Bernhard Lassahn / 29.01.2011 / 22:57 / 0 / Seite ausdrucken

Die neue Diktatur in Österreich

Es sieht auf den ersten Blick harmlos aus. Doch es tun sich Abgründe auf, wenn man durchblättert oder sich durchklickt. Gemeint ist der neue Leitfaden für „diskriminierungsfreie Sprache, Handlungen, Bilddarstellungen“, der uns „sensibilisieren“ soll, damit wir „vorurteilslos“ denken können. So wünscht es sich Rudolf Hundstorfer, der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, der uns hintergründig anlächelt auf dem Foto im Vorwort zu dieser amtlichen Broschüre, die sich dezent aber unmissverständlich auf die Autorität der aktuellen Gesetzgebung stützt und - so lächerlich es angesichts der folgenden Beispielen auch wirken mag - mit Machtbefugnis auftritt.

Wenn man freundlich bleiben will, könnte man sagen, dass der Minister mit der Aufgabe überfordert war. Es gibt kleine Unstimmigkeiten – geschenkt. Es gibt aber auch grelle Widersprüche, die so stark ins Auge stechen, dass selbst eine starke Sonnenbrille nicht mehr hilft. Weniger freundlich könnte man von totalitärer Gesinnung sprechen, von einer Sonderform des Rassismus und dem Versuch einer Neuauflage des Gleichschaltungsgesetzes. Damit will ich den Minister nicht persönlich treffen (auch wenn ich ihn nicht in Schutz nehmen kann), die Vorwürfe gelten vielmehr der Antidiskriminierungs-Politik insgesamt, die sich hier gerade durch die rührend unbeholfene Darstellung verrät, als würde versehentlich etwas ausgeplaudert, das eigentlich geheim bleiben sollte. So gesehen ist es eine nützliche Broschüre.

Zwischenfrage: War das womöglich zu heftig? Ich meine: „Rassismus“ und „Gleichschaltung“ sind schließlich schwere Keulen. Doch sehen wir selbst: Zunächst werden uns diskriminierende Handlungen vorgestellt: „Diskriminierende Handlungen liegen vor, wenn mit Menschen, die im Rollstuhl sitzen, nicht auf gleicher Höhe sondern im Stehen kommuniziert wird.“ Oder wenn: „Frauen leitende Positionen, z.B. in Aufsichtsräten, nach wie vor verschlossen bleiben“. Oder: „Frauen bei gleicher Qualifikation zwischen 25 % und 30 % weniger verdienen.“ Aber auch da, wo „für den Verkauf von technischen Gütern männliches Personal bevorzugt eingestellt und/oder von Kund/innen gewünscht wird (Computerkauf, Autokauf).“ Beanstandet wird außerdem, dass „Frauen in Frisiersalons für den gleichen Haarschnitt einen wesentlich höheren Preis als Männer bezahlen.“ 

Dann wird diskriminierende Sprache beleuchtet. Folgenden Satz findet der Minister problematisch: „Frauen sind aufgrund ihrer Gebärfähigkeit von Natur aus anders.“ Das sollte man nicht sagen, Diskriminierung lauert auch hier; denn: „dieses Argument – unter Berufung auf die Biologie – dient in erster Linie dazu, Frauen auf ihre Mutter- und Hausfrauenrolle festzulegen.“ Auch ein „Skihasel“ geht gar nicht, denn „verniedlichende Bezeichnungen führen zu einer Herabsetzung der Frauen.“ So soll man auch nicht von einem „schwulen oder lesbischen Pärchen“ sprechen, denn diese „Verniedlichung ist Ausdruck dafür, dass man diese Paare nicht ganz ernst nimmt“.

