Thilo Sarrazin / 13.09.2019 / 06:25 / Foto: achgut.com / 109 / Seite ausdrucken

Die neue Einheitspartei und die politische Pornographie

Am Abend des 1. September, dem Tag der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, unterzog ich mich einem Fernsehmarathon und schaltete von 18:00 bis 23:00 Uhr zwischen der Wahlberichterstattung von ARD und ZDF hin und her. Mit Triumph in  der Stimme vermeldeten die Moderatoren zunächst, dass jeweils die Partei des Ministerpräsidenten die meisten Stimmen bekommen hatte. Am Ende wurden es 32,1 Prozent für die CDU in Sachsen und 26,2 Prozent für die SPD in Brandenburg.  

Bei der AfD war zunächst die wichtigste Nachricht, dass sie hinter früheren Prognosen zurückgeblieben sei. Das erwies sich als falsch. In beiden Ländern übertraf sie mit 27,5 beziehungsweise 23,5 Prozent nicht nur die Prognosen der vorhergehenden Tage und Wochen, sondern auch die Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 und der Europawahl 2019. Der Erfolg ist umso bemerkenswerter, als er bei stark angestiegener Wahlbeteiligung stattfand.

Gemessen an den vorherigen Umfragen, fielen die Ergebnisse für Linke und Grüne katastrophal aus. Mit nur 10,4 beziehungsweise 10,8 Prozent hat die Linke ihren Status als Volkspartei des Ostens verloren, und auch die Grünen blieben mit 10,8 bzw. 8,6 Prozent weit unter ihren Erwartungen. Die Unterstützung für die Amtsinhaber hatte offenbar beide Parteien Leihstimmen gekostet.

Koalitionen der Wahlverlierer

In Brandenburg wird jetzt wohl die SPD zusammen mit den Linken und Grünen und in Sachsen die CDU zusammen mit den Grünen und der SPD regieren. Die letztere steht in Sachsen mit nur noch 7,7 Prozent kurz vor der Bedeutungslosigkeit. In beiden Ländern werden es Koalitionen der Wahlverlierer mit entsprechend schlechter Stimmung sein.

In den zahlreichen Gesprächsrunden und Interviews des Wahlabends kamen die Vertreter der AfD nur relativ wenig zu Wort. Vertreter von CDU, SPD, Grünen und Linken schienen sich in ihrer Wortwahl abgestimmt zu haben. Übereinstimmend nannten sie die AfD rechtsextrem und lehnten jedwede Zusammenarbeit mit ihr ab. Die Moderatoren von ARD und ZDF konnten von diesen Aussagen gar nicht genug bekommen und fragten immer wieder neu entsprechende Bestätigungen ab.

In der Ursachenanalyse war viel vom Erbe der DDR, von den Fehlern der Einheit, vom Gefühl des Abgehängtseins im Osten und von sozialer Gerechtigkeit die Rede. Kein einziger Moderator und kein einziger Vertreter der Altparteien nahm am gesamten Abend jemals Wörter wie Migration, Zuwanderung oder Kriminalität in den Mund. Die Stichworte, mit denen die AfD in Ostdeutschland und Westdeutschland politisch groß geworden ist, galten offenbar an diesem Wahlabend als politische Pornographie, die man in guter Gesellschaft möglichst vermeidet.

Moralisch böse oder geistig inkompetent?

So bildeten die Vertreter der Altparteien und die Journalisten von ARD und ZDF an diesem Abend eine geschlossene Gesellschaft, die gemeinsam darüber zu trauern schien, dass durch das offene Fenster der Wahlen ein so garstiger Wind in ihre Runde der gegenseitigen Selbstbestätigung gefahren war. Offen blieb, ob sie nun gemeinsam ein Viertel der Wähler als rechtsextrem – und damit als moralisch böse – oder als geistig inkompetent und damit als verführbar ansahen. Das durfte sich der Zuschauer aussuchen.

