Wolfgang Zoubek, Gastautor / 02.01.2020 / 13:00 / Foto: Thesupermat / 9 / Seite ausdrucken

Die rätselhafte Flucht des Carlos Ghosn

Etwas mehr als ein Jahr nach seiner spektakulären Verhaftung und einen Monat nach dem Papstbesuch in Japan ist das eingetreten, was schon seit längerem zu vermuten war. Carlos Ghosn ist es gelungen, sich in den Libanon abzusetzen.

Am 19. November 2018 wurde er unter dem Vorwurf verhaftet, sein Managergehalt wäre zu niedrig deklariert worden, tatsächlich soll es doppelt so hoch gewesen sein. Um die Öffentlichkeit zu täuschen, hätte man ihm außer der offiziell kolportierten Summe weitere Zahlungen zugesagt, die nach seinem Ausscheiden bei Nissan zusätzlich zur Abfindung fällig werden sollten.

Im Libanon angekommen behauptet Ghosn, er wäre nicht vor dem Gerichtsverfahren geflohen, sondern vor politischer Verfolgung und einem Justizsystem, von dem er keine Gerechtigkeit erwarten könnte. Er beschuldigte Japan, dass er dort in Geiselhaft gehalten worden wäre und man seine Menschenrechte nicht gewahrt hätte.

Ghosn war vor mehr als einem halben Jahr unter „strengen Auflagen“ aus der Untersuchungshaft entlassen worden und wohnte seitdem in einem Appartement in Tokyo. Außerdem hatte er eine Kaution von über 10 Millionen Euro für seine Freilassung hinterlegen müssen. Wenn es ihm nun wert war, auf diese Summe zu verzichten, lässt sich ermessen, um welche Summen er Nissan erleichtert haben muss. Es knüpfen sich aber Fragen daran, wie es ihm gelingen konnte, nicht nur unbemerkt sein Appartement, sondern auch noch das Land zu verlassen. 

Laut Medienberichten soll er mit einem Privatflugzeug unter falschem Namen nach Beirut ausgereist sein. Allerdings ist Japan ein Inselstaat, bei dem an Flughäfen alle Ein- und Ausreisen relativ leicht zu überwachen sind. Ghosn war es ausdrücklich verboten worden, sich ins Ausland zu begeben. Wenn es ihm nun trotzdem gelang, beschleicht einen der Verdacht, dass in seinem Fall die Sicherheitsbehörden bewusst wegsahen. Denn in Japan, wo es Überwachungskameras beinahe an jeder Ecke gibt, und Ghosn eine der prominentesten öffentlichen Personen war, kann er nicht einfach so verschwinden, ohne dass es jemandem auffällt.

Die japanische Regierung forderte Ghosn zwar umgehend auf, zurückzukommen und sich dem Gerichtsverfahren zu stellen, doch wenn man einen Angeklagten wie Ghosn einmal in seine Heimat entkommen lässt, dann sind die Chancen gering, seiner noch einmal habhaft zu werden. Offenbar sind der Regierung die diplomatischen Konflikte mit all den Ländern, deren Staatsbürgerschaften Ghosn besaß, Libanon, Brasilien und Frankreich zu heiß geworden. Allem Anschein nach hatte sich am Ende auch noch der Vatikan eingemischt, denn das Agieren des Papstes bei seinem Besuch in Japan war zu auffällig, als das man das alles für Zufall hätte halten können. Ghosn wurde von den japanischen Behörden schließlich fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Man hätte sich allerdings den ganzen Wirbel sparen können, wenn man Ghosn schon vor einem Jahr einen Wink gegeben hätte, nicht mehr nach Japan zurückzukehren. Damals wartete man bewusst einen Aufenthalt Ghosns im Libanon ab, um ihn bei seiner Wiedereinreise am Flughafen Haneda medienwirksam zu verhaften. 

Bevorstehender Medienkrieg

Ghosn hatte sich von Anfang an damit zu rechtfertigen versucht, dass er sich nichts Rechtwidriges hätte zuschulden kommen lassen, sondern dass er bei Nissan Opfer einer Intrige wurde. Es wird ihm nun leicht gemacht, aus dem Ausland diese Verteidigungslinie fortzusetzen, denn zu einem juristischen Verfahren wird es nun nicht mehr kommen. Im nun bevorstehenden Medienkrieg wird Ghosn nun groß auftrumpfen und Nissan wahrscheinlich den größten Imageschaden davontragen.

