Ulrike Stockmann / 08.08.2023 / 10:00 / Foto: Montage/Imago / 59 / Seite ausdrucken

Die Öffi-Abrechnung des Peter Voß

Peter Voß machte gerade mit einem Beitrag in der FAZ von sich reden. Der ehemalige SWR-Intendant kritisierte die Fehlentwicklungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, darunter Jan Böhmermann. Doch wie wertvoll ist die Kritik eines ehemaligen Protagonisten, der nichts mehr zu verlieren hat?

Peter Voß machte gerade mit einem Beitrag in der FAZ von sich reden. Der ehemalige SWR-Intendant kritisierte die Fehlentwicklungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und zwar auf recht deutliche und verärgerte Weise. Aufhänger für Voß' Abrechnung ist der jüngste Skandal um einen WDR-Beitrag über die „Wahre-Kosten-Preis“-Aktion des Discounters Penny, der eine Woche lang deutschlandweit einen „Umweltausgleich“ auf ausgewählte Produkte erhob. Eine vermeintliche Kundin einer Kölner Filiale, die diese Aktion lobte, entpuppte sich als WDR-Mitarbeiterin (Achgut berichtete). Der Sender behauptete hinterher, es habe sich um ein Versehen gehandelt.

Der Vorfall stellt einen weiteren Schaden für das bereits stark demolierte Image der öffentlich-rechtlichen Medien dar. Diese machen sich bei den Zuschauen immer unbeliebter, sowohl durch solch tendenziöse Beiträge als auch wegen anderer Skandale, wie etwa der Korruptions-Affäre um Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger. Immer wieder stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage: War der öffentlich-rechtliche Rundfunk schon immer so? Oder handelt es sich um eine neuere Entwicklung? Und wenn ja, wann begann sie und wer trägt die Verantwortung?

Vor diesem Hintergrund löst die Kritik von ehemaligen Protagonisten, die sich zu Wort melden, wenn sie nichts mehr zu verlieren haben, grundsätzlich Argwohn aus. Peter Voß, Jahrgang 1941, hat im Laufe seiner langen Karriere viele journalistische Leitungsfunktionen innegehabt: Von 1978 bis 1981 war er stellvertretender Redaktionsleiter des ARD-Magazins „Report München“ beim BR, von 1985 bis 1993 Leiter der Hauptredaktion „Aktuelles“ der ZDF-Sendungen „heute“, „heute-journal“, „Mittagsmagazin“, „Tele-Illustrierte“ und „Länderjournal“, 1999/2000 war er ARD-Vorsitzender, von 1993 bis 2007 SWR-Intendant. Diesen Posten gab er 2007 ein Jahr vor dem offiziellen Ablauf seiner Amtszeit ab. Die Staatsanwaltschaft hatte 2005 gegen ihn wegen des Verdachts auf Untreue und Vorteilsnahme ermittelt.

„Systemisch bedingte Politskandale der jüngsten Zeit?“

Von 2009 bis 2020 war Voß Präsident der neugegründeten Berliner Quadriga Hochschule, bis heute wird er auf der Homepage als „Gründungspräsident“ geführt. Nach Antritt des Postens kritisierte das NDR-Magazin ZAPP diese Personalie, da die Quadriga Hochschule auf PR spezialisiert und diese der natürliche Feind des Journalismus sei. Laut Eigendarstellung will die Privathochschule in ihrem „Quadriga-Netzwerk“ „Mitglieder aus Vorständen und Chefredaktionen, führende Politikberater:innen, Personalverantwortliche in Konzernen oder Kommunikationschefs von NGOs“ zusammenführen. Außerdem verleiht die Quadriga Hochschule gemeinsam mit dem Magazin „Politik und Kommunikation“ (beide Teil der „Quadriga Unternehmensgruppe“) jährlich Politik-Awards in verschiedenen Kategorien. Prämiert wurden bereits Jens Spahn, Robert Habeck, Franziska Giffey, Christian Lindner, Ursula von der Leyen oder Annalena Baerbock. Das klingt in der Tat verdächtig nach Klüngel und Kaderschmiede (Achgut berichtete).