Zwischenstopp: Was ist bis jetzt schon schief gelaufen? Der Minister verkennt die Intentionen seiner Landsleute, weil er davon ausgeht, dass sie grundsätzlich unabhängig voneinander – ja, gegeneinander handeln und sich schädigen wollen. Dabei könnte man in seinen Beispielen genauso gut freundliche Menschen erkennen, die sich rücksichtsvoll am anderen orientieren. Der erwähnte Anbieter von Computern richtet sich ja gerade nach den Kundenwünschen. Gut so. Und – bittschön: Wenn jemand im privaten Rahmen eine Verniedlichung verwendet, dann möchte er damit Intimität ausdrücken - „Häschen, Bärchen, Schnuckiputzi“. Er tut das in der Hoffnung, dass es dem Partner gefällt; falls es - was ich mir durchaus vorstellen kann - nicht der Fall ist, und derjenige lieber als „Problembär“ angesprochen werden will, wird er schon Wege finden, das Gesäusel zu unterbinden. Das geht den Minister gar nichts an.

Die legendäre Boshaftigkeit der Österreicher, von der uns Thomas Bernhard ausführlich und genüsslich berichtet hat, liegt hier allein in der Unterstellung durch das Ministerium, allein im Blick der Verfasser der Broschüre. Die scheinen in der Tat keine gute Meinung von ihren Landsleuten zu haben, was sich daran zeigt, dass sie Hinweise geben, Fremde nicht zu „duzen“ und in Anwesenheit von Juden keine Judenwitze zu erzählen, als wäre es nötig, dass es ihnen endlich mal jemand sagt. Doch so übel sind sie nicht, die wackeren Österreicher, auch wenn ich zugebe, dass ich Georg Kreislers Lied ‚Wie schön wäre Wien ohne Wiener’ immer besonders mochte. Noch ist es jedenfalls nicht nötig, eine Reisewarnung für Österreich auszusprechen, man sollte aber vor solchen Politikern warnen.

Schon das Beispiel mit dem Rollstuhl war geschummelt, wie man an dem beigefügten Bild erkennt. Da sieht man, dass die Umstehenden gar keine Möglichkeit hatten, sich zu setzen – wir haben hier also einen Fall von akutem Klappstuhlmangel. Auf dem nächsten Bild wiederum, das uns zeigen soll, wie es richtig ist, sehen wir eine bequem sitzende Frau, die für ihr vorbildliches Verhalten auch die entsprechende Voraussetzung hat. Ich glaube übrigens nicht, dass sich jemand im Rollstuhl wirklich wünscht, dass sich stets alle zu ihm herabbeugen. Wir hätten sonst von so einem Wunsch schon zu Zeiten gehört, als noch niemand nach Haaren suchte, an denen er eine Rechtfertigung für Antidiskriminierungsmaßnahmen herbeiziehen kann.

Es kommt noch schlimmer: Nicht nur, dass die Politiker ihre Wähler für schlechte Menschen halten, sie haben auch eine gestörte Wahrnehmung. Ihr Blick auf die Realität ist von Idealen, von Propagandalügen und von der masochistischen Lust an der Selbstbezichtigung getrübt. Man mag ja seine Vorstellungen von Mindestlohn und Einheitspreis so weit auf die Spitze treiben, dass man dann auch Einheitsfrisuren für wünschenswert hält. Aber noch ist es nicht so weit; und das Ministerium sollte nicht schimpfen, wenn die träge Wirklichkeit ihrer zweifelhaften Utopie, die sowieso nur von wenigen Kurzhaarigen und Glatzköpfen geteilt wird, hinterherhinkt.

Richtig peinlich wird es bei dem beklagten Gehaltsunterschied von bis zu 30%. Die Herren Politiker sollten entweder in der Lage sein, den statistischen Schwindel zu durchschauen oder aber, wenn sie den Misstand für echt halten, Konsequenzen daraus ziehen; denn es ist schließlich – wenn ich daran erinnern darf – das zuständige „Ministerium für Arbeit und Soziales“, das diesen Leitfaden herausgegeben hat. Die sollen sich darum kümmern! Wer sonst?! Doch nun wird - statt sich zu der Verantwortung zu stellen - mit Versäumnissen des eigenen Resorts geprahlt, um damit eine Sprachbevormundung in bisher nicht gekannter Aufdringlichkeit und Radikalität zu begründen.

