Erik Lommatzsch, Gastautor / 19.01.2019 / 14:00 / Foto: Freud / 10 / Seite ausdrucken

Die rätselhafte Seehofer-Satire

Als Montag noch der Tag war, an dem in Hamburg ein großes deutsches Nachrichtenmagazin erschien, beschränkte sich der „Hohlspiegel“ – eine Zusammenstellung von absurden, stilblütigen, freiwillig oder unfreiwillig komischen oder auch provokanten Texten – auf eine Spalte kurz vor dem Ende des jeweiligen Heftes. Von diesem Konzept ist man bekanntlich abgekommen und hat die Rubrik auf die gesamte Ausgabe ausgeweitet.

Besagtes Magazin ist seit einiger Zeit bereits am Sonnabend verfügbar. Falls man ein schneller Leser ist und schon am Erscheinungstag ausgelacht hat, soll man sich nicht vor einem humorfreien, trüben Wochenendrest fürchten. Die „Welt am Sonntag“ oder kurz „WamS“ (sehr hübsche Abkürzung, erinnert an onomatopoetische Meisterleistungen) versucht sich ebenfalls in einer solchen Neuausrichtung, allerdings weniger gelungen. Zu Unterhaltungszwecken wird offenbar frei Erfundenes ironisch zugespitzt und großflächig präsentiert, bekannte Amtsgesichter sollen dadurch karikiert oder gar vorgeführt werden.

Schönes Beispiel ist ein ganzseitiges „Interview“ mit einem Mann, der als „Bundesinnenminister“ kenntlich gemacht wird und gerade sein Büro als Vorsitzender einer zumindest im süddeutschen Raum noch nicht ganz unbedeutenden Partei ausräumt („WamS“ vom 13. Januar 2019, S. 7, auszugsweise und zusammenfassend hier). Der bevorstehende Parteispitzenwechsel gab Anlass, ihn – scheinbar – umfassend zu Wort kommen zu lassen.

Mitunter war und ist dieser Mann auch auf Bildschirmen zu sehen. Er spricht dort auch. Die nur noch mäßig flüssige Art, Sätze zu formulieren, erinnert daran, dass die Rente mit 65 – ein Alter, welches er bereits seit einigen Jahren überschritten hat – vielleicht nicht in jedem Fall eine schlechte Idee ist. Auch die Außenwirkung ist bei Inhabern höchster Staatsämter nicht ganz unwichtig. Vertrauen in Kompetenz, Durchsetzungskraft und so.

Sowas würde der Mann doch nie sagen

Diesem etwas steifen Eindruck setzt die „WamS“ mit ihrer nicht ganz fairen Interview-Satire (die nicht einmal als solche gekennzeichnet ist) etwas entgegen. Lustige und weniger lustige Dinge legt sie dem Gerade-noch-Parteivorsitzenden in den Mund. Zum Beispiel soll er – das ist als Zitat auch gleich in die Überschrift gehoben – gesagt haben, „Politik wird besser, wenn mehr Frauen teil haben“. Treffer. Exakt am Tag seiner geplanten Ablösung jährt sich die erstmalige Beteiligung von Frauen an Wahlen zu einem deutschen Parlament zum 100. Mal. Redaktionell allerdings nicht sonderlich geschickt von der „WamS“, weil doch etwas flach. Als erfahrener Berufspolitiker (Bundesminister in verschiedenen Ressorts, Ministerpräsident, Parteivorsitzender etc.) würde der Mann so etwas nie äußern. Er weiß natürlich, dass der zwingende Zusammenhang von „besserer Politik“ und „Geschlecht“ etwa so groß ist wie derjenige von geistiger Spannkraft und Fußpilz.

Kaum ein Vorsitzender dürfte gänzlich uneitel sein. Die „WamS“ übertreibt jedoch in ihrer Interview-Satire maßlos. Denn wer würde schon ernsthaft von sich selbst als „Schutzpatron“ seiner Partei sprechen? Sich ein „politisches Helfersyndrom“ zuschreiben? Wer kennzeichnet es als seine größte Leistung, dass es ihm gelungen sei, „die Existenz dieser einzigartigen Partei zu sichern“? Wer sagt von sich Sätze wie: „Inhaltlich habe ich diese Partei vor dem Neoliberalismus bewahrt“?

