Thilo Schneider / 17.05.2021 / 17:00 / Foto: Timo Raab / 21 / Seite ausdrucken

Die neue Allergie

Ab einem gewissen Alter, frühestens, wenn die Silhouette etwas unscharf wird, sollte Mann gelegentlich den Arzt aufsuchen. Einfach, um mal gucken zu lassen, ob noch sämtliche Systeme so funktionieren, wie das von der Natur einst vorgesehen war oder ob irgendetwas rebootet werden muss. Natürlich habe auch ich einen Hausarzt, der meine Krankenkasse und seinen Abrechnungssatz kennt, und so verbrachte ich meinen Vormittag damit, zu radeln, Kniebeugen zu machen und mir Blut schröpfen zu lassen. Dann ungefähr eine Stunde warten, und dann saß ich da vor Dr. Hofmann mit Doppel-F, dem nicht nur die Frauen vertrauen, sondern auch ich.

Er sah sich meine Werte an, meinte „gutgut“, nicht ohne meine Lieblingsergänzung „…für einen Mann Ihres Alters“ hintendranzuhängen und fragte mich, ob ich sonstige Beschwerden hätte. Ich dachte einen Moment nach… Tatsächlich, da war etwas: „Immer, wenn ich Tweets von gewissen SPD-Abgeordneten lese oder irgendeine Stellungnahme von der Annalena oder der Katharina oder dem Frank-Walter oder dem Norbert-Walter studiere, dann überkommt mich so ein Zittern, ich habe das Gefühl, dass mein Blutdruck steigt, und ich kriege einen leichten Hautausschlag auf den Handoberflächen. Was kann das sein?“

Dr. Hofmann mit zwei F zog die Augenbrauen nach oben, schob seine Lesebrille etwas nach unten und besah sich noch einmal die Ausdrucke mit meinen Werten. „Hm“, machte er. Dann noch einmal, als Verstärker: „Hmhm“. Er runzelte die Stirn. „Setzen Sie sich“, sagte er. „Ich sitze schon die ganze Zeit“, sagte ich und bemerkte ein leichtes Kribbeln in der Bauchgegend. Er nahm sein Blutdruckmessgerät und legte es mir um. „Ich möchte gerne noch ein, zwei Tests machen, um sicherzugehen…“, erläuterte er dabei. Dann sah er mich direkt an:

„Die CO2-Steuer finanziert den Ausbau des Stromnetzes als Speicher!“ Ich merkte, wie ich zu zittern begann. Dr. Hofmann mit zwei F bemerkte das auch. Aber nicht nur an mir. Auch an sich. „Anschläge auf Synagogen haben keinen antisemitischen Hintergrund, wenn der Täterkreis aus der internationalen Partygesellschaft kommt!“, murmelte er halblaut. Ich spürte einen Juckreiz an der rechten Handoberfläche und sah, wie sich bei ihm kleine Pusteln auf der Faust um die Blutdruckpumpe bildeten. „Bei der Impfstoffbeschaffung der Bundesregierung ist im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen!“, dann, hastig hinterher, „Fluchtursachen bekämpfen. All refugees welcome and bring your families with you“, und dann war es um uns geschehen. Wir beiden zitterten um die Wette wie Espenlaub, mit rot gesprenkelten Handoberseiten, und mein Blut rauschte durch die Adern wie der Colorado durch den Hoover-Damm. Dr. Zwei-F Hofmann hielt sich krampfhaft an der Kante seines hübschen Mahagoni-Schreibtischs fest und hangelte sich daran in seinen Ledersessel zurück, in den er sich mit einem Plumps fallen ließ. Er atmete schwer, fing sich aber wieder. Auch ich merkte, wie ich mich wieder beruhigte und die Pusteln auf den Handoberflächen blasser wurden.

„Sie müssen jetzt sehr stark sein. Sie haben eine Deppenallergie!“

Mein Arzt faltete die Hände und legte sein Kinn auf die abgespreizten Daumen. Der Ausschlag an seinen Händen war fast nicht mehr zu sehen. „Herr Schneider“, sagte er, „Herr Schneider, Sie müssen jetzt sehr stark sein. Sie haben eine Deppenallergie!“ Ich war entsetzt: „Ich hatte nie Allergien – was ist geschehen, was ist das?“ „Kurz erklärt, Sie sind jetzt über 50 und haben in Ihrem Leben schon unheimlich viel Schwachsinn hören müssen. So etwas bleibt nicht in den Kleidern hängen, wissen Sie? Ihr Körper hat mittlerweile gegen platte Phrasen, dummes Gewäsch und unqualifiziertes Geschwätz eine Abwehrreaktion ausgebildet. Sozusagen einen Bullshit-Detektor. Er reagiert ganz automatisch, wenn Sie sich irgendeinen Mist anhören sollen…“ Er lächelte: „Ich kenne das, ich habe das auch seit ein paar Wochen, seit ich in Studien gelesen habe, dass die Corona-Impfstoffe sehr gut ausgetestet und absolut sicher sind und so gut wie keine Nebenwirkungen haben. Ich bin Arzt. Ich kann solche Aussagen beurteilen…“

Und ich erinnerte mich, dass ich den ersten derartigen Anfall hatte, als seinerzeit Trittin bei der „Energiewende“ von „Mehrkosten für den Preis einer Kugel Eis“ gesprochen hatte, aber auch später, als der griechische Premierminister Papandreou sich „persönlich“ für die Rückzahlung der griechischen Schulden verbürgte und natürlich an das schicksalhafte Jahr 2015, in dem „wir das schafften“. „Was kann ich dagegen tun?“, wollte ich wissen, „Ich habe das in letzter Zeit immer öfter…“ Dr. Hofmann (Sie wissen schon) kramte einen Rezeptblock heraus: „Halten Sie sich von den sozialen Medien fern, schauen Sie kein öffentlich-rechtliches Fernsehen mehr und rauchen Sie! Bei akuten Anfällen lesen Sie die „Achse des Guten“. Und nehmen Sie täglich etwas davon…“, er kritzelte etwas auf den Rezeptblock, riss die obere Seite heraus und gab sie mir über den Tisch. „Das sollte helfen!“, schloss er seine Diagnose und seinen Therapievorschlag ab. 

Wir verabschiedeten uns, nicht ohne dass ich ihm beim Hinausgehen ein gehässiges „Es wird keine Schuldenunion geben“ zurief, die Türe schnell schloss und eiligen Schrittes die Praxis verließ, während es aus dem geschlossenen Sprechzimmer deutlich rumorte.

Draußen besah ich mir dann mein Rezept: „Die Mietpreisbremse sorgt für mehr Wohnraum“ stand darauf. Dieser Dreggsagg. Zwei Stunden brauchte ich, bis sich mein Puls wieder beruhigt hatte.

(Weitere rezeptfreie Artikel des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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W. Hoffmann / 17.05.2021

Witzigerweise würden tatsächlich Hoffmannstropfen bei Ihrer Symptomatik helfen. Oder einfach einen Doppelten kippen. Aber Vorsicht! Bei der derzeitigen Häufung von Cowshit in den Mainstream-Medien hilft nur abschalten, sonst droht Alkoholismus.

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