Man kann die Umrisse der neuen Gesinnungs-Diktatur schon an dieser Stelle erkennen: Es geht nicht mehr darum, ob etwas wahr ist oder nicht. Auch nicht, ob es in guter oder böser Absicht gesagt wird - und schon gar nicht, wie sich die Betroffenen selber fühlen. „Die Umweltministerin ist überraschend zurückgetreten. In ihrer schriftlichen Rücktrittserklärung rechnet die zierliche Frau mit der Umweltpolitik der Regierung ab.“ Das ist nicht mehr in Ordnung - denn: „Die Statur der Umweltministerin hat nichts mit ihrem politischen Anliegen zu tun.“ Also: Selbst wenn sie es gerne hört, es gute Freunde von ihr gesagt haben, und es obendrein wahr ist – egal: Es geht um höhere Werte - nämlich um die Frage, ob es in das Gut-und-Böse-Schema passt, das sich der Minister unter Diskriminierung vorstellt.

Die unschuldigen Österreicher werden damit in eine Sackgasse getrieben wie in ein freudloses Tal ohne Ausweg. Denn so wie auf dem erwähnten Bild, das „aus unserem Denken und Handeln verbannt“ werden soll, weil es diskriminierendes Verhalten gegenüber Rollstuhlfahrern zeigt, die Abgebildeten keine Chance haben, sich richtig zu verhalten, so hat auch der Leser des Leitfadens, der sich womöglich nach den neuen Geboten richten möchte, keine. Er gerät in eine Zwickmühle: Um gegen Diskriminierung zu sein, muss er selber diskriminieren. Er muss lernen, sich moralisch zu korrumpieren und mit zweierlei Maß zu messen. Dasselbe Verhalten, das an einer Stelle richtig ist, ist an anderer falsch.

Einerseits gilt allein schon das arglose Benennen von Merkmalen als Fehler - „Diskriminierung erfolgt durch zugeschriebene Eigenschaften“ -, andererseits wird ein Benennen ausdrücklich gefordert. Das zeigt sich bei den etwa 600 Sekten, die schon durch den Begriff „Sekte“ „pauschal diskriminiert“ werden, so dass man gar nicht weiß, ob man sie überhaupt erwähnen darf. In dem Begriff „homosexuell“ wiederum „finden sich lesbische Frauen nicht, daher sind sie immer extra anzuführen.“ Die müssen also beim Namen genannt werden. Wenn ich dagegen einen Gedanken zu einer Überalterung der Gesellschaft äußern will, muss ich die Nebenwirkung bedenken, denn: „Das Wort ‚Überalterung’ diskriminiert ältere Menschen.“

Wo liegt das Problem? Darf man die hohe statistische Repräsentation älterer Menschen, wie sie sich in dem „über“ zeigt, nicht erwähnen? Oder ist allein schon die Erwähnung des reinen „Alters“ unerwünscht? Wer weiß. Der Leitfaden ist nicht in sich stimmig, aber autoritär. So soll man „das Attribut ‚schwarz’ nicht durch ‚farbig’ oder ‚dunkelhäutig’ ersetzen, sondern ersatzlos streichen.“ Auch eine unverdächtig wirkende Formulierung wie „die von der Ostküste“ ist in Wahrheit eine Diskriminierung gegen ... na, wir wissen schon - gegen die Norweger? Die Türken? Plötzlich wird der Minister ruppig. Über weite Stecken wirkt die Broschüre verbindlich und geradezu naiv, und dann blitzt ein unerbittlicher Ton auf, der Herrscher lässt seine Maske fallen wie in einem Horrorfilm, in dem sich Punkt zwölf der charmante Onkel Doktor in einen Vampir verwandelt.