Bezogen auf die letzte Wahl in seinem Bundesland werden ihm folgende Worte zugeschrieben: „Ich habe angekündigt, dass ich nicht noch einmal den Watschenmann gebe – wie nach der Bundestagswahl.“ Spricht so ein bis vor kurzem noch regierender Landesvater? „Watschenmann“? Oder würde dieser auf die Idee kommen, die AfD sei 2018 in den dortigen Landtag nur eingezogen, „weil wir in der Flüchtlingspolitik einen Spagat hinlegen mussten“? Hätte er wirklich gesagt „mussten“? Oder würde er die Meinung vertreten, wieder mit Bezug auf die AfD, bisher habe „diese Partei politisch nichts geleistet“? Ein erfahrener Politiker wüsste natürlich, dass Oppositionsparteien die Regierung meist nicht so direkt gestalten können. Er würde nicht annähernd so viele Peinlichkeiten aussprechen. Auch die Wirklichkeit nähme er anders wahr. Niemals würde ein amtierender Bundesinnenminister Mitte Januar 2019 Aussagen treffen wie die, dass „wir jetzt zunehmend die richtige Migrationspolitik betreiben. Es wird zunehmend Ordnung geschaffen.“

Nahezu an Rufschädigung grenzt es, wenn die „WamS“ dem Mann auf die Frage, wie „die Leute“ in zehn Jahren auf „die Dekade zwischen 2015 und 2025“ zurückblicken werden, einfach die Antwort unterschiebt: „Sie werden den Zeitraum insgesamt positiv beurteilen. Das liegt auch an den Korrekturen in der Migrationspolitik, die wir seit 2015 vorgenommen haben.“ Zwar habe es „Kontrollverlust“ – hört, hört – gegeben, aber das sei vorbei. „Durch die Maßnahmen, die wir in der Asylpolitik ergriffen haben, stehen wir vor keiner Wiederholung von 2015.“

Dem Mann ist für seinen bevorstehenden Teil- und vielleicht demnächst auch den Gesamtruhestand zu wünschen, dass ihn die Medien zukünftig nicht mehr so stark zum Gegenstand ihrer – und wie im Fall der „WamS“ auch noch schlechten – Satire machen. Dafür hat er nicht jahrelang gearbeitet. Das hat er einfach nicht verdient.

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Leserpost

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Helmut Bühler / 19.01.2019

Sehr hübsch, wie der Autor Hohn und Spott über den Bettvorleger ausgießt und es sich dabei nicht nehmen lässt, dem eigentlich unbeteiligten “Spiegel” gleich noch einen mitzugeben.

Gabriele Schulze / 19.01.2019

Sehr schön herausgearbeitet! Des Ministers Sprüche sind gleichrangig mit denkwürdigen Fußballer-Zitaten wie “Mal verlieren wir, mal gewinnen die anderen”. Nur ungleich relevanter für die Polis.

Rudolf George / 19.01.2019

Wenn nach wie vor die große Mehrheit der Asylantragsteller keine gültigen Ausweispapiere vorlegen (müssen), dann ist die Behauptung, dass man Ordnung geschaffen habe, eine Beleidigung aller denkenden Bürger. Horst Seehofer erinnert an einen Scherzartikel, nämlich einen knurrenden Bettvorleger.

Frank Stricker / 19.01.2019

Im Gegensatz zu Herrn Seehofer war der Abschied von Edmund Stoiber aber ein wirkliches , satirisches Highlight. Ich könnt heute noch Tränen lachen über die Beschreibung des Transrapid vom einstigen “blonden Fallbeil”. Und wie der Gärtner fast die “Muschi” seiner Frau hingerichtet hatte , Loriot hätte es nicht besser gekonnt……..

Jens Commentz / 19.01.2019

Doch, genau das hat er verdient, und noch viel mehr!

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