Was dabei herauskommt, wenn deutsche Politiker des aktuell hergestellten Formats nur durch „Nachdenken“ zu Entscheidungen kommen, hat die Bundeskanzlerin mit dem 2010 verkündeten beschleunigten Atomausstieg gezeigt. Nicht, dass sie heute noch häufig darauf angesprochen würde, Vorwürfe verhallen ohnehin ungehört. Aber die Politik hat aus Richtungsentscheidungen dieser Art gelernt, dass es selten gut ausgeht, wenn man persönlich für einen möglichen Misserfolg verantwortlich gemacht werden kann. Dieser „Moment der Wahrheit“ steht uns beim Atomausstieg noch bevor. Seit Merkels einsamer Entscheidung bezüglich der Atomenergie geht die Politik jedoch anders vor – und erzeugt durch ihre wissenschaftlich begründeten Entscheidungen nicht weniger fragwürdige Zustände. Die zurate gezogene und als Stichwortgeber verwendete Wissenschaft ist auswechselbar, die Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik stehen hingegen fest.
„Manche Politiker sterben auf Barrikaden, auf denen sie gar nicht gestanden haben“, sagte etwa François Mitterrand.
Der heilige Konsens von Mehrheitshausen
Der Ablauf der Zusammenarbeit gleicht sich in allen Fällen. Die Politik identifiziert ein Problemfeld, das zu beackern lohnenswert erscheint. Im Idealfall gibt es sogar eine gut aufgestellte Lobby oder Wissenschaftsdisziplin, die bei der Erkennung des Problems in ihrem Sinn gern behilflich ist. Durch rasches Zusammenzählen der wissenschaftlichen Schäfchen simuliert die Politik einen demokratischen Prozess – denn demokratisch muss es zugehen, damit die Politik keine Rechtfertigungsprobleme bekommt. Sollte es keine Störungen von außen geben, welche wie in einem Putsch die Aufmerksamkeit von einem Problem auf ein anderes lenkt (C‑19-Situation), kann die Politik mit dieser Mehrheit in Symbiose leben. Zuwendungen sorgen dafür, dass die präferierte Mehrheit innerhalb der Wissenschaft wächst und vor Kritik geschützt wird. Diese sorgt im Gegenzug für die fachliche Unterfütterung der politischen Entscheidungen und verteilt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien somit auf Fachleute, die nicht verantwortlich sind. Wenn's schief geht, kann der eine sagen, er hätte nichts veranlasst und der andere, er wäre einem fachlichen Rat gefolgt.
Leider fehlt der Anwendung vermeintlich guter demokratischer Prinzipien auf die Wissenschaft ein Korrektiv: Wahlen. Im Gegensatz zu politischen Strukturen, die in der Demokratie zumindest noch regelmäßig infrage stehen, führt ein immer breiter werdender Konsens über die Interpretation von „richtig“ und „falsch“ zur Diktatur der Mehrheit über die Minderheit. Im Jahr 1931 versuchten „100 Autoren gegen Einstein“, eine solche „Mehrheitsmeinung“ durchzusetzen, was Einstein sinngemäß zu folgender Aussage veranlasst haben soll: „Gleich 100? Wenn sie recht hätten, würde doch einer genügen.“ Wie dieser Streit ausging, ist bekannt. Die Zahl der Gegner ist – anders als in der Politik – eben kein Kriterium, das über Sieg oder Niederlage entscheidet. Mehrheiten und Konsens sind keine Kategorien, mit denen man wissenschaftliche Erkenntnis messen oder gar erzwingen kann. Der permanente Ideenwettstreit in allen frei ausgeübten Wissenschaften ist jedoch kein Boden, auf dem Politik gedeiht. Diese sucht ja Antworten, nicht nach Fragen.
Wenn die Wissenschaft im Gleichschritt mitmarschiert
Die ungesunde Symbiose von Politik und Wissenschaft hat in der Vergangenheit einige zweifelhafte – aber als alternativlos geltende – Theorien hervorgebracht, die auch gänzlich anders hätten aussehen können, hätte man zugelassen, sie weiter infrage zu stellen. Doch weil eine politische Idee von „Gestaltung“ und eine wissenschaftliche Theorie gut zueinander passten, kam die Symbiose zustande. So passte die Geschlechterforschung von Judith Butler besser zur aktivistischen Idee, hinter jedem Baum lauere eine unerkannte Unterdrückung, als etwa die Vorstellung von Kathleen Stock, die Geschlechtsidentität für eine philosophisch leere Idee hält.
