Walter Schmidt / 26.04.2007 / 00:45 / 0 / Seite ausdrucken

Die Raf und das Stockholm-Syndrom

Nahezu jeder einigermaßen aufgeklärte Bürger weiß, was das
Stockholm-Syndrom ist. Ab einem bestimmten Punkt, oft im Laufe einer
Entführung oder Geiselnahme, beginnen sich die Opfer mit den Tätern zu
solidarisieren und bilden eine Art sozialtherapeutischer Wohngemeinschaft, bei
der es teilweise sogar zu echten Verbrüderungsszenen kommt, die sogar
im Nachhinein, sprich nach Ende der gesamten Operation, noch ihre
positiven Konsequenzen haben können.

So ähnlich scheint es jetzt auch im Falle von Michael Buback und
Peter-Jürgen Boock zu sein. Zumindest drängt sich einem dieser Eindruck
nach dem heute Abend in der ARD ausgestrahlten Gespräch zwischen den
beiden o.g. Protagonisten auf.

Der eine, Peter-Jürgen Boock, der seit langem mehr oder weniger
bekannt ist für seine Abzockermentalität sowie für ein Geltungsbedürfnis,
das ihn beizeiten durch sämtliche vefügbaren Talkshows tingeln
läßt, gibt sich bevorzugt larmoyant und beklagt seine einstige Rolle als
RAF-Opfer der quasi “faschistischen” bundesdeutschen
Nachkriegsgesellschaft.

Der andere, Michael Buback, ist - wie viele Deutsche dreißig Jahre
danach - bereit, mehr oder weniger alles zu verstehen, sich voll und ganz
in die Situation der Mörder seines eigenen Vaters hineinzuversetzen
und nicht zuletzt eben diesen Mördern zu verzeihen und zu vergeben, da
er froh und glücklich ist, endlich nach fast dreißig Jahren von seinem
Gegenüber einen mutmaßlichen Mörder präsentiert zu bekommen, der
den eigenen Vater auf dem Gewissen hat, damit er als Sohn nicht mehr
weiter darüber nachdenken muß, wer der Täter war und endlich seinen
verdienten Seelenfrieden findet.

Das alles geschieht bei beiden Kontrahenten im großen und ganzen auf
eine vollkommen emotionslose Art und Weise und führt auch nicht dazu,
daß beide sich am Ende um den Hals fallen und gemeinsam beim
Bundespräsidenten eine Begnadigung des bislang als Mörder von Siegfried Buback
verdächtigten Christian Klar zu erwirken versuchen. Dennoch ist das
Bemühen, nach mehr als dreißig Jahren endlich einen Schlußstrich unter
den berühmt-berüchtigten deutschen Herbst des Jahres 1977 zu ziehen,
mehr als deutlich erkennbar.

Endlich, spät aber nicht zu spät, sind die Opfer, zumindest in Person
von Michael Buback, offenbar bereit, den einstigen Tätern, in der
Person von Peter-Jürgen Boock, zu vergeben und zu verzeihen für all das,
was diese ihnen und ihren Familien über dreißig Jahre hinweg angetan
haben, auch wenn letzterer in seiner Weinerlichkeit und nach allem, was
man von ihm weiß, natürlich vollkommen unglaubwürdig ist.

War Michael Buback noch bis vor kurzem der entschiedenen Auffassung,
Gnade ohne Reue sei schlechterdings ein Unding, so gibt er sich jetzt
sehr schnell mit dem Spatz in der Hand, statt mit der Taube auf dem Dach
zufrieden. Und Peter-Jürgen Boock lacht sich ins Fäustchen, freut sich
über den Hype, den die Medien hierzulande um seine Einlassungen im
“SPIEGEL” veranstalten sowie auf den nächsten Kontoauszug, der ihn um ein
gutes Stück reicher gemacht haben wird.

“There’s no business like RAF-Business!”

Nur in wenigen Sätzen schimmerte am heutigen Abend so etwas wie
historische Wahrheit, wenn auch eher als eine Art Freudscher Fehlleistung,
durch, nämlich als Peter-Jürgen Boock wiederholt von “Aktionen wie bei
der SS” sprach.

Da kann man nur sagen:

“Wo er recht hat, hat er recht!” oder wie mein Freund im Geiste, der
Kabarettist Wolfgang Neuss, in den Sechziger Jahren zu sagen pflegte und
heute vermutlich an die Adresse von Peter-Jürgen Boock gerichtet sagen
würde:

“Schaut in den Spiegel und erschreckt, weil ihr erkennt, wie sehr euer
eigenes Gesicht dem eures Feindes ähnelt.”

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