„Strenzwertige“ Charaktere muss der Europarat als älteste politische Organisation Europas im Bereich Menschenrechte nun wirklich nicht ertragen. (Der Europarat ist zu unterscheiden vom Europäischen Rat sowie vom Rat der Europäischen Union. Infos zu den Organen des Europarats hier). Es ist daher nur konsequent, wenn Abgeordneten wegen Korruptionsverdacht lebenslanges Hausverbot im Straßburger Europapalast erteilt wird. Auch wenn die Institution mit weiteren Affären wie Fälschungen von Unterschriften konfrontiert ist, sollte ihre Arbeit, auf die sich die EU bei der Erstellung von Rechtsinstrumenten schon mal stützt, aber nicht pauschal unterschätzt werden.
Bemerkenswert sind zum Beispiel dort geäußerte Statements zur Migrationspolitik. Laut Unterrichtung über die „Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates“ im Januar 2017 etwa hält der Berichterstatter des Ausschusses für Migration, Ian Liddell-Grainger (Vereinigtes Königreich, European Conservatives), den Umgang mit der Flüchtlingskrise für ein kollektives europäisches Versagen. Die Migrationspolitik solle man, auch im Hinblick auf „die bedrohte Integrität europäischer Gesellschaften“, überdenken:
„Für einen effektiven Grenzschutz forderte er die zügige Umsetzung des Vorschlags der EU-Kommission zur Schaffung einer ‚European Border and Coast Guard Agency‘ (EBCG) mit mehr Befugnissen im Vergleich zur Frontex-Agentur. Die EBCG solle über einen ‚Eileinsatz-Pool‘ aus 1.500 von den Mitgliedstaaten bereitgestellten Grenzschützern verfügen und eine führende Rolle bei der Rückführung abgelehnter Asylsuchender oder irregulärer Migranten in ihre Herkunftsländer übernehmen. Migrationszentren in sicheren Drittstaaten sollen Hilfs-bedürftige identifizieren und Asylverfahren außerhalb der Grenzen Europas durchführen.“
Der Entwurf war freilich im Plenum umstritten. Doch das, was Liddell-Grainger schon vor eineinhalb Jahren sagte, könnte zukünftig im Vordergrund der Debatte stehen. Aktuell meint bereits Frontex-Chef Fabrice Leggeri nach der Einigung über eine verschärfte Asylpolitik beim EU-Gipfel:
„Ich halte es für besonders wichtig, dass man nun das Ziel von Unterkünften direkt in Nordafrika verfolgt … ich finde es ganz interessant, dass … die Ausschiffung auch in nicht-europäischen Staaten stattfinden könnte.“
„Die nicht stattfindende ernsthafte Debatte"
Eine klare Position der Parlamentarischen Versammlung zur notwendigen Reform der europäischen Migrationspolitik findet sich auch auf Seite 35:
„Die unzureichende Reaktion Europas auf die sich abzeichnenden Entwicklungen und die fortdauernde massenhafte Ankunft von Flüchtlingen und Migranten hat die systembedingten Schwächen der vorhandenen Rechtsinstrumente und Mechanismen verdeutlicht, darunter die Unfähigkeit, die Außengrenzen der Europäischen Union zu kontrollieren, die praktische Nichtanwendung der Dublin-Verordnung, nicht funktionierende Asylsysteme sowie Uneinigkeit unter den Ländern.“
Darüber hinaus bedauert die Versammlung „die nicht stattfindende ernsthafte Debatte auf europäischer Ebene über das Phänomen der Migration aus langfristiger Perspektive und dessen Folgen für die aufnehmenden Gesellschaften“ und betont: Das Recht und die Pflicht, nationale Grenzen und EU-Außengrenzen zu schützen, stehen im Einklang mit der Verpflichtung, sich an das humanitäre Völkerrecht zu halten.
Wie plump die bis heute penetrant wiederholte Warnung „vor Europas Ende“ nach möglichen Grenzschließungen ist, zeigt ein Vergleich aus einer Debatte während der Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats im Januar 2016 (Seite 44):
„Das Schließen von Grenzen würde sicherlich nicht das Ende von Europa bedeuten; das Ende von Europa wäre es, wenn wir die Menschen in unseren Heimatländern nicht mehr davon überzeugen können, an Europa zu glauben. Momentan sieht sich jeder von uns zu Hause neben der großen humanitären Herausforderung mit einem steigenden Sicherheitsbedürfnis konfrontiert. Das gilt auch für Deutschland, obwohl wir sicherlich, auch humanitär, viel unternommen haben. Wir sind unseren Mitmenschen in unseren Heimatländern gegenüber verpflichtet, dieses Sicherheitsbedürfnis zu erfüllen. Sichere Grenzen sind eine Möglichkeit, dieses Sicherheitsgefühl wiederherzustellen.“
Gesagt hat das Tobias Zech: CSU-Politiker, bis 2017 Mitglied des Bundestags sowie Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und nach dem „brutalen Aderlass an jungen Politikern“ in der CSU nunmehr wieder auf regionaler Ebene engagiert.
Inwiefern alle pragmatischen Stimmen im Europarat Durchsetzungskraft entfalten können, ist angesichts aktuell eingestellter Inhalte in dessen Internetauftritt fraglich.
Dieser Beitrag erscheint auch auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.