Hans Scheuerlein, Gastautor / 13.07.2022 / 06:15 / Foto: Pixabay / 198 / Seite ausdrucken

Die Nicht-Einverstandenen – Wie könnten wir sie nennen?

Menschen, die dem sogenannten Mainstream nicht folgen, machen dem Establishment so sehr Angst, dass man sie als „Rechte“ und „Demokratiefeinde“ brandmarkt und in einen Topf mit Verschwörungsgläubigen und Reichsbürgern wirft. Dabei trifft nichts von alledem auf sie zu. Wie könnten wir sie nennen? 

Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt – das Gespenst des... ja, des was eigentlich? Wes Geistes sind die vielen, die dem vermeintlich progressiven Mainstream – den sie für gar nicht so progressiv halten – nicht folgen wollen? Die spüren, dass hier auf fatale Weise etwas schiefläuft. Denen die sogenannte Political Correctness und die zunehmende Verengung des Meinungskorridors buchstäblich den Hals zuschnürt. Die sich weigern, den „Neusprech“ (George Orwell) der selbsternannten – offenbar sehr einflussreichen – Sprach- und Moralapostel nachzuplappern. Die eine besorgniserregende Konformität von Regierungspolitik und der Berichterstattung großer Teile der Medienlandschaft beobachten. Die Straßenumbenennungen, das Schänden und Stürzen von Denkmälern und das zensorische Aussortieren – sogar Verbrennen (siehe etwa hierhier oder hier) – verteufelter literarischer Werke im Namen einer ideologisch-anmaßenden Hypermoral an die dunkelsten Zeiten (nicht nur in diesem Land) erinnern.

Den Regierenden und dem polit-medialen Establishment machen diese Menschen offenbar so sehr Angst, dass sie glauben, ihre stärksten (verbalen) Geschütze gegen sie auffahren zu müssen. So werden sie – medial hochwirksam – als „Rechte“ und als „Demokratiefeinde“ (wenn nicht noch Schlimmeres) diffamiert und in einen Topf mit den durchgeknalltesten Verschwörungsgläubigen, Reichsbürgern und „Alles-Leugnern“ geworfen. Aber auf die, um die es hier geht, trifft in Wahrheit nichts von alledem zu. Denn kaum jemand pocht so energisch auf die Einhaltung der Verfassung und der geltenden Gesetze wie sie. Tatsächlich haben sich nicht wenige von ihnen früher sogar selbst als „links“ verstanden und mit Marx, den Kommunisten und deren sozialistischen Idealen geliebäugelt. Inzwischen haben sie jedoch die inneren Widersprüche und unheilvollen Folgen dieser verführerischen Ideologie durchschaut und ihre Schlüsse daraus gezogen.

Andere sind Liberale, Alternative oder sogar Punks gewesen. Viele von ihnen haben ihr Kreuzchen noch lange bei der SPD, den Grünen oder sogar bei der Linkspartei gemacht – bevor sie sich abwandten, weil sich deren Politik immer mehr von ihrer Lebensrealität entfernt hat. Die Begriffe „rechts“ und „links“ halten sie mittlerweile für überkommen: Ein solches in einer simplen Dichotomie gefangenes Schwarz-Weiß-Denken ist heute weniger denn je geeignet, um die zeitgenössischen Verhältnisse und Problemlagen treffend zu beschreiben. Deshalb würden sie sich weder als „Linke“ noch als „Rechte“ bezeichnen. „Die Mitte“ ist ihnen aber auch zu unverbindlich. Lieber verweisen sie auf die feinen Schattierungen der dazwischenliegenden Graustufen; die es ja auch noch gibt – die aber leider allzu oft missachtet, wenn nicht sogar mutwillig verwischt werden.

Zu heterogen für die üblichen soziologischen Zuordnungen

Also, was sind sie denn nun? Sie sind sozial, aber keine Sozialisten. Sie sind bürgerlich, aber keine verstockten Konservativen. Sie sind modern, möchten das Bewährte aber gerne erhalten. Sie schätzen die nationale Souveränität, sind aber keine Nationalisten. Sie sind weltoffen, aber auch stolz auf ihre westlichen Werte. Sie lieben die Freiheit und sind überzeugte Demokraten, hadern aber mit einem bevormundenden „Nanny-Staat“, der sich immer übergriffiger geriert und sich zunehmend nicht mehr an seine eigenen freiheitlich-demokratischen Spielregeln hält. 

Sie sind für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung vor dem Gesetz für alle, weshalb es sie ärgert, wenn mal wieder mit zweierlei Maß gemessen wird. Sie sind liberal, aber nicht offen für alles. Denn wer das ist, „kann nicht ganz dicht sein“ (Christian Wallner). Und sie sind kritische Realisten, die sich kein X für ein U vormachen lassen wollen. Die Geschichte des Westens ist für sie allem voran eine Geschichte nie dagewesener zivilisatorischer Errungenschaften. Umso mehr stehen sie fassungslos vor den identitätspolitischen Auswüchsen mit ihrer menschenverachtenden Cancel-Culture und der Rückkehr eines längst überwunden geglaubten kollektivistischen, freiheitsfeindlichen, totalitären und irrationalen Denkens.

Der eine oder die andere lässt sich davon zu einem zerknirschten Pessimismus verleiten und hat für das Ganze nurmehr Spott und beißenden Zynismus übrig. Die meisten von ihnen haben sich jedoch ihren Elan und ihre Lebensfreude erhalten. Sie interessieren sich für Kunst und Kultur, hören Rock- und Popmusik, vielleicht auch mal Jazz oder was Klassisches. Manche rauchen (immer noch), kiffen vielleicht sogar (immer noch), feiern gerne und trinken wahrscheinlich auch mal einen über den Durst. Zu ihnen gehören Homosexuelle wie auch „Heteros“, denen die Familie nach wie vor als Keimzelle der Gesellschaft gilt.