Die Beispiele, wie sich politische Idee und wissenschaftliche Theorie perfekt ergänzen, sind zahlreich und reichen von der Klimaforschung bis zur Medizin. Nach dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das der dankbaren Politik für das komplexe Phänomen Klimavariabilität einen Schuldigen (CO2) und einfache Lösungen (sofortige Dekarbonisierung der Wirtschaft) anbot, herrscht nach dem C‑19-Putsch momentan das Robert-Koch-Institut über Land und Diskurs. So sinnvoll diese Expertisen natürlich auch sein können, die Art und Weise, wie gerade Deutschland ihnen immer wieder folgt, ist so symptomatisch für Politikversagen wie Husten und Fieber für Covid-19. Abweichende Meinungen fanden und finden kein Gehör oder werden sogar aktiv diskreditiert und für schädlich erklärt. Auch hier werden die Geschütze, welche die Politik abfeuert, bereitwillig von dem Teil der Wissenschaft geladen, der im Gleichschritt mit ihr marschiert.
Ausblick in die Post-Corona-Ära
Die Hoffnung, all die aktivistischen Schnitzereien an Meinungsfreiheit, Feinstaub, Klima, Energieversorgung und politischer Gleichschaltung würden bald ein Ende finden, weil sie gerade von der Realität überrannt und falsifiziert werden oder weil für derlei Schnickschnack künftig schlicht kein Geld mehr da sei, wird enttäuscht werden. Der eine oder andere Leser mag zur Fortführung seines Geschäfts auf einen privatrechtlichen Bankkredit angewiesen sein, den er natürlich umso schwieriger erhalten wird, je schlechter es seiner Firma aufgrund der wirtschaftlichen Vollbremsung geht. Doch wie wir von Hohlköpfen jeglicher politischer Färbung immer wieder lernen, sind die Gesetze der Wirtschaft gerade außer Kraft gesetzt. Ganz so, als wäre die „Wahl” zwischen „Wirtschaft und Menschenleben” nicht genauso irre wie die zwischen ein- und ausatmen. Für Polit-Schnitzer aller Art galten die Regeln des freien Wirtschaftens jedoch noch nie, wieso sollten ihre Ideen also Schaden nehmen, wenn die Wirtschaft am Boden liegt?
Die deutsche Umwelthilfe, das PIK oder die Trommler der Energiewende sitzen jedenfalls viel näher am Honigtopf mit der Aufschrift „Steuerknete“ und müssen bei Banken keine Klinken putzen. Außerdem ist die Versuchung für Klima- und andere Aktivisten, sich an die aktuelle Krise heranzuwanzen und zu versuchen, dem Wahnsinn positive Nebeneffekte abzutrotzen, einfach zu groß. Beim mdr lernten wir, was das böse Virus mit CO2 gemeinsam hat.
Die Grünen brachten den Vorschlag, angesichts des sinkenden Stromverbrauchs die Abschaltung der restlichen Atomkraftwerke noch vor das Ende der Corona-Krise vorzuziehen und Luisa Langstrecke stellte solidarisches Fieber bei Erde und Menschheit fest und propagiert Krisen-Kooperation. Das alles wird wieder Fahrt aufnehmen, sobald die mediale Aufmerksamkeit vom täglichen Wahnsinn und tatsächlichen Problemen weg und wieder in die Zukunft gerichtet ist.
Die von den Aktivisten benötigten Prozesse sind virtueller Natur und nicht auf Lieferketten angewiesen. Noch bevor sich das Wirtschaftsleben normalisieren kann, wird der Aktivismus zurückkehren, der gegen die Wirtschaft protestiert. Auch die für NGOs nötigen Fördermittel fließen ja direkt aus den Haushalten von Ministerien und EU, eine Bank braucht man höchstens noch, um das ausgeschenkte Geld verfügbar zu machen. Noch. Denn wozu braucht man überhaupt noch private Banken und Sparkassen, wenn man sein Girokonto auch bei der Bundesbank oder gleich bei der EZB haben könnte? Was für eine Wirtschaft stabilisiert der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF)?
