Tobias Kaufmann / 06.02.2007 / 21:45 / 0 / Seite ausdrucken

Die Neocons sind tot. Es leben die Neocons!

Der Falke hat Löcher in den Socken. Wenn ein Bild perfekt zum „Ende der Neocons“ passt, dann ist es das von Paul Wolfowitz Ende Januar in einer türkischen Moschee. Ausgerechnet der Chef der Weltbank ist zu knauserig für neue Strümpfe und präsentiert der staunenden Welt beim Schuheanziehen entblößte dicke Zehen. Peinlicher geht’s nicht. Als Vize-Verteidigungsminister der USA war Wolfowitz einer der meistgehassten Männer der Welt, Architekt des Irakkriegs, Falke der Falken, zusammen mit Richard Perle, den selbst seriöse Medien ohne Scheu als „Fürst der Finsternis“ bezeichnen. Fast hätte man meinen können, diese „neuen Konservativen“ aus den Denkfabriken Washingtons hätten übermenschliche Kräfte. Sie waren linke Trotzkisten und Anhänger des rechtskonservativen Carl Schmitt, sie waren Neoliberale und Erzreaktionäre, christliche Eiferer und jüdische Weltverschwörer - und das alles auf einmal.

Heute haben sie Löcher in den Socken. Die Geier warten schon auf die abgestürzten Falken hinter der gescheiterten Außenpolitik von US-Präsident George W. Bush. Die Hirngespinste vom selig machenden Marktwirtschafts-Freiheits-Friedens-Domino in Nahost und der Welt - diskreditiert. Ihr Geist ist wieder in der Flasche. Oder?

Jeff Gedmin, der Leiter des Berliner Aspen-Instituts, eines transatlantischen Thinktanks, muss lachen, wenn er darüber nachdenkt, was man den „Neocons“ so alles angedichtet hat: „Es ist schwer, diese Leute überhaupt als Gruppe zu bezeichnen.“ Denn ein neokonservatives Manifest hat es nie gegeben. Wenn zwei Neocons über US-Innenpolitik sprechen, könnte man aus den Widersprüchen drei Parteien gründen. Und das Gemeinsame, das Theoretiker wie William Kristol und Politiker wie John Bolton vertreten, ist nicht einmal neu:„Die Neocons vertreten eine traditionelle Denkschule der US-Außenpolitik: den liberalen Internationalismus.“

Die „Isolationisten“, die klassischen Konservativen, wollen sich ganz auf Amerika besinnen und lehnen eine Führungsrolle in der Welt ab, sobald sie teuer wird. Solche Konservativen sind die Neocons nicht. Sie unterscheiden sich auch von den Realisten diverser Herkunft. Diese agieren zwar global, für sie sind aber Stabilität und Interessenausgleich heilig - egal, was es kostet. Beide Denkschulen haben Schurken entschuldigt, wenn es nur „Amerikas Schurken“ war. „Solange das Öl zuverlässig fließt“, so das Motto über Jahrzehnte, „schauen wir nicht so genau hin.“

Diese Politik ist unmoralisch - so wie die Außenpolitik vieler anderer Staaten auch. Zu rechtfertigen ist dies, wenn überhaupt, nur unter einer Voraussetzung: wenn es Sicherheit bringt. Diese Vorstellung jedoch brach mit den Türmen des World Trade Center in New York 2001 zusammen. „Unsere Politik war weder moralisch noch sicher“, sagt Gedmin. Diese Erkenntnis erst machte die Neocons für die Regierung Bush interessant. Denn sie versprachen auf das unerwartete Szenario eine Antwort: US-Außenpolitik sollte Moral und Macht zusammenbringen, nicht nur in Absichtserklärungen, sondern in der Realität.

Weil die Neocons dem Credo Karl Poppers, man müsse die Freiheit notfalls mit Gewalt verteidigen, einiges abgewinnen können, wird ihnen unterstellt, sie wollten alle „Schurkenstaaten“ in Schutt und Asche legen. Doch das ist Polemik. Auch war der Irak nicht ihr Hauptziel. Hätten sich die Neocons durchgesetzt, wären sie lieber - mit diplomatischem und finanziellem Druck - gegen Staaten vorgegangen, ohne die es El Kaida nie gegeben hätte: Saudi-Arabien und Pakistan.

Dass viele Neocons Krieg gegen den Irak wollten, hat mehrere Gründe. Erstens sollte wieder gutgemacht werden, was die UN und die Regierung von George Bush senior und seinem Außenminister James Baker vermasselt hatten: Sie ließen Saddam Hussein an der Macht. Die Massaker an Schiiten, Kurden und Oppositionellen waren nur deshalb möglich. Sie sind den Neocons unerträglich - weshalb sie es auch unerträglich finden, dass ausgerechnet Baker nun mit schlauen Tipps zum Irak hausieren geht.

Zweitens glaubten die Neocons, dass der Irak das schwächste Glied in einer Kette von Despotien ist. Bräche dieses Glied, wäre es eine Frage der Zeit, bis auch Regime wie Syrien, Saudi-Arabien oder der Iran unter der Wucht innerer Reformbewegungen zusammenbrechen. Die Hoffnung, dass unter der Oberfläche arabischer Diktaturen eine Mehrheit darauf wartet, Marktwirtschaft und Demokratie zu errichten, ist von mehr europäischem Idealismus befeuert, als vielen Europäern lieb ist.

Dass die Theorie an der Praxis kläglich gescheitert ist, können viele Neocons schwer ertragen. Richard Perle, der frühere Strippenzieher, hat sich von Bush abgewandt. „Hätte ich gewusst, wie viele Fehler diese Regierung macht, wäre ich nie für den Irakkrieg gewesen“, sagt er heute. Man hätte von Anfang an mehr Truppen schicken müssen, hätte die irakische Armee nicht auflösen dürfen und die Macht früher an die Iraker übergeben müssen.

David Frum, der Redenschreiber, der mit Bush die „Achse des Bösen“ erfand, wirft dem Präsidenten heute vor, auf halbem Wege stehengeblieben zu sein: Wenn Bush wirklich ein Neocon wäre, hätte er nach dem 11. September gesagt, „dass der Extremismus seinen Ursprung in Saudi-Arabien hat“. Doch ebenso wie James Baker hat der Bush-Clan beste Beziehungen zu den Saudis.

Jeff Gedmin, der mit Perle befreundet ist, stört dessen nachträgliche Distanzierung. „Man erscheint auf dem Ball mit einer bestimmten Person“, sagt er. Will sagen: Es ist zu billig, wenn Theoretiker die guten Ideen für sich reklamieren und diejenigen, die sie umsetzen sollten - Regierung und Militär - angreifen, wenn sie scheitern. Die Neocons, die in den USA nie eine Mehrheit vertreten haben, sind seit dem Irak-Desaster wieder aus der Politik verschwunden. Ihre Gegner haben aber keinen Grund zur Schadenfreude. Denn die Idee einer Außenpolitik, die US-Macht und westliche Moral verbindet, ist richtig - und keinesfalls an die Republikaner gebunden. Sie wird von liberalen Überzeugungen genährt und ist, neu durchdacht, mit den Demokraten kompatibel.

Außenpolitik ist so kompliziert wie die Welt, in der sie agiert. Naive Menschlichkeit hier, zynischer Realismus da - so einfach ist es nicht. Westliche, auch europäische Politik in Zeiten des internationalen, staatlich geförderten Terrorismus muss im Ergebnis beides sein: moralisch und sicher. Die Neocons sind tot. Die Neocons sollen leben!

Kölner Stadt-Anzeiger, 7.2.07

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