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Peter Voß seinen FAZ-Beitrag mit den folgenden Worten einleitet: „Muss man beim Gedanken an ARD und ZDF gramvoll sein Haupt verhüllen, oder darf man sich als alter ‚Öffentlich-Rechtlicher‘ zu deren womöglich systemisch bedingten Politskandalen der jüngsten Zeit äußern?“

Obligatorisch schickt er noch hinterher: „Aber spielt man damit nicht 'den falschen Leuten‘, zum Beispiel bei ‚Bild‘, den Ball zu? Nur, was hilft es, die grotesken Vorgänge zu beschweigen?“ Die Bild-Zeitung ihrerseits feierte daraufhin Peter Voß für seinen „Wutausbruch gegen ARD und ZDF“. Tatsächlich lässt dieser in seinem Beitrag an Klarheit nichts zu wünschen übrig: „In schon fast regelmäßigen Abständen läuft jeweils eine neue linksgrunzende Sau durchs öffentlich-rechtliche Dorf, von der man nicht weiß, ob sie nicht heimlich von der AfD als Wahlhelfer ernährt und gemästet wird“, heißt es etwa. Die „lahmen“ Distanzierungsversuche der Sender kommentiert er lakonisch mit „echt beruhigend“.

„Bewährte Demokraten Nazis nennen“

Der Beitrag über die Penny-Aktion wirkte für Voß wie „direkt von der Werbeabteilung des Discounters zugeliefert (…), so affirmativ kam er daher, verbrämt nur mit der skeptischen Aussage einer echten Kundin“. Der Auftritt der WDR-Mitarbeiterin sei „gar nicht nötig gewesen“. Die anschließenden Entschuldigungsversuche des Senders röchen „fast so streng wie Gammelfleisch nach einer Ausrede“.

Auch „der längst im Saft der eigenen Polemik brutzelnde Herr Böhmermann“ bekommt sein Fett weg, weil er „bewährte Demokraten Nazis nennen“ würde. Jener hatte kürzlich auf Twitter die CDU als „Nazis mit Substanz“ bezeichnet. Das ZDF hatte sich von diesem Statement distanziert, jedoch Böhmermanns Fehltritt als private Äußerung entschuldigt. Voß fragt sich, ob das ZDF derartige „private Entgleisungen“ ebenfalls so nachsichtig hinnehmen würde, wenn es sich um „‘rechtspopulistisch' gebrandmarkte“ Aussagen handeln würde.

Als weitere Beispiele misslungener Berichterstattung nennt Voß den Beitrag des Jugendnetzwerkes „Funk“, der AfD, CDU, CSU und FDP „in einen Topf mit der Aufschrift ‚rechts‘“ warf sowie die affirmative Sendung der Komikerin Negah Amiri über „sexy Klimaaktivismus“ (Achgut berichtete). Generell attestiert Voß „bei den eigentlichen Reizthemen – vor allem beim Themenkomplex Migration und Integration und bei der Frage der richtigen Strategie gegen die zunehmende Erderwärmung – ein Defizit an Differenzierung“. Nicht nur bei diesen Themen ersetze der Predigerton noch zu oft die nüchterne Analyse.

Vieles ist richtig und wichtig, was er schreibt. Womöglich wäre es sinnvoll, wenn er reflektieren würde, ob und inwiefern er selbst einen Anteil an diesen Entwicklungen trägt. Nach meiner Beobachtung hat die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor allem im letzten Jahrzehnt dramatisch abgenommen, wofür der 2007 ausgeschiedene Voß nicht verantwortlich zeichnet. Dennoch entwickeln sich solche Missstände langsam, aber sicher, und der „alte Öffentlich-Rechtliche“ könnte womöglich einiges zur Erklärung der „systemisch bedingten Politskandale der jüngsten Zeit“ im Staatsfernsehen beitragen. Vielleicht reicht er es ja noch nach.

 

Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.