Man merkt es schnell: Die neuen Denkvorschriften sind größenwahnsinnig. Das bisherige System soll grundsätzlich aufgelöst werden - nichts soll mehr so sein, wie es vorher war. Was wir bisher unbedacht als Normalität angesehen haben, wird nun in Anführungsstriche gesetzt, wie früher die „DDR“. Die Liebe zwischen Mann und Frau wird als „Ideologie“ gesehen, die unangenehmen Druck aufbaut und zu Diskriminierungen führt: „Heterosexualität wird als ‚Normalität’ und ideologisch akzeptierte Form der Sexualität in unserer Gesellschaft festgelegt und anerkannt. Geschlechtsspezifische Rollenerwartungen und der gesellschaftliche Druck, dieser heterosexuellen Norm entsprechen zu müssen, führen zu einer Diskriminierung von lesbischen Frauen ...“

Ich fürchte, dass es keinen Frieden in Österreich geben wird, kein Nebeneinander von der Regel und der Ausnahme; keine Übereinkunft mehr, bei der eine Gesellschaft nach anerkannten Regeln funktioniert und dabei Ausnahmen gelten lässt. So war es bisher. Doch nun sehen sich die Ausnahmen - angeblich - als Unterdrückte, empfinden ihre Minderheitenrolle als Abweichung und schon das Wort „Abweichung“ als nicht akzeptabel, sie rebellieren gegen das Selbstverständliche und setzen die Normalität schon wieder in Anführungsstriche. „Diskriminierend ist (...) die selbstverständliche Annahme, dass gleichgeschlechtliche Lebensformen eine Abweichung von der heterosexuellen ‚Normalität’ darstellen“. Oh weh: Das wird böse enden. So eine Diskriminierung lässt sich nämlich nur durch eine totale Gleichschaltung beheben, bei der es am Ende eine neue Form von Zwangsnormalität ohne jede Abweichung gibt; denn die könnten sich dann wieder diskriminiert fühlen. Die Vorstellung von einer Einheitsfrisur war also schon ein mutiger Schritt in die richtige Richtung.

Was tun? Sich neutral auszudrücken kann falsch oder richtig sein, es wird aber gefordert. Wenn ich mir Rat vom „Arzt“ hole, ist das verdächtig, weil es das männliche Geschlecht erkennen lässt und somit nicht neutral ist, Hundstorfer diktiert: „Rat des Arztes wird umformuliert zu: ärztlicher Rat.“ Ausdrücklich empfiehlt er Formulierungen wie „Jugendliche“, „Studierende“ oder „Chairperson“. Wenn die nicht möglich sind, soll Symmetrie gewahrt sein, durch Doppelnennungen in vollständigen Paaren, wenn es sein muss auch in „Sparschrift“.

Dabei sind die Anforderungen so streng, dass ich sie nicht nachvollziehen kann, es reicht nicht zu sagen: „Autoren sind Herr Prof. X und Fräulein Y.“ Denn: „Frauen und Männer werden nicht symmetrisch bezeichnet.“ Nun gut: Ich habe ein gewisses Verständnis für solche Nöte. Österreich hat viele Berge. Dass da Mann und Frau Seite an Seite gehen, ist bei den schmalen Wanderwegen oft nicht möglich, da muss gezwungenermaßen einer hinter dem anderen bleiben. Daher ist in der Alpenrepublik ein Nebeneinander nicht so selbstverständlich wie im Flachland. Wie auch immer: Es genügt dem Minister sowieso nicht. Ein Satz wie: „Sie ist die Neue an seiner Seite“ wird gerügt, denn: „Frauen werden nur in Abhängigkeit vom Mann präsentiert.“ Besser wäre, wenn der Mann drei Schritt hinter der Frau geht.

