Die WerteUnion, die sich als konservative Basisbewegung innerhalb der CDU/CSU sieht, fordert die Bundestagsabgeordneten dieser Fraktion dazu auf „notfalls“ gegen den von der Regierungskoalition vorgelegten Entwurf des „Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (Infektionsschutzgesetz) zu stimmen. „Notfalls“ deshalb, weil man einem geänderten Gesetzesentwurf theoretisch zustimmen könnte, allerdings sind die geforderten Änderungen kaum bis übermorgen zu erwarten.
„Die WerteUnion stellt nach umfassender Prüfung des Gesetzesentwurfs fest, dass wesentliche Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit unzureichend berücksichtigt wurden“, heißt es in dem Appell an die Abgeordneten. Weiter heißt es:
„Deshalb fordert die konservative Basisbewegung entsprechende Änderungen des Gesetzesentwurfs; insbesondere die Einbindung von Bundestag, Bundesrat und Länderparlamenten sowie die Schaffung präziser Voraussetzungen, um Pandemie-Anordnungen nachvollziehbar zu begründen. Die WerteUnion richtet sich mit ihrer Forderung an die Fraktionsmitglieder der CDU/CSU, um die Änderungen notfalls durch Ablehnung im Bundestag durchzusetzen.“
„Gewaltenteilung missachtet“
Alexander Mitsch, der Bundesvorsitzende der WerteUnion, erklärte in einer Pressemitteilung: „Das geplante Infektionsschutzgesetz würde Länder und Parlamente ignorieren, es würde aufgrund fehlender Begriffsbestimmungen Generalklauseln für den Grundrechtsentzug schaffen. Doch Rechtsstaat geht vor Infektionsschutz. Das Infektionsschutzgesetz darf – zumindest in seiner nun geplanten Form – nicht in Kraft treten.“
So würde die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung missachtet, da der Entwurf die Möglichkeit enthalte – über § 5 Abs. 2 Nr. 3 ,7 und 8 –, durch Rechtsverordnungen von Gesetzen abzuweichen, die eigentlich der Zustimmung des Bundesrates bedürfen.
Die Gewaltenteilung werde missachtet, insbesondere § 5 Abs. 2 Nr. 4, 7 und 8 Infektionsschutzgesetz widersprächen unter anderem Art 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG), da sie unabsehbare Ausnahmen von formellen Gesetzen zuließen. Anordnungen nach §§ 5, 28 und 28a Infektionsschutzgesetz sollten deshalb in einem angemessenen Zeitraum, etwa alle vier bis sechs Wochen, durch den Bundestag, den Bundesrat beziehungsweise die Länderparlamente bestätigt werden müssen. Zudem müssten die Parlamente die Möglichkeit haben, die Anordnungen zu ändern.
Zudem seien die Voraussetzungen für nachhaltig invasive Grundrechtseingriffe in § 28a Infektionsschutzgesetz nicht präzise genug formuliert. Im Hinblick auf einzelne Grundrechte genüge das geplante Gesetz nicht den Anforderungen, eine gesetzliche Grundlage mit einer Ermessensregelung bereitzustellen. Ein grundlegendes Problem stelle die Zahlenrelation im vorgeschlagenen § 28a Abs. 2 des Infektionsschutzgesetz-Entwurfs dar: Hier würden „schwerwiegende Schutzmaßnahmen“ bei „Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen“ in Betracht gezogen. Die vorgeschlagene Norm lasse somit unterschiedslos pauschale Anordnungen zu. Diese würden auch Träger von Grundrechten betreffen, von denen keine epidemiologischen Gefahren ausgehen. Zudem sei der Begriff der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ in § 5 Infektionsschutzgesetz genauer zu definieren.
Gewissen oder Fraktionsdisziplin?
Es ist nicht das erste Mal, das die WerteUnion ihre Parteifreunde im Bundestag dazu aufgefordert hat, gegen einen Gesetzesentwurf von CDU/CSU und SPD zu stimmen. Im Dezember des letzten Jahres teilte die Vereinigung mit:
„Die WerteUnion übt scharfe Kritik an der Entscheidung der Bundesregierung, die Abgaben für CO2 im Rahmen des Klimapakets weiter zu erhöhen, und fordert eine Rücknahme des gesamten Klimapakets. Durch eine Nachverhandlung zwischen Bund und Ländern steigt der Preis für CO2-Ausstoß in Verkehr und bei Gebäuden von 10 auf 25 Euro pro Tonne. Damit verbunden sind wesentlich höhere Kosten für Wirtschaft und Verbraucher. Die WerteUnion fordert deshalb die Bundestagsfraktion der CDU/CSU auf, das Gesetz zurückzunehmen.“
Damals blieb der Appell ohne Erfolg, doch hatte die Entscheidung für die breite Öffentlichkeit keine unmittelbar wirkenden Folgen, was das allgemeine Interesse in Grenzen hielt. Die Folgen werden die meisten Bürger nun ab Jahreswechsel zu spüren bekommen, aber sie fallen inmitten der Corona-Krise möglicherweise nicht so sehr auf. Das ist in Fragen, die den Corona-Ausnahmezustand direkt betreffen, anders. Ob sich aber Gewissen und Grundrechtstreue manch skeptischer christdemokratischer Abgeordneter gegen die Fraktionsdisziplin durchsetzen können, wird sich übermorgen zeigen.
Den Entwurf eines „Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ finden Sie hier.