Und es befinden sich unter ihnen sowohl Atheisten und Agnostiker als auch (säkulare) Christen, Juden und Muslime. Einige von ihnen glauben an Gott und bekennen sich (trotz allem) zu ihren Konfessionen. Andere haben ihren Glaubensgemeinschaften längst abgeschworen und den Rücken gekehrt. Ich glaube, dass es sich bei diesen Menschen um ein soziales Milieu handelt, für das es noch gar keine Bezeichnung gibt; das zu heterogen ist für die üblichen soziologischen Zuordnungen (geschweige denn für den irreführenden Rechts-Links-Schematismus). Wie könnten wir sie nennen? Welchen Namen sollen wir ihnen geben? Oder brauchen sie vielleicht gar keinen?

Foto: Pixabay

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Frank Stricker / 13.07.2022

@Michael Müller, genau , the normal ones; Menschen die ihren gesunden Menschenverstand nicht verloren haben und sich nicht von durchgeknallten Wokis die Butter vom Brot nehmen lassen !

Harald Wellmann / 13.07.2022

Ich bin eigentlich gegen solche Namensgebungen, weil sie oft zur Etikettierung und Ausgrenzung missbraucht werden. Andererseits braucht man einfach griffige Begriffe zur Verständigung. Wie wäre es mit “die Unangepassten”?

Mathias Weiss / 13.07.2022

Sucht Euch was aus dem lustigen Pool der Synonyme für “unbequem”: beharrend, unkollegial, abgebrüht, garstig, ungemütlich, widerspenstig, eigensinnig, sperrig, umständlich, hinderlich, bedenklich, dumm, unangenehm, störend, schädlich, mühsam, ungehorsam, verschlossen. Ich favorisiere bedenklich. Die Bedenklichen. Da ist nämlich noch ein Wort drin, das eine leider offensichtlich immer mehr in Vergessenheit geratene Tätigkeit beschreibt.

toni Keller / 13.07.2022

@ Theodor Breit, sehr gut beschrieben: Es sind nicht irgendwelche bösen “da oben” die die lieben “da unten” unterdrücken, Nein der Niedergang ist selbstfabriziert, weil es war ja so nett auf dem Weg nach unten! Kinder? nee das nicht!  Viel zu anstrengend und wenn dann doch, dann bitte rundum staatlich betreut!  ” Mal den Alten zuhören, um zu begreifen, wie die Mechanismen damals funktioniert haben, und daraus auch die Gesellschaft wasserdicht zu machen gegen billige Heilsversprechen? Ach nee, zu mühselig, und die damals waren halt blöd, und wir sind es nicht weil wir wissen wie man Smartphone schreibt. usw, Dennoch auch das muss man konstatieren findet sich noch ein erstaunlicher Rest derzeit auf den Straßen . Im Grunde ist die ganze Anti Coronamaßnahmen Bewegung der Traum aller Linken seit den 68’ern. Das vereinigte Volk, quer durch alle Schichten und Klassen und sonstige möglichen Abstufungen, (ist ja im Artikel gut beschrieben) . Aber genau den Leuten die das immer im Munde führten ist es nun ein Dorn im Auge.  Aber auch diese ganze Rhetorik war ja so nett.

Helmut Scheid / 13.07.2022

Ja, bin auch ein nicht Einverstandener und finde den Artikel von Herrn Scheuerlein “mir aus dem Herz sprechend.” Ich der 68 ger “Freizeithippie” bin froh die Aufbruchszeit der 60ger, 70iger und 80iger Jahre miterleben zu dürfen! Das was heute so “läuft,” gesellschaftlich und politisch ist fast ausschließlich Bullshit nach dem Motto ....” Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d h die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.” Zitat von Friedrich Engels…..und jedes Reich, was in sich gespalten ist, geht zu Grunde….Jesus von Nazareth…. Fast noch besser als der Artikel Herrn Scheuerlein ist der Kommentar von @ Roland Jungnitsch…................!

Heiko Stadler / 13.07.2022

Ich unterteile die Leute in vier Gruppen: normale Leute, Linke mit Verstand und nicht korrupt (einziges Exemplar dieser kleinen Gruppe ist Sarah Wagenknecht), Links und korrupt (bei Leuten dieser Gruppe verschwinden oft die Handydaten), Links dumm und korrupt (der große Rest).

N. Borger / 13.07.2022

Verschwörungen sind geheime Absprachen. Und selbstverständlich gibt es diese, sie sind vielleicht sogar in der Machtpolitik weit verbreitet. Und wie kann der Autor angesichts dieses Sachverhalts Theorien über Verschwörungen also Verschwörungstheorien diffamieren? Es kommt stattdessen darauf an, was darin steckt! Der Autor folgt immer noch dabei dem Diffamierungsestablishment.

E. Albert / 13.07.2022

Schluss mit der Erfindung von Begriffen und Einordnung in irgendwelche Schubladen. - Auch nicht scherzhaft. Es gibt zum Glück noch eine ganze Reihe von Bürgern, die noch nicht ihren Verstand verloren haben und die sich glücklicherweise ideologisierungsresistent zeigen. Das sind i.d.R. auch diejenigen, die durch ihre Arbeitskraft dieses Land noch am Laufen halten!

Helmut Jäger / 13.07.2022

Ich nenne sie mündige Menschen, also solche, die es wagen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.

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