Besondere Vorsicht ist bei ethnischen Gruppen geboten, etwa bei einer „rumänischen Einbrecherbande“ oder „türkischen Randalierern“. Das könnte rassistisch sein - wobei man bedenken muss, dass „rassistisch“ heute leichtfertig angewendet und bei einer Ansammlung von Vorwürfen oftmals gratis obendrauf gegeben wird: „Die Nennung der Herkunft ist dann rassistisch motiviert, wenn sie für ein Verbrechen nicht relevant ist, denn es wird davon ausgegangen, dass die Herkunft für die Straftat doch eine Rolle spielt.“ Oder nehmen wir die Meldung: „Muslime werden ausgewiesen wegen Terrorverdachts. Hier wird Terrorismus bzw. Terrorverdacht an einer religiösen Zugehörigkeit festgemacht.“ So soll es im diskriminierungsfreien Österreich nicht mehr sein. „Durch das Reden und Schreiben über ‚Terroranschläge aus der islamischen Welt’ wird ‚Islamisches’ verstärkt wahrgenommen und tatsächlich geglaubt, dass ein Zusammenhang zwischen Islam und Gewalt besteht.“

Andererseits darf ein Zusammenhang zwischen Gewalt und dem männlichen Geschlecht nicht geleugnet werden. Da gilt: „Keine Neutralisierung der Täterschaft durch die Wortwahl!“ Es reicht nicht, von „Gewalt in der Familie“ zu sprechen; denn: „Männliche Gewalt an Frauen ist konkret zu benennen.“ Das Ministerium ist auch nicht glücklich mit der Bezeichnung „Inzestfall Amstetten“; denn in dem Begriff „Inzest“ ist eine „Verharmlosung bzw. Verschleierung der sexuellen Gewalt“ enthalten, die „jahrelangen Vergewaltigungen“ des Mannes werden nicht erwähnt.

Wir haben es hier mit zwei bösen Mächten zu tun: Rassismus und Sexismus. Ich habe mich schon so manches Mal gefragt, wie es wohl kommt, dass Leute, die in Sachen Rassismus besonders hellhörig und feinfühlig sind, tumb und unempfindlich tun, wenn ihnen derselbe Ungeist im Kostüm des Sexismus begegnet. Vielleicht liegt es daran, dass sie – wie unser viel zitierter Minister – ein schadhaftes Verständnis vom Sexismus haben und bei ihnen, sobald es um Sex geht, eine kritische Instanz aussetzt. Oder daran, dass ein wahrer Rassist sich über seinen eigenen Rassismus nicht im Klaren ist.

Das „schadhafte Verständnis von Sexismus“ habe ich ernst gemeint. Lassen wir uns mal auf der Zunge zergehen, was Herr Hundstorfer über sexistische Sprache sagt. Wir erkennen schnell das Dilemma: Diskriminierung liegt vor, wenn man etwas „nicht“ sagt. Andererseits liegt Diskriminierung vor, wenn man „etwas“ sagt. Wie man es macht, ist es falsch. In beiden Fällen wird uns unterstellt, dass wir intolerant sind, was sich entweder in dem Anspruch auf Ausschließlichkeit (wenn wir etwas nicht sagen) zeigt oder in dem auf Allgemeingültigkeit (wenn wir etwas sagen). Also: „Sexistische Sprache ist eine Sprache, die Frauen und ihre Leistungen ignoriert, sie in traditionellen Rollen verbunden mit sogenannten weiblichen Eigenschaften darstellt und/oder sie ausschließt.“

Wenn aber Sprache - so wie hier - negativ definiert wird als etwas, das „ignoriert“ und „ausschließt“, dann erklärt das gar nichts. So etwas kann man über jeden Sprechakt sagen: Wenn ich „etwas“ sage, sage ich damit immer etwas anderes „nicht“ – was nicht heißt, dass ich das Nichtgesagte damit „ignoriere“ und erst recht nicht „ausschließe“, sondern nur, dass ich nicht alles auf einmal sagen kann. Und auch nicht muss.