Es ist schwer vorstellbar, dass dies seine künftige Neigung, AfD zu wählen, verringert haben könnte. Offen blieb damit auch die Strategie der Rückgewinnung der verlorenen Wählerschaft. Nur selten ist jemand zu gewinnen, wenn man ihm nur die Wahl lässt, ein Idiot oder ein Bösewicht zu sein.

Offen blieb aber auch, was eine strikte Ausgrenzung der AfD langfristig für das politische System und für die Möglichkeit zu demokratischen Machtwechseln bedeutet. Traditionell hatte im politische System der Bundesrepublik das bürgerliche Spektrum, verkörpert durch Union und FDP, ein leichtes Übergewicht über das linke Spektrum, verkörpert durch die SPD. Dazu passt, dass die Union in 70 Jahren Bundesrepublik weit überwiegend den Bundeskanzler stellte. 

Anfang der achtziger Jahre traten die Grünen auf den Plan, zwanzig Jahre später die Linke. Seit 2014 befindet sich im rechten Spektrum zusätzlich die AfD. Das Kräfteverhältnis der Blöcke blieb aber davon nahezu unberührt: In den aktuellen Meinungsumfragen auf Bundesebene haben SPD, Linke und Grüne zusammen eine Stärke von ca. 44 Prozent, Union, FDP und AfD liegen zusammen bei 49 Prozent. 

Dagegen hat die große Koalition ihre strukturelle Mehrheitsfähigkeit verloren. Auf Bundesebene liegt sie noch bei 41 Prozent. In Brandenburg hatten CDU und SPD bei den jüngsten Wahlen zusammen 42 Prozent, in Sachsen 40 Prozent.

Wachstumsprogramm für die AfD

Damit ist die Union, möchte sie den Kanzler stellen, die AfD aber weiter ausgrenzen, künftig auf die Grünen als Koalitionspartner angewiesen. Für die weit überwiegende Zahl der politischen Journalisten ist dies die Traumkombination schlechthin,

Entsprechend emphatisch ist die politische Unterstützung einer schwarz-grünen Zukunft: Dazu passt, dass durch die Klimadiskussion grüne Themen generell im Aufwind sind. Für die Union ist das gefährlich, denn im Umweltfragen sind die Grünen das Original, die Union aber ist die Kopie. Wenn die Union nicht aufpasst, kann ihre vermehrte Hinwendung zu grünen Themen den Höhenflug für die Grünen noch verstärken, während es gleichzeitig für die Union schwerer wird, wieder Wähler von der AfD zurückzugewinnen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Energiewende in Deutschland, gemessen am CO2-Ausstoß, gegenwärtig stockt. Es droht die Falle steigender Belastungen für die Bürger, bei gleichzeitiger offenkundiger Nichterreichung der ehrgeizigen Ziele zur CO2-Reduktion. Die Kombination ungelöster Klimafragen mit ungelösten Migrationsfragen könnte sich als langfristiges Wachstumsprogramm für die AfD erweisen.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Richard Loewe / 13.09.2019

Ich musste erst nochmal schauen, ob es wirklich Thilo Sarrazin ist, der da seine eigene Partei als “Altpartei” tituliert. Eine sehr schoene Analyse. Ja, es wird einen Schulterschluss zwischen CDU und den gruenen Marxisten geben. Dann kommt der Zusammenbruch samt Katharsis.

Bernhard Freiling / 13.09.2019

@ Sebastian Gumbach:  So ganz bin ich mir noch nicht im Klaren darüber, ob Sie mir mit dem Zitat von Bärbel Bohley den Tag jetzt gerettet oder versaut haben ;-). Im Nachhinein muß ich ihr wohl “seherische Fähigkeiten” zugestehen. Genau das, was sie geschrieben hat, wird jeden Tag 1:1 von unseren fürsorglichen Politikern, unter Zuhilfenahme und der Unterstützung aller möglichen und unmöglichen Außerparlamentarier, umgesetzt. /// Einfach nur Danke für diese Information.