Das japanische Justizsystem wurde im Zusammenhang mit dem Fall Ghosn von verschiedener Seite angegriffen. Es wurde vor allem vom Ausland aus behauptet, es wäre veraltet, die Staatsanwaltschaft zu mächtig, und den Angeklagten würden zu wenige Rechte eingeräumt. Man muss Jurist sein, um all das beurteilen zu können.

Fest steht allerdings, dass bei Urteilen in Japan das Strafmaß bei Delikten, die in Europa sehr viel milder bestraft werden, oft drakonisch ausfällt. In dem Sinne tat Ghosn wohl gut daran, sich den Fängen der japanischen Justiz zu entziehen. Die ganze Affäre hat aber nun einen bitteren Beigeschmack bekommen. Offenbar sind in Japan nun auch wie in Europa nur noch Teile der Bevölkerung von der vollen Härte der Gesetze betroffen, während manchen Anderen sehr viel Nachsicht entgegengebracht wird. 

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Leserpost

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Jochen Becker / 02.01.2020

Das sind die ersten Anzeichen für den aufkommenden Neo-Feudalismus der globalen Gesellschaft. Die Aristokratie muß den Rechtsstaat nicht fürchten und sorgt mit diversen Staatsbürgerschaften und Wohnsitzen vor.

Helmut Lambert / 02.01.2020

In der NZZ ist im Zusammenhang mit diesem Fall ein Bericht über das japanische Justizsystem. Skandalös wie dort die Standards der Menschenrechtscharta negiert werden. Beschränkte Inhaftierung bis zur Ausstellung eines Haftbefehls, anwaltlicher Beistand, Anklagen unter immer neuen Vorwüfen, Dauer von Verhören… Das sind keine Gesichtspunkte zu deren Beurteilung man Jurist sein müsste.

Andreas Rochow / 02.01.2020

@ Volker Kleinophorst - Oligarchen können sich ALLES kaufen, Sind sie links und zudem antidemokratisch, haben sie sogar Aussicht auf üppige Geschenke. Sie kaufen auch Wähler und ganze “NGO”-Netzwerke, die von UNO-Globalisten unermüdlich gesponnen werden. Die interkontinentale Flucht und die Staatsbürgerschaft zählen zu den Fingerübungen.

Andreas Rochow / 02.01.2020

Das ist spannend! In EU-ropa sind doch übernationale EU-Gerichte mit befremdlichen Kompetenzanmaßungen in Betrieb genommen worden. Es heißt, die Besten der Besten sprächen dort recht und die angehängte Bürokratie sei konkurrenzlos. Im Fall Ghosn sollte unverzüglich die Zuständigkeit eines EU-Gerichtes geprüft werden. Nie und nimmer darf man das der altmodischen japanischen Gerichtbarkeit überlassen! Zumal Haft u.U. mit Freiheitsberaubung verbunden ist und Kaution zu Armut und Elend führen kann. - Rhetorische Frage (Ich weiß: Beichtgeheimnis!): Hat Ghosn etwa gebeichtet und sich den Ablass ordentlich was kosten lassen? Dann gehört er auf freien Fuß! Seine Oligarchenkollegen werden ihm ein herzliches Willkommen bereiten.

Gunnar Holler / 02.01.2020

Die eigentliche Ursache des Konflikts scheint mir zu sein, daß gewisse Kreise in Japan die von Ghosn angestrebte Fusion von Renault und Nissan hintertreiben wollen, da Renault mit dem 40%-Anteil an Nissan natürlich der führende Part gewesen wäre. Faire Geschäftspraktiken in Asien sollte man nicht erwarten; und niemals dem Lächeln vertrauen.

Rolf Menzen / 02.01.2020

Ohne Ghosn wäre Nissan schon lange Pleite gewesen. Ich vermute hinter den Anschuldigungen gegen ihn auch andere Gründe, zB dass er Nissan noch näher mit Renault verflechten wollte.

Paul Siemons / 02.01.2020

@ Volker Kleinophorst: das beantwortet man Ihnen gerne in jeder beliebigen Shisha Bar.

Thomas Weidner / 02.01.2020

Alles Schmierentheater…, um sich weitere Peinlichkeiten zu ersparen… Im asiatischen Raum ist doch das Wichtigste “sein Gesicht zu wahren”.... Und je höher die Stellung, um so wichtiger wird das…

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