Weg zu Staatswirtschaft und Sozialismus
Während die Menschen verängstigt zu Hause sitzen, sich in der Öffentlichkeit misstrauisch mit einer Hustenlänge Abstand umschleichen und sich statt über Wetter und Sport über die Details dessen informieren, was sie morgen noch oder schon wieder oder nicht mehr dürfen, schlägt unser Bundestag die Grenzpfosten für ein staatlich kontrolliertes Post-Corona-Wirtschaftssystem ein. Der Widerstand aller Oppositionsparteien gegen das Gesetz war schwach und ging ohnehin in den Lautsprecherdurchsagen der Krisenstäbe und der Frage unter, ob das RKI nun aktuell Masken empfiehlt, oder gerade nicht.
Gerade mal eine Woche brauchte es, das Gesetz zum WSF in drei Lesungen durch den Bundestag zu peitschen. Seit die Reihen dort wegen Corona dünner besetzt sind, scheint auch die Durchlässigkeit für Regierungsvorhaben zugenommen zu haben. Es ist allerdings nicht die Aufgabe des Bundestages, es der Regierung möglichst leicht zu machen. Und während die Demokraten in den USA es nicht schafften, den „Green New Deal” sozusagen als Anhängsel zum Corona-Rettungspaket gleich mit durch Kongress und Senat zu drücken, stellen unsere Bundestagsabgeordneten eine weitere Weiche auf dem Weg zu Staatswirtschaft und Sozialismus.
Beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie heißt es zum neuen Wirtschaftsförderungsgesetz lapidar: „Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einem Umfang von 600 Milliarden Euro bietet Unternehmen und Start-Ups bei Vorliegen der allgemeinen Antragsvoraussetzungen Unterstützung durch Garantien und Eigenkapitalhilfen, um die Krise erfolgreich zu bewältigen.“
Liest man jedoch, was Richard Mitterhuber und Thomas Mühl für das juristische Online-Magazin LTO dazu schreiben oder konsultiert den Gesetzestext, kommen dem aufmerksamen Leser erhebliche Bedenken bezüglich des Zwecks dieses Gesetzes. Ich jedenfalls hätte da ein paar Fragen (Zitate aus LTO):
„Im Fokus stehen Unternehmen, deren Bestandsgefährdung erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft, die technologische Souveränität, Versorgungssicherheit, kritische Infrastrukturen oder den Arbeitsmarkt hätte.“
Wer legt fest, was „erhebliche“ Auswirkungen sind? Wie definiert man „technologische Souveränität”, und hat nicht jeder verlorene Arbeitsplatz Einfluss auf den Arbeitsmarkt?
„…müssen solche [unterstützten oder mit staatlicher Beteiligung verzierten] Unternehmen in den letzten beiden Geschäftsjahren vor dem 1. Januar 2020 eine Bilanzsumme von mehr als 43 Millionen Euro und einen Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro ausgewiesen sowie durchschnittlich mehr als 249 Arbeitnehmer beschäftigt haben.“
Sind diese Zahlen durch Kaffeesatzlesen oder Vogelflug ermittelt worden? Auf welche Zeiträume bezieht sich das „durchschnittlich“?
Garantie, Beteiligung, Gegenleistung
„Die geplanten Stabilisierungsmaßnahmen sollen zu angemessenen Gegenleistungen erfolgen und sind als ultima ratio gedacht.“
Was sind „angemessene Gegenleistungen“? Wer definiert, ob und wann eine Gegenleistung angemessen ist? Angemessen für wen?
„Hilfe soll nur dorthin fließen, wo sie tatsächlich auch Erfolg verspricht.“
Auch hier nichts als schamlose Wissensanmaßung! „Tatsächlich Erfolg“ ist schließlich ein Kriterium, das sich erst im Nachhinein erweisen kann. Will der Staat nun per Verwaltungsverordnung beurteilen, ob ein Unternehmen Erfolg haben kann? Könnte sich der „gemessene“ Erfolg vielleicht durch politisches Wohlverhalten, Verpflichtungserklärungen, Spenden an die „Richtigen“, Kündigung der „Falschen” oder „Gegenleistungen“ anderer Art vorab einstellen?
„Zu den Ermessenskriterien zählen unter anderem die Bedeutung des Unternehmens für die Wirtschaft Deutschlands, die Dringlichkeit, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Wettbewerb sowie der Grundsatz des sparsamsten und wirtschaftlichen Einsatzes der Fondsmittel. Näheres kann in einer Rechtsverordnung geregelt werden, zum Beispiel welche Obergrenzen, Gegenleistungen und sonstige Bedingungen es für Garantien und Rekapitalisierungen geben soll und zu welchen Bedingungen die Beteiligungen veräußert werden.“
Das Richtige tun, anstatt Gewinne machen
Bei der Festlegung der „Ermessenskriterien“ kommen unsere ungeduldig mit den Füßen scharrenden Aktivisten von weiter oben sicher gern wieder ins Spiel. Denn schließlich waren sie es ja auch schon vor der Krise, die festzulegen sich erdreisteten, was in und für Deutschland dringend, richtig, CO2-arm, grenzwertüberschreitend und generell opportun ist. Es liegt künftig wohl im Ermessen des Staates und der von ihm beauftragen „Experten”, zu entscheiden, was Unternehmen wie, wann und wo tun oder lassen, sobald sie sich in ihrer Not unter den Rettungsschirm namens WSF begeben haben.