Helge-Rainer Decke / 13.09.2019

Sehr geehrter Herr Sarrazin, mit Bezug auf die TV Sendungen, die Sie zum Wahlergebnis kritisierten, ist ohne Wenn und Aber zuzustimmen. Einwendungen treffe ich zu den Schlussfolgerungen, die Sie zum prozentualen Abschneiden der AfD mit Bezug auf künftige Bundestagswahlen indirekt schlossen. Hier liegt AfD, gehen wir mal von der Annahme des ceteris paribus aus, bei ca. 15 Prozent. Also weit unter dem Ergebnis der Neuen Bundesländer. Deshalb ist meines Erachtens kein Anlass gegeben mit der AfD, die kein überzeugendes Konzept zur Migration offen gelegt hat, zu koalieren. Das dichotomische Weltbild der AfD spiegelt sich aus meinem Horizont grob umrissen in einer Art, wir gegen die, Homogenität der Bevölkerung gegen Heterogenität, geschlossene gegen offene Gesellschaft, Deutschsein als letzter Identitätsanker, wider. Darüberhinaus vermisse ich im Parteiprogramm Alternativen wie man national die Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft, aufgrund der gegebenen komplexen und dynamischen Verflechtungen und Interdependenzen zwischen den Wirtschaftsblöcken hic EU, ibi USA und China lösen will. Auch zur Rente, Klima, Umwelt findet sich im Parteiprogramm wenig bis gar nichts. Also was bleibt den Altparteien anderes übrig als ein koalitionsfähiges modus vivendi ohne AFD zu finden? Gleichwohl, Herr Sarrazin, mischen Sie weiter mit. Querköpfe delectat.☝️

Rüdiger Kuth / 13.09.2019

Die haben doch alle nur eine Heidenangst vor der AfD.  Warum? Weil die die Wahrheit über den Zustand unseres Landes thematisieren würde. Da wären die ganzen “schönen”” Themen der Blockparteien alle Makulatur: Klimastuss, Genderquatsch, Energiewende (mit dem Begriff habe ich immer ein Problem), offene Grenzen, Ehe für alles - und dazu noch die ganzen Subventionen dafür, von denen sie gut und gerne leben…

Klaus Biskaborn / 13.09.2019

Ein Wachstumsprogramm für die AfD ist zu schön um wahr zu werden. Leider muss es auch den Bürgern in Westdeutschland erst deutlich an das liebe Geld gehen, bevor man auch dort aus dem Dornröschenschlaf erwacht.  Dann allerdings könnte es was werden.

Dirk Kern / 13.09.2019

Die frühere Volkspartei CDU wird zerrieben werden zwischen der AfD und den Grünen. Angela Merkel hat ihre Partei völlig unnötig in einen Zweifrontenkrieg geführt, der schon wieder nicht gewonnen werden kann. Unser Land hat das schon zweimal versucht und ist gescheitert. Aber schon wieder sind alle PG und Hofschranzen kritiklos mitmarschiert.

J. Schad / 13.09.2019

@ Klaus Jürgen Bremm: Schade, dass man die Kommentare bei achgut nicht liken kann. Ihr Kommentar hätte es verdient, ganz oben zu stehen.

Heiko Engel / 13.09.2019

Es bedarf schon eines hohen Maßes an Naivität davon auszugehen, dass Wahlen etwas verändern. In den 1970 - gern sagte man noch: „Würden Wahlen etwas verändern, wären sie längst verboten.“ Der Quatsch hat keinerlei Bedeutung mehr. Werde das Gefühl kaum los, dass das nicht sichtbare Establishment sich konkret mit dem Gedanken trägt ein dem chinesischen Modell ähnliches System zu etablieren. Und im vollen Ernst; wir können doch nicht ungebildeten, unschönen, dicken und immer offensiven Frauen das politische Feld überlassen. Demokratie ist eher ein Auslaufmodell. Sah Churchill schon so. Zu viele mit Glauben und ohne Wissen und Plan. Siehe Broders aktuellen Artikel.

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