Foto: Montage Achgut.com/Imago

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Leserpost

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Lutz Liebezeit / 08.08.2023

Selbst wenn die Fälschung auffliegt, hat das für den ÖR kein Konsequenzen. Wir kriegen ständig falsche Kunden, falsche Empörer, falsche Passanten, falsche Demos, falsche Bilder, falsche Beweise vorgesetzt, wenn es nieselt, ist das für die Jahreszeit so ungewöhnlich wie wenn die Sonne scheint, wenn es windstill ist so ungewöhnlich wie wenn es windig ist, alles ist extrem, Ausnahme, nicht die Regel, auffällig, die Scham ist bei der GEZ und im Politbetrieb lange vorbei. Fake ist das Geschäftsmodell. Man bereut nicht den Fake, sondern daß man ertappt worden ist und wird beim nächsten Mal wieder vorsichtiger sein. Die Empörung ist heute normales Hintergrundrauschen zu jeder Meldung. Selbst wenn nichts passiert ist. 

Werner Arning / 08.08.2023

Ab spätestens 2015, eher wahrscheinlich schon ab 2014, oder vielleicht noch viel früher, verabschiedete man sich von Berichterstattung hin zur Propaganda. Und einmal bei dieser angekommen, konnte man nicht mehr von ihr lassen. Immer tiefer verfing man sich in ihrem Spinnennetz und fing an, den Beischlaf mit dieser Giftspinne zu genießen. Die Meinungsvielfalt, die Objektivität, die politische Fairness, sie wurde während des Beischlafs mit der Spinne verdaut und ausgeschieden. Sie werden wohl auf Nimmerwiedersehen verloren sein.

Bertram Scharpf / 08.08.2023

Gern erinnere ich mich an den heldenhaften Kampf des Herrn Voß gegen die Rechtschreib-„Reform“. Einmal den Begreiff rausgehauen: „kulturpolitische Barbarei“, und das war’s dann. Wegen solcher Flaschen sind die heutigen Zustände überhaupt eingerissen.

Henri Brunner / 08.08.2023

„ Vieles ist richtig und wichtig, was er schreibt. Womöglich wäre es sinnvoll, wenn er reflektieren würde, ob und inwiefern er selbst einen Anteil an diesen Entwicklungen trägt“ Der Feind meines Feindes ist mein Freund - das sollte auch Frau Stockmann beherzigen. Andernfalls verzettelt sie sich in den Katakomben von Erwägungen und Zweifeln

Georg Andreas Crivitz / 08.08.2023

Vertreter des ÖRR echauffieren sich oft über die Verwendung des Ausdrucks »Zwangsgebühren«. Sie sprechen heute von einem »Beitrag«. Tatsächlich war die Bezeichnung »Gebühren« aber die offizielle Bezeichnung für die Zahlungen an die GEZ. Gebühren, die man nicht freiwillig zahlt, sondern die man zahlen muss, sind aber nun einmal Zwangsgebühren; egal wie man es auch dreht und wendet, diese Bezeichnung entspricht den Tatsachen. Und genau diese Zwangsgebühren sind es, die erst einmal abgeschafft werden müssen, bevor überhaupt auch nur ansatzweise Veränderungen zum Positiven möglich werden können. Wenn der ÖRR nur das Geld zur Verfügung hat, das freiwillig gezahlt wird, wird es ganz automatisch zu einem Rationalisierungsprozess kommen und man kann nicht mehr gegen die Wünsche und Interessen der Zuschauer arbeiten, ohne dass daraus wirtschaftliche Konsequenzen folgen.

N. Schneider / 08.08.2023

Mit dem Inkrafttreten des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages am 1. Januar 2013 “ist ein Beitrag grundsätzlich nicht an die tatsächliche Inanspruchnahme einer Leistung gebunden” (Wikipedia). Rücksicht auf den Gebührenzahler musste der ÖRR nun nicht mehr nehmen. D.h. ab 2013 konnte der ÖRR alle Hemmungen fallen lassen.

D. Katz / 08.08.2023

Wäre Voss mit seinen Aussagen irgendwie relevant, würde er nicht in der FAZ zu Wort kommen. Dieses Blatt macht heute - um Tucholsky zu paraphrasieren - seine miesen Geschäfte unter einem einst ehrenwerten Namen.

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