(Nur zur Erinnerung: An der Commerzbank ist der Bund seit 2009 zu 25 Prozent beteiligt, was zwar das Überleben des Hauses sicherstellte, jedoch nicht seinen Erfolg. Auch hier steht die große Abschreibung wohl noch aus.)
Unternehmen, die dies nicht tun, geraten auch unter Druck, denn während die „Geretteten“ zunächst mit voller Hose stinken können, müssen sie sich selbst wieder auf die Beine helfen, was zu weiteren Verzerrungen der Märkte führen muss. Staatliche Stellen werden darüber bestimmen, was benötigt wird, und nachdem die Expertise des Robert-Koch-Instituts abgeklungen ist, werden andere Wissenschaftler entscheiden, was das „Richtige” sein wird. Windräder vielleicht oder Bio-Kartoffeln oder Elektro-Autos mit Kartoffelantrieb. Gewinne machen, ist dann vielleicht nicht mehr wichtig, solange man nur das Richtige tun. Die staatliche Planungskommission wird schon wissen, was uns frommt, und wer hätte nach der überstandenen Corona-Krise denn noch etwas gegen den Sozialismus einzuwenden! Saskia Esken verwendet den Begriff schließlich schon länger positiv und ihre SPD (Regierungspartei) ist neuerdings wieder im Aufwind – was soll da schon schief gehen!
Die spannende Frage, welcher Wissenschaft wir nach der Krise wohl diesmal alle folgen müssen, ist meiner Meinung nach beantwortet. Nachdem wir schon den Genderforschern, Migrationsexperten, Windanbetern, CO2-Sehern und zuletzt den Virologen hinterhergelaufen sind, werden es diesmal die Wirtschaftswissenschaftler sein. Doch ich fürchte, es werden schon wieder die sein, die durch Konsens die größte Gruppe bilden.
Das Fazit, nur im Konjunktiv zu ertragen
Es könnte sein, dass die meisten Banken in Bedeutungslosigkeit verschwinden oder in der EZB aufgehen, schließlich sind Finanzinstitute vom WSF-Rettungsschirm ausgenommen. Möglicherweise erleben wir nicht nur staatliche Beteiligungen an Firmen und in der Folge politische Einflussnahme auf die Wirtschaft in nie dagewesener Dimension, sondern durch den Wegfall vieler Banken auch direkte Kreditvergaben durch Staat und EZB, die ebenfalls an „Gegenleistungen“ gebunden werden können. Ein täglich zu erneuernder Treueschwur auf EU-Kommission und EZB wäre sicher nicht zu viel verlangt.
Die EZB könnte versuchen, sich als „die bessere Bank“ darzustellen und die Geldschleusen noch weiter öffnen. Wie wäre es gleich mit einem BGE, wie die Grüne Jugend es fordert? Eine Flut von Geld würde sich über eine unter staatlichem Kommando stehende Wirtschaft ergießen, welche wegen ihrer mittlerweile behördengleichen Starre und mangels Wissens gar nicht schnell genug reagieren könnte, um dem Geld ein Angebot aus Waren und Dienstleistungen gegenüber zu stellen. Es flösse dann ab ins Ausland, zumindest so lange, wie man dort glaubt, es sei noch etwas wert.
Und am Ende würde man die Fehlentscheidungen, die Regulierungen, das Gegensteuern und die ganze permanente Retterei wieder mal dem Kapitalismus in die Schuhe schieben, selbst wenn der sich längst zwischen eine Hand voll Buchdeckel zurückgezogen hat, die kaum noch jemand aufschlägt, weil die meisten den simplen sozialistischen Losungen auf Spruchbändern hinterherlaufen.
Doch dann wird der Konsens längst weitergezogen sein, und die Politik wird wieder anderen Experten folgen. Vielleicht werden es dann Zauberer, Astrologen und Wunderheiler sein.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.