Erik Lommatzsch, Gastautor / 21.08.2017 / 06:15 / Foto: Marcus Cyron / 15 / Seite ausdrucken

Die Partei mit dem Herrn Lindner setzt Prioritäten

Von Erik Lommatzsch.

Wer zeichnet eigentlich für die Bundestags-Wahlplakate der FDP (zur Erinnerung: die Abkürzung steht für Freie Demokratische Partei) für 2017 verantwortlich, die seit einigen Tagen einen ergänzenden Blickfang in den Fußgängerzonen bieten? Gut, das ist eine rhetorische Frage, wenn man es denn wissen wollte, wäre es sicher nicht allzu schwer herauszufinden.

Die blassen, die gelbblaupinken Schriftzüge dafür umso schreiender zur Geltung bringenden Plakate zeigen das Porträt eines übernächtigten Unrasierten. Der Herr muss wichtig sein, er ist auf allen Plakaten zu sehen. Kommt man näher, steht dann im Kleingedruckten auch ein Name. Es handelt sich um einen gewissen Christian Lindner, dessen stets offener Kragen offensichtlich Gelassenheit und Souveränität suggerieren soll. Deutlicher als dieser Kragen kann man allerdings kaum nach einer Krawatte rufen.

Die Angespanntheit, das verkrampft Gewollte und gerade dadurch ins Gegenteil Umschlagende setzt sich in den Parolen fort. „DIGITAL FIRST. BEDENKEN SECOND.“ Sehr schön. Alles klar? Die „Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration“, Aydan Özoğuz, SPD, kann bekanntlich keine deutsche Leitkultur „jenseits der Sprache“ erkennen. Bis auf diese sei eine Leitkultur „schlicht nicht identifizierbar“. Die FDP hilft mit besagter Wahläußerung Frau Özoğuz nun, auch die letzte hässliche Leitkulturklippe wegzuräumen.

Mit „Sprache“ im Sinne von Ausdrucksvermögen oder gar Ästhetik hat „DIGITAL FIRST. BEDENKEN SECOND.“ nun wirklich gar nichts mehr zu tun. Und zwar mit keiner der beiden in diesen vier Worten vertretenen Sprachen. Ein kurzer Blick auf den Inhalt: „DIGITAL FIRST“. Zunächst greift kurz der Gedanke Raum, es könne ein kleiner Seitenhieb auf Donald Trump versteckt sein. Wirklich sehr originell, dass endlich  einmal jemand diese Thematik aufgreift und sich kritisch über den amerikanischen Präsidenten äußert. Dann: Digital zuerst. Irgendwas mit IT eben. Das ist schon wichtig. Bedenken an zweiter Stelle, später. Klasse. Nachdenken auch. Wir haben ja das Internet.

Aber die FDP hält weitere verlockende Sprüche und Weisheiten auf ihren Wahlplakaten bereit: „SCHULRANZEN VERÄNDERN DIE WELT. NICHT AKTENKOFFER.“ Dummer- oder glücklicherweise verändern in der Realität die Welt doch eher die „Aktenkoffer“, deren Träger sicher auch einmal Eigner von Schulranzen waren. Wie es aussieht, wenn sie seinerzeit auf dem Klo geraucht haben, statt dem etwas anstrengenden Lehrer zu folgen, der die Sache mit den Metaphern erklärt hat, können sie nun öfter sehen, zum Beispiel auf FDP-Wahlplakaten. Aber keine Sorge, dass „Mehr Bildung!“ die Botschaft des Ganzen sein soll, lässt sich trotzdem erkennen.

Die selbstverständlich zu erwartende große Klage

 „JETZT WIEDER VERFÜGBAR: WIRTSCHAFTSPOLITIK.“ ist da schon weniger problematisch. Wirtschaftspolitik? Ja, klar. Es geht nichts über klare konzeptionelle Vorstellungen und inhaltliche Ansagen.

Bei einem weiteren Plakat fällt selbst die Polemik schwer: „DIE SICHERHEIT MUSS BESSER ORGANISIERT SEIN ALS DAS VERBRECHEN.“ Ist es inzwischen Normalität, dass in Deutschland zwei Lager existieren, der Staat und das Verbrechen? Die FDP macht sich dafür stark, das staatliche Lager zu stützen? Das sind natürlich die Guten, aber so ein organisiertes Verbrechen ist nun mal (alternativlos?) da, muss man halt mit umgehen… Seit wann bitte existiert diese Denkfigur?

Passenderweise steht auf jedem der Plakate – neben dem Namen des abgebildeten Herrn und dem jeweiligen Spruch –  der Satz: „DENKEN WIR NEU.“ Mit Blick auf die Parole zu der Sicherheit und dem Verbrechen: Was genau verbirgt sich noch so alles hinter diesem neuen Denken? Das ist jedenfalls erst einmal genug Grübelstoff für jeden Wähler. Dass es möglicherweise auch noch andere Probleme gibt, die die deutsche Gegenwart nachhaltig und irreversibel prägen, konnte da nicht mehr berücksichtigt werden. Man muss schließlich Prioritäten setzen.

Das tut alles furchtbar weh. Was ist aus der Partei geworden, die zwar im Laufe deutschen Geschichte unter verschiedenen Namen firmierte und eine größere Zahl von Spaltungen und (Wieder-)Zusammenschlüssen zu verzeichnen hat, jedoch aufgrund ihrer letztlich zusammenhängenden Entwicklung mit Fug und Recht als älteste deutsche Partei bezeichnet werden kann? Was ist geworden aus der Partei des Liberalismus, deren verbindende Klammer stets der gar nicht zu überschätzende Wert der Freiheit war? Ob der Herr Lindner das erklären kann?

Aber wahrscheinlich tut man der FDP Unrecht. Die Zustimmung zum am 30. Juni 2017 im Bundestag verabschiedeten Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat sie nicht gegeben. Sie war nicht einmal in Versuchung, da sie in der gegenwärtigen Legislaturperiode erstmals seit 1949 nicht im Bundestag vertreten ist. Als Partei, welche sich Freiheit und Demokratie auf die Fahne geschrieben hat, hätte sie jedoch ohnehin geschlossen dagegen gestimmt. Nicht nur die Begrenzung der Wahlkampfthemen auf brennende Probleme ist möglicherweise eine Folge der Konzentration auf das Wesentliche. Vielleicht ist der Wahlkampf insgesamt gar nicht so stark im Blick der Liberalen – sondern vielmehr die von keiner Partei mehr als von der FDP selbstverständlich zu erwartende große Klage gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, deren Vorbereitung vermutlich die meisten der zur Verfügung stehenden Kapazitäten bindet.

Erik Lommatzsch ist Historiker und lebt in Leipzig.

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Leserpost

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J. Dohms / 21.08.2017

Sehr geehrter Herr Lommatzsch, danke für Ihre erfrischende Betrachtung der Wahlslogans der FDP - an den “Ruf des Hemdkragens nach einer Krawatte”  werde ich mich schmunzelnd erinnern,  wenn ich an einem dieser Wahlplakate vorbeikomme. Zu den Aussagen habe ich noch eine Ergänzung entdeckt: “UNGEDULD IST AUCH EINE TUGEND”. Der Sinn dieses Spruchs erschließt sich mir nicht. Hm, ob das was mit “Denken wir neu” zu tun hat? Die FDP war schon mal besser…

Stephan Marienfeld / 21.08.2017

Welch rasendes Interesse die ...aehh… Liberalen am NetzDG haben war dem FB-Post des Herrn Lindner von jenem Tag zu entnehmen. Nichts dazu.

Robert Bauer / 21.08.2017

Lindner sollte besser weiterhin Volksmusik machen statt Politik.

Wilfried Cremer / 21.08.2017

Eine Anbiederung an die hektischen Plakatisierer der Sprache im digitalen Zeitalter - oder doch eher ein Eingehen auf die unumkehrbar degenerierten Konsumenten sprachlicher Angebote?

Marcel Seiler / 21.08.2017

Jaaaa – und nein. Funktionierende Werbung ist nun einmal in der heutigen Politik nötig. Die LKR (zur Erinnerung: Bernd Luckes Partei) hat zwar das beste Programm der Welt, ist aber, auch dank praktisch nicht existierender (und dann auch noch betulicher) Werbung, völlig unbekannt und kriegt 0,1 %. Dass die Werbung der FDP hingegen funktioniert, die FDP ins Gespräch zu bringen, zeigt schon dieser Artikel. Die FDP hat m.E. leider keine Substanz; DAS sollte man thematisieren.

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