es glaubt nicht mehr alles, was die Regierung sagt. Dass die Zuwanderung ein Gewinn und die Energiewende ein Segen ist. Deswegen muss das Volk erzogen werden. Damit es keine Fehler macht und womöglich die Falschen wählt. Das wäre nicht gut, vor allem für die Regierung.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Leserpost

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m. kowlaski / 09.10.2019

Diesmal hat uns Herr Broder ja ein paar Zeilen mehr gegönnt, das ist schön, weil man jede genießt. “Wir sind Rechtsstaat” ist tatsächlich ein bodenlose Unverschämtheit seitens dieser unappetitlichen Blase namens Elite. Wenn man sagen würde “Wir sind sauber, wir wechseln täglich die Unterwäsche” würde das auch jeder sofort erfassen. Die “da oben” meinen dass wir eben nicht ganz sauber sind, sonst würden sie uns diesen PR-Dreck, den sie von unserem Geld bezahlen, nicht zumuten. Dabei haben sie selbst diese Defizite, vor allem was Meinungsfreiheit betrifft. Aber so ist das eben der Dieb schreit “haltet den Dieb”. Wie lange müssen wir das noch ertragen? Wie kann es enden?

Robert Korn / 09.10.2019

Rechtsstaat… sind wir nicht mehr. Das Recht wird gegenüber denen, die schon länger hier leben, in Anwendung gebracht. Und vorzüglich gegenüber denen, die auf seiner Anwendung bestehen.  Im übrigen ist man da recht, wie soll ich sagen: großzügig.

Frank Stricker / 09.10.2019

Ich sag nur Zürcher Weltwoche , das neue Westfernsehen ! Wäre so ein Artikel im Süddeutschen Beobachter möglich ? Wohl kaum , eher hätte Herr Prantl unseren Henryk mit Hakennase ins Archiv verbannt……….

Steffen Rascher / 09.10.2019

In der DDR gab es auch solch einen Versuch, Sie fragen wir antworten – wir fragen Sie antworten. Das Satireblatt Eulenspiegel machte daraus: Wir fragen Sie antworten, Sie fragen nicht wir antworten trotzdem. Immer, wenn man die Demokratie passend umbaut, muss man sie erklären.

Manfred Knake / 09.10.2019

“eine föderale Republik mit funktionierender Gewaltenteilung” Fragezeichen ; “föderale Rebublik” mit alle ihren Nachteilen durchaus ja, aber “funktionierende Gewaltenteilung”? Auch ja, aber nur auf dem Papier. Auf anderem Papier kann man nachlesen, dass wir in einer Scheindemokratie leben, z.B. beim Verwaltungswissenschaftler Hans Herbert von Arnim. Zum Lesen empfohlen: “Der schöne Schein der Demokratie” oder in “Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland”, Kapitel 8: “Wandlung des Gewaltenteilungsprinzips”. Wohl bekomm´s.

Martin Landner / 09.10.2019

Ganz im Gegenteil, der Rechtsstaat wird von einer Reihe von Parteien, öffentlichen Medien, NGOs aktiv bekämpft. Und das sagen die auch ganz offen. Sie sagen, dass sie Bundeswehr, Polizei, Demokratie, Gesetze und Grenzsicherung aktiv bekämpfen wollen.

Robert Jankowski / 09.10.2019

Alter Schwede! Staat sind wir, seid Auflösung der Grenzen, schon mal nicht mehr. Und Rechts sowieso nicht, weil Nazi. Mit “Aller isch schwöre disch Gereschtigkeit” kann ich persönlich mich auch nicht identifizieren. Was also bleibt von dem hohlen Geschwafel der Regierung? Nix außer lauwarmer Luft. Ein weiterer, plumper Versuch, die Menschen auf dieses neue, moralisch saubere, gehirngewaschene Deutschland einzuschwören.

Gudrun Meyer / 09.10.2019

Soweit ich sehen kann, “muss” das Volk in allererster Linie zur stumpfwütigen Gläubigkeit an jede Regierungs- und Blockparteienlinie erzogen werden (während der Chemnitzer Desinformationsorgie durfte nicht mal der BfV-Chef das Unwort “Skepsis” aussprechen, ohne aus dem Amt zu fliegen). In zweiter Linie “müssen” wir alle uns eine explosive Mischung aus Schuld- und Größenwahn zulegen. Das reicht dann laut unseren Umerziehungsbeauftragten beim Staatsfunk aus, um nichts mehr schiefgehen zu lassen.

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