Hier liegt eine hinterhältige Unverschämtheit vor: Es wird unterstellt, dass wir schon bei normalem Sprechen etwas Unrechtmäßiges tun. Das Argument erinnert an das berühmte „Gespräch über Bäume“ wie wir es von Berthold Brecht aus seiner Zeit im Exil kennen: „Was sind das für Zeiten, wo/ Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist/ Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Solche Zeiten sind in Österreich angebrochen: Es gibt da einen Pseudo-Krieg. Es wird eine Kriegssituation simuliert, um einem die Freiheit zu nehmen, das zu sagen, was man sagen will und einem stattdessen vorzuschreiben, was man sagen soll, damit man sich nicht schuldig macht, etwas ignoriert zu haben. Doch wir sollten nicht klagen. Es könnte noch schlimmer kommen. Jedenfalls in den Kaffeehäusern in Wien. Die volle Verachtung - wie wir von Karl Kraus wissen -, trifft einen nämlich erst dann, wenn einen jemand „nicht mal mehr ignoriert.“

Das Klischee besagt, dass der Österreicher das Negative liebt. Als privates Hobby mag das ganz in Ordnung sein, für eine verbindliche Definition ist es nicht brauchbar: Wenn man vom Negativen ausgeht und sich eine nicht gemachte Aussage zugleich als „ausschließlich“ vorstellt, wird uns eine Zwangsjacke angezogen. Es ist, als würde ich sagen: Fotografie ist immer dann schlechte Fotografie, wenn „nicht“ Tiere in freier Wildbahn gezeigt werden, und man damit „ausschließt“, dass es sie gibt. Der Minister traut sich nicht, es direkt zu sagen, aber er setzt voraus, dass eigentlich nur ein Sprechen über Frauen und deren „Leistungen“ gerechtfertigt ist - Leistungen, mit denen das Ministerium für Arbeit selber nicht richtig umgehen kann. Auch eine Diskussion über die Quote wird damit unversehens zu einem Fall von sexistischer Sprache, denn die Quote ignoriert die Leistungen von Frauen und richtet sich stattdessen nach dem Geschlecht. Ob dem Minister das klar ist?

Vermutlich nicht. Er hat auch bestimmt nicht gemerkt, dass er sich selbst eine Grube gegraben hat, als er den Gebrauch des Begriffes „häusliche Gewalt“ kritisierte und forderte: „Männliche Gewalt an Frauen ist konkret zu benennen.“ Denn was machte er bei der Gelegenheit? Er ignorierte den Anteil der Frauen an häuslicher Gewalt. Alter Ignorant!

Sehen wir uns noch mal den Mittelteil seiner Definition an, eingerahmt zwischen den Polen „ignoriert“ und „ausschließt“ wie zwischen zwei Löchern. Da meinte er, es handele sich dann um „sexistische Sprache“, wenn sie Frauen „in traditionellen Rollen verbunden mit sogenannten weiblichen Eigenschaften darstellt“.

Wie denn sonst? Alle Frauen - auch Männer - sind in Traditionen eingebunden. Österreich mag ein modernes Land sein, das will keiner abstreiten, aber die „traditionellen Rollen“ verschwinden nicht einfach, wie auch die Gletscher nicht so schnell schmelzen. Es gibt sie eben doch: Angefangen davon, dass Zuschauer aus Österreich den deutschen Beitrag für den ‚Eurovision Song Contest’ regelmäßig mit der Mindestpunktzahl abstrafen und dass sich die Sportler zuverlässig bei einer Fußball-WM blamieren - wir finden überall, wohin der trübe Blick auch schweift, Traditionslinien, Sitten und Gebräuche, die weiterhin lebendig sind - Historische Altstädte. Berge, die nicht von der Stelle rücken. Trachten, Jodelvereine, Schmäh, Pferdegetrappel in der Innenstadt in Wien. All die wunderbaren Sehenswürdigkeiten: das Foltermuseum, der Selbstmörderfriedhof.

Es ist schwer, Frauen darzustellen, ohne dass dabei irgendwelche Traditionen durchleuchten - der Minister würde es womöglich schaffen. Erinnern wir uns an seine Realitätsblindheit und die Angewohnheit, Normalität in Anführungsstriche zu setzen. In der Diktatur der Diskriminierung unterscheidet man nämlich längst zwischen guten und schlechten Traditionen, guten und schlechten Stereotypen, guten und schlechten Klischees, gutem und schlechtem Cholesterin - und auch zwischen guten und schlechten Eigenschaften. Das ist die nächste Last, mit der Frauen „verbunden“ sind. Als Deutschem ist mir sofort das „sogenannte“ aufgefallen, das in Österreich immer noch zusammengeschrieben wird, wie bei uns vor der Rechtschreibreform und zu Zeiten, als es noch die DDR gab. Es ist entscheidend. Sonst hieße der Satz: „Sexistische Sprache ist eine Sprache, die Frauen ... verbunden mit (...) weiblichen Eigenschaften darstellt.“

Wo ist da das Problem? Es müsste doch wohl erlaubt sein, Frauen in Verbindung mit ihren Eigenschaften darzustellen. Auch wenn ich persönlich zwei Frauen kenne, bei denen ich ein Verbot der Nennung ihrer Eigenschaften für gerechtfertigt hielte. Aber sonst? Es geht gar nicht anders. Aber vielleicht arbeiten sie im Ministerium schon an einer geschlechtergerechten Neuausgabe des Klassikers von Robert Musil unter dem Titel ‚Die Frau ohne Eigenschaften’, der dann anhebt mit dem ersten Kapitel „Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht“.

Also: Das Problem liegt darin, dass uns unterstellt wird, dass wir alles, was wir sagen, mit allumfassender Gültigkeit ausstatten, als würde das Wenige, das wir über den Einzelfall bemerken, immer und überall gelten. Wir werden behandelt, als sprächen wir nicht über das Kleine, sondern über das große Ganze. Und in dem großen Ganzen führen wir uns wie die Tyrannen auf, denn die Benennungen unserer kleinen Wahrheiten, wirken als Festlegungen im großen Ganzen, als hätten wir die Personen, über die wir gesprochen haben, damit verhaftet - hätten ihnen etwas angehängt, dass sie nie mehr loswerden. Man kann es an dem Wörtchen „fest“ merken, wenn etwa Gewalt an einer Herkunft „festgemacht“ wird und Frauen auf eine Rolle „festgelegt“ werden (in den Zitaten aus der Broschüre kam es bisher schon dreimal vor). Aber, Herr Minister: Die Österreicher sind keine Festmacher. Die reden nur.

Hier fällt der lange Schatten vom alten Georg Lukács, dem einflussreichen marxistischen Theoretiker, auf das neue Österreich. Ich will seine Vorstellungen mal vereinfacht darstellen: Er postuliert, dass eine Figur in einem Roman - beispielsweise ein Arbeiter - individuelle Züge tragen, aber auch als typischer Vertreter seiner Klasse erkennbar sein soll. Beides. An der Stelle scheint die Welt noch in Ordnung. Nun wächst aber der Druck auf die Literatur, denn die Arbeiterklasse enttäuschte, sie litt unter falschem Bewusstsein und so musste die Kultur die Aufgabe übernehmen, Träger von fortschrittlichen Ideen zu sein. So trat die Frage, ob ein Buch eine gute Geschichte von einem einzelnen Arbeiter erzählt, mehr und mehr zurück hinter die Frage, ob es auch ein gutes Plädoyer für den Kommunismus ist, bis sie sich schließlich nur noch darum drehte - und wirklichkeitsfremde Propaganda entstand.

An dieser Stelle ist Österreich angekommen. Es ist jedenfalls nicht mehr weit entfernt davon. Man kann die Verbotsschilder schon mit bloßem Auge erkennen. Den Minister interessiert nur noch, ob eine Aussage der Sache der Antidiskriminierung dienlich ist oder nicht. Auch er hat Probleme mit der praktischen Politik und muss daher verstärkt Druck auf die Kultur – in dem Fall nicht auf die Literatur, sondern auf die Alltagssprache – ausüben. Ob es im Einzelfall stimmt oder nicht, ist egal, entscheidend ist die Frage, ob Stereotypen „bedient“ oder „aufgebrochen“ werden, ob damit jemand auf Rollenbilder „festgelegt“ wird oder nicht. Das allein zählt. Mag ja sein, dass der Einbrecher tatsächlich aus Rumänien ist, wir sollen es nicht sagen.

Gibt es überhaupt etwas Positives? Ja. Ein Bild. Von einer sympathischen Frau, die zwar keine Einheitsfrisur hat, aber nett lächelt (was auch ein Stereotyp ist: „Lächeln gilt als ein Stereotyp weiblicher Attraktivität“). Die Bildunterschrift lautet: „Die Darstellung von Frauen in höheren beruflichen Positionen dient dazu, stereotypen Geschlechterbildern in der Arbeitswelt entgegenzuwirken.“ Ihre höhere Position erkennt man daran, dass sie mit den neben ihr sitzenden Männern nicht auf Augenhöhe ist, dabei könnte sie sich setzen, sie befindet sich nämlich im Unterschied zu den Begleitern der Rollstuhlfahrerin in einem Raum mit Stühlen.

Ich frage mich: Wieso hat sie überhaupt so eine Position? Haben wir nicht eben erst gelernt, dass Frauen höhere Posten „verschlossen“ bleiben? Offenbar hat sie den Schlüssel gefunden. Oder hat etwa der Minister versucht, uns reinzulegen? Hallo!!?? Oder wie es in den Alpen klingen mag: Hallo-o-o-o-o!!?? Das ist hier kein Fall von Schludrigkeit, über den man hinwegsehen könnte. Das Unrecht an den Frauen war ursprünglich die Begründung dafür, dass Maßnahmen erforderlich sind. Wenn ich das in eigenen Worten zusammenfassen darf, klingt es so: In Österreich gibt es das Problem, dass Frauen höhere Posten verschlossen sind, um dagegen vorzugehen, ist es hilfreich, wenn man Bilder von Frauen in Führungspositionen verbreitet.

Immerhin verstehen wir nun, warum der Minister gegen Stereotype, gegen Klischees und gegen Rollenbilder ist. In seinen Augen sind es Lügen. Er kennt sich aus. Er hat selber das Klischee von der Frau, der eine höhere Position verschlossen bleibt, als Lüge eingesetzt. Nun wird auch verständlich, wieso er unterstellt, dass seine Österreicher mit dem, was sie sagen, jedes Mal unzulässig verallgemeinern. Er macht es nicht anders.

Auch Männer können ein positives Beispiel geben, wie man auf dem Foto von einem Mann erkennt, der nicht lächelt und sogar extra in die Hocke gegangen ist, um auf Augenhöhe mit einem spielenden Kind zu sein - auch wenn seine Vaterschaft aus dem Text nicht zweifelsfrei hervorgeht. Da heißt es: „Die Abbildung von einem Mann/Vater, der seine Zeit mit einem Kind auf dem Spielplatz verbringt, zeigt zumindest im Ansatz ein Aufbrechen der klassischen, geschlechtlichen Arbeitsteilung und eine damit verbundene Auflösung traditioneller Rollenbilder.“

Na prima. Damit komme ich zu einer abschließenden Bewertung: Österreich Null Punkte! Diese ‚Broschüre für eine Gehirnwäsche nicht unter 90 Grad’ zeigt uns eindrucksvoll eine Auflösung traditioneller Werte wie Meinungsfreiheit, Redlichkeit und Zurechnungsfähigkeit – „zumindest im Ansatz“.

Also doch. Wir sollten vorsichtig sein bei einer Reise in das schöne Land. Schon mit normalem Sprechen kann man ein Unrecht begehen! Falls doch jemand hin will – mein Tipp: Klappstuhl mitnehmen und Klappe halten.
 
Die Broschüre findet man hier:
https://broschuerenservice.bmask.gv.at/PubAttachments/leitfaden_diskrim_2010_web01.pdf

Oder hier den Suchbegriff „Leitfaden“ (nicht „Leidfaden“) eingeben:
https://broschuerenservice.bmask.gv.at/